Aber wie mal' ich dir dieses heilige Herz? Erstlich hat sie alles Gute von den Cidevants-Carolinen; und zweitens nicht das Schlimme; und drittens Gesundheit ohne Gleichen, Schönheit (ein unter den Deutschen seltenes schwarzes-sanftes Auge, Madonnenstirn, artistischen5 Hals und Busen und Wangenroth und alles) Aufopferungsliebe ohne[33] Gleichen, Bescheidenheit, Offenheit etc. Die flammendste Liebe für mich brent ihr auch nicht Eine Seite zu irgend einem menschlichen andern Ton des Mitleides etc. ab. Sie hat die wärmsten Freundinnen unter Weibern und Mädgen sogar adelichen Standes (denn hier ist sogar in10 Geselschaften, wo es so viele Spielzimmer giebt als in andern Spiel- tische, die Verbindung zwischen Bürg[er] und Adel ohne Zeichen der Naht volendet); und die mitfreuenden Besuche die ihr über die Nach- richt unserer Verlobung zuströmten, bewiesen ernstlich wie sehr die Berlin[er] uns beide liebten. Als meine Braut wurde sie auf die15 Feuerprobe manches Auges gesezt, über dessen heisser Pflugschaar sie unbeschädigt weggieng. Wie viel ich seitdem, da der Vater so viele Verhältnisse hat, Wein trank und unter wie viel verschiedenen Stuben- decken, das ermis selber. Daß ich mich blos sonst geirt habe und blos jezt nicht -- und daß ich nie schuld war -- [am Rande: eine20 Pfote in margine] seh' ich jezt, weil ich seit unserer fast 1/4jährigen Gegenwart nie mit ihr eine neblichte oder gar gewitterhafte Stunde gehabt, ohne die sonst keine erotische Woche vergieng. Ich liebe sie mit allen Jugendkräften des Herzens, und allen Nestorskräften der Vernunft. Ich puze sie sogar -- mich nicht --, weil sie kalt gegen25 Anzug (obwohl nicht gegen die jungfräuliche Nettigkeit desselben) ist und ihn jezt meinetwegen anthut wie ihr neues herliches blaues Kleid beweiset; zu welchem ich noch ein weisses atlass[enes] a 4 Ld'or gethan samt dem Hut von 1 L. Könt' ich ihr mein Herz als ein goldnes über ohnweit ihres hängen als Schmuk: so zög [ich] es heraus und30 fädelte es ein. Zwischen uns giebt es nun nichts mehr was uns trennend kalt machen könte als der Tod. Der Vater verehrt, die Tochter ver- göttert mich.
d. 24 Dec.
Noch in diesem Säkul sol er fort. Da sie keinen Brief, den sie an35 einen 3ten schreibt, von einem 2ten (und wär ichs) gelesen erträgt: -- ob sie mir es gleich doch anbot -- so bekomst du hier lieber einen Brief
d. 19. Dec.
Aber wie mal’ ich dir dieſes heilige Herz? Erſtlich hat ſie alles Gute von den Cidevants-Carolinen; und zweitens nicht das Schlimme; und drittens Geſundheit ohne Gleichen, Schönheit (ein unter den Deutſchen ſeltenes ſchwarzes-ſanftes Auge, Madonnenſtirn, artiſtiſchen5 Hals und Buſen und Wangenroth und alles) Aufopferungsliebe ohne[33] Gleichen, Beſcheidenheit, Offenheit ꝛc. Die flammendſte Liebe für mich brent ihr auch nicht Eine Seite zu irgend einem menſchlichen andern Ton des Mitleides ꝛc. ab. Sie hat die wärmſten Freundinnen unter Weibern und Mädgen ſogar adelichen Standes (denn hier iſt ſogar in10 Geſelſchaften, wo es ſo viele Spielzimmer giebt als in andern Spiel- tiſche, die Verbindung zwiſchen Bürg[er] und Adel ohne Zeichen der Naht volendet); und die mitfreuenden Beſuche die ihr über die Nach- richt unſerer Verlobung zuſtrömten, bewieſen ernſtlich wie ſehr die Berlin[er] uns beide liebten. Als meine Braut wurde ſie auf die15 Feuerprobe manches Auges geſezt, über deſſen heiſſer Pflugſchaar ſie unbeſchädigt weggieng. Wie viel ich ſeitdem, da der Vater ſo viele Verhältniſſe hat, Wein trank und unter wie viel verſchiedenen Stuben- decken, das ermis ſelber. Daß ich mich blos ſonſt geirt habe und blos jezt nicht — und daß ich nie ſchuld war — [am Rande: ☞ eine20 Pfote in margine] ſeh’ ich jezt, weil ich ſeit unſerer faſt ¼jährigen Gegenwart nie mit ihr eine neblichte oder gar gewitterhafte Stunde gehabt, ohne die ſonſt keine erotiſche Woche vergieng. Ich liebe ſie mit allen Jugendkräften des Herzens, und allen Neſtorskräften der Vernunft. Ich puze ſie ſogar — mich nicht —, weil ſie kalt gegen25 Anzug (obwohl nicht gegen die jungfräuliche Nettigkeit deſſelben) iſt und ihn jezt meinetwegen anthut wie ihr neues herliches blaues Kleid beweiſet; zu welchem ich noch ein weiſſes atlaſſ[enes] à 4 Ld’or gethan ſamt dem Hut von 1 L. Könt’ ich ihr mein Herz als ein goldnes über 〈ohnweit〉 ihres hängen als Schmuk: ſo zög [ich] es heraus und30 fädelte es ein. Zwiſchen uns giebt es nun nichts mehr was uns trennend kalt machen könte als der Tod. Der Vater verehrt, die Tochter ver- göttert mich.
d. 24 Dec.
Noch in dieſem Säkul ſol er fort. Da ſie keinen Brief, den ſie an35 einen 3ten ſchreibt, von einem 2ten (und wär ichs) geleſen erträgt: — ob ſie mir es gleich doch anbot — ſo bekomſt du hier lieber einen Brief
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><pbfacs="#f0035"n="29"/><div><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">d. 19. Dec.</hi></hi></dateline><lb/><p>Aber wie mal’ ich dir dieſes heilige Herz? Erſtlich hat ſie alles Gute<lb/>
von den <hirendition="#aq">Cidevants-Carolinen;</hi> und zweitens nicht das Schlimme;<lb/>
und drittens Geſundheit ohne Gleichen, Schönheit (ein unter den<lb/>
Deutſchen ſeltenes ſchwarzes-ſanftes Auge, Madonnenſtirn, artiſtiſchen<lbn="5"/>
Hals und Buſen und Wangenroth und alles) Aufopferungsliebe ohne<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd4_33">[33]</ref></note><lb/>
Gleichen, Beſcheidenheit, Offenheit ꝛc. Die flammendſte Liebe für mich<lb/>
brent ihr auch nicht Eine Seite zu irgend einem menſchlichen andern<lb/>
Ton des Mitleides ꝛc. ab. Sie hat die wärmſten Freundinnen unter<lb/>
Weibern und Mädgen ſogar adelichen Standes (denn hier iſt ſogar in<lbn="10"/>
Geſelſchaften, wo es ſo viele Spielzimmer giebt als in andern Spiel-<lb/>
tiſche, die Verbindung zwiſchen Bürg[er] und Adel ohne <hirendition="#g">Zeichen</hi> der<lb/>
Naht volendet); und die mitfreuenden Beſuche die ihr über die Nach-<lb/>
richt unſerer Verlobung zuſtrömten, bewieſen ernſtlich wie ſehr die<lb/>
Berlin[er] uns beide liebten. Als <hirendition="#g">meine</hi> Braut wurde ſie auf die<lbn="15"/>
Feuerprobe manches Auges geſezt, über deſſen heiſſer Pflugſchaar ſie<lb/>
unbeſchädigt weggieng. Wie viel ich ſeitdem, da der Vater ſo viele<lb/>
Verhältniſſe hat, Wein trank und unter wie viel verſchiedenen Stuben-<lb/>
decken, das ermis ſelber. Daß ich mich blos ſonſt geirt habe und blos<lb/>
jezt nicht — und daß ich nie ſchuld war — [<hirendition="#aq"><hirendition="#i">am Rande:</hi></hi>☞ eine<lbn="20"/>
Pfote <hirendition="#aq">in margine</hi>] ſeh’ ich jezt, weil ich ſeit unſerer faſt ¼jährigen<lb/>
Gegenwart nie mit ihr eine neblichte oder gar gewitterhafte Stunde<lb/>
gehabt, ohne die ſonſt keine erotiſche Woche vergieng. Ich liebe ſie<lb/>
mit allen Jugendkräften des Herzens, und allen Neſtorskräften der<lb/>
Vernunft. Ich puze ſie ſogar — mich nicht —, weil ſie kalt gegen<lbn="25"/>
Anzug (obwohl nicht gegen die jungfräuliche Nettigkeit deſſelben) iſt<lb/>
und ihn jezt meinetwegen anthut wie ihr neues herliches blaues Kleid<lb/>
beweiſet; zu welchem ich noch ein weiſſes atlaſſ[enes] <hirendition="#aq">à 4 Ld’or</hi> gethan<lb/>ſamt dem Hut von 1 <hirendition="#aq">L.</hi> Könt’ ich ihr mein Herz als ein goldnes über<lb/>〈ohnweit〉 ihres hängen als Schmuk: ſo zög [ich] es heraus und<lbn="30"/>
fädelte es ein. Zwiſchen uns giebt es nun nichts mehr was uns trennend<lb/><hirendition="#g">kalt</hi> machen könte als der Tod. Der Vater verehrt, die Tochter ver-<lb/>
göttert mich.</p></div><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">d. 24 Dec.</hi></hi></dateline><lb/><p>Noch in dieſem Säkul ſol er fort. Da ſie keinen Brief, den ſie an<lbn="35"/>
einen 3<hirendition="#sup">ten</hi>ſchreibt, von einem 2<hirendition="#sup">ten</hi> (und wär ichs) geleſen erträgt: — ob<lb/>ſie mir es gleich doch anbot —ſo bekomſt du hier lieber einen Brief<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[29/0035]
d. 19. Dec.
Aber wie mal’ ich dir dieſes heilige Herz? Erſtlich hat ſie alles Gute
von den Cidevants-Carolinen; und zweitens nicht das Schlimme;
und drittens Geſundheit ohne Gleichen, Schönheit (ein unter den
Deutſchen ſeltenes ſchwarzes-ſanftes Auge, Madonnenſtirn, artiſtiſchen 5
Hals und Buſen und Wangenroth und alles) Aufopferungsliebe ohne
Gleichen, Beſcheidenheit, Offenheit ꝛc. Die flammendſte Liebe für mich
brent ihr auch nicht Eine Seite zu irgend einem menſchlichen andern
Ton des Mitleides ꝛc. ab. Sie hat die wärmſten Freundinnen unter
Weibern und Mädgen ſogar adelichen Standes (denn hier iſt ſogar in 10
Geſelſchaften, wo es ſo viele Spielzimmer giebt als in andern Spiel-
tiſche, die Verbindung zwiſchen Bürg[er] und Adel ohne Zeichen der
Naht volendet); und die mitfreuenden Beſuche die ihr über die Nach-
richt unſerer Verlobung zuſtrömten, bewieſen ernſtlich wie ſehr die
Berlin[er] uns beide liebten. Als meine Braut wurde ſie auf die 15
Feuerprobe manches Auges geſezt, über deſſen heiſſer Pflugſchaar ſie
unbeſchädigt weggieng. Wie viel ich ſeitdem, da der Vater ſo viele
Verhältniſſe hat, Wein trank und unter wie viel verſchiedenen Stuben-
decken, das ermis ſelber. Daß ich mich blos ſonſt geirt habe und blos
jezt nicht — und daß ich nie ſchuld war — [am Rande: ☞ eine 20
Pfote in margine] ſeh’ ich jezt, weil ich ſeit unſerer faſt ¼jährigen
Gegenwart nie mit ihr eine neblichte oder gar gewitterhafte Stunde
gehabt, ohne die ſonſt keine erotiſche Woche vergieng. Ich liebe ſie
mit allen Jugendkräften des Herzens, und allen Neſtorskräften der
Vernunft. Ich puze ſie ſogar — mich nicht —, weil ſie kalt gegen 25
Anzug (obwohl nicht gegen die jungfräuliche Nettigkeit deſſelben) iſt
und ihn jezt meinetwegen anthut wie ihr neues herliches blaues Kleid
beweiſet; zu welchem ich noch ein weiſſes atlaſſ[enes] à 4 Ld’or gethan
ſamt dem Hut von 1 L. Könt’ ich ihr mein Herz als ein goldnes über
〈ohnweit〉 ihres hängen als Schmuk: ſo zög [ich] es heraus und 30
fädelte es ein. Zwiſchen uns giebt es nun nichts mehr was uns trennend
kalt machen könte als der Tod. Der Vater verehrt, die Tochter ver-
göttert mich.
[33]
d. 24 Dec.
Noch in dieſem Säkul ſol er fort. Da ſie keinen Brief, den ſie an 35
einen 3ten ſchreibt, von einem 2ten (und wär ichs) geleſen erträgt: — ob
ſie mir es gleich doch anbot — ſo bekomſt du hier lieber einen Brief
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/35>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.