Hier haben Sie alles, was ich Ihnen (noch außer meinem Dank) schuldig war, nämlich was ich geborgt und was ich versprochen hatte. Ihr Schleiermacher -- den sein mystischer Isis-Name als Allegorie[332]5 durch alle seine Werke begleiten wird -- hat mich mit seiner platoni- schen Schärfe, Höhe und Tiefe ergriffen, wie seit langem kein philo- sophisches Werk. Zum Glück hatt' ich in meiner Ästhetik einen Platz für meinen erneuerten Enthusiasmus für ihn noch frei. O gäb' uns dieser Nach-Plato eine positive Ethik! Wiewohl diese negative10 auch anregt und wiewohl überhaupt in der gelehrten Welt nur mehr die Polemik als die Thetik gedruckt werden kann.
Auf meine Gefahr schick' ich Ihnen die ersten acht Bogen der Aesthetik. Verlieren Sie wenigstens nicht die Hoffnung -- denn hier ist erst ein Viertel -- wenn auch die Geduld. Vorrede -- Prospektus15 -- Herumblättern -- alles fehlt. Ich hoffe, wir begegnen uns doch -- wenn nicht auf den Wegen zu dem Musenberge hinauf und hinab, doch oben auf dem Gipfel -- so wenig ich auch Personen und Schulen nachzugehen und entgegenzugehen scheine.
Da ich der Frau von Kalb so vielen Dank für Sie gesagt, so errathen20 Sie, wie vielen ich Ihnen selber zu sagen habe. Jenes -- dem musikali- schen ähnliche dialogische und philosophische Phantasieren über unserm Abend- und Mittagessen -- und das ganze Zusammenleben -- und das leichte Kennen -- und der Krieg -- und der Friede -- und jeder, den Sie noch besonders von mir grüßen sollen, besonders Le25 Pique [?], und welcher Namen ich noch weiß (Meinecke) und nicht weiß (z. B. den immer so ruhig auseinanderlegenden und einwerfenden abcdef etc.) -- dieß alles gab ein schönes Freudenfeuer, an welchem dieß das Schönste ist, daß jeder Feuerwerker auch das Feuer war.
Ich danke Ihnen noch einmal recht herzlich für die schönen Stunden,30 die Sie mir nur mit der Sonnen-, nicht aber mit einer matten Mars-, Zeres-, Pallas-Uhr zugemessen.
Ich bitte Sie, mir Tiecks Minnelieder und -- ist [es] möglich -- Schelling über Religion zu senden, aber unfrankiert, denn sonst würden Sie diese Bitte die letzte zu sein zwingen.35
Leben Sie wohl in Ihrem schönen, warmen, hellen Kreise.
Jean Paul Fr. Richter
*474. An Profeſſor Mehmel in Erlangen.
Coburg d. 9. Jun. 1804.
Hier haben Sie alles, was ich Ihnen (noch außer meinem Dank) ſchuldig war, nämlich was ich geborgt und was ich verſprochen hatte. Ihr Schleiermacher — den ſein myſtiſcher Iſis-Name als Allegorie[332]5 durch alle ſeine Werke begleiten wird — hat mich mit ſeiner platoni- ſchen Schärfe, Höhe und Tiefe ergriffen, wie ſeit langem kein philo- ſophiſches Werk. Zum Glück hatt’ ich in meiner Äſthetik einen Platz für meinen erneuerten Enthuſiaſmus für ihn noch frei. O gäb’ uns dieſer Nach-Plato eine poſitive Ethik! Wiewohl dieſe negative10 auch anregt und wiewohl überhaupt in der gelehrten Welt nur mehr die Polemik als die Thetik gedruckt werden kann.
Auf meine Gefahr ſchick’ ich Ihnen die erſten acht Bogen der Aeſthetik. Verlieren Sie wenigſtens nicht die Hoffnung — denn hier iſt erſt ein Viertel — wenn auch die Geduld. Vorrede — Proſpektus15 — Herumblättern — alles fehlt. Ich hoffe, wir begegnen uns doch — wenn nicht auf den Wegen zu dem Muſenberge hinauf und hinab, doch oben auf dem Gipfel — ſo wenig ich auch Perſonen und Schulen nachzugehen und entgegenzugehen ſcheine.
Da ich der Frau von Kalb ſo vielen Dank für Sie geſagt, ſo errathen20 Sie, wie vielen ich Ihnen ſelber zu ſagen habe. Jenes — dem muſikali- ſchen ähnliche dialogiſche und philoſophiſche Phantaſieren über unſerm Abend- und Mittageſſen — und das ganze Zuſammenleben — und das leichte Kennen — und der Krieg — und der Friede — und jeder, den Sie noch beſonders von mir grüßen ſollen, beſonders Le25 Pique [?], und welcher Namen ich noch weiß (Meinecke) und nicht weiß (z. B. den immer ſo ruhig auseinanderlegenden und einwerfenden abcdef ꝛc.) — dieß alles gab ein ſchönes Freudenfeuer, an welchem dieß das Schönſte iſt, daß jeder Feuerwerker auch das Feuer war.
Ich danke Ihnen noch einmal recht herzlich für die ſchönen Stunden,30 die Sie mir nur mit der Sonnen-, nicht aber mit einer matten Mars-, Zeres-, Pallas-Uhr zugemeſſen.
Ich bitte Sie, mir Tiecks Minnelieder und — iſt [es] möglich — Schelling über Religion zu ſenden, aber unfrankiert, denn ſonſt würden Sie dieſe Bitte die letzte zu ſein zwingen.35
Leben Sie wohl in Ihrem ſchönen, warmen, hellen Kreiſe.
Jean Paul Fr. Richter
<TEI><text><body><pbfacs="#f0311"n="299"/><divtype="letter"n="1"><head>*474. An <hirendition="#g">Profeſſor Mehmel in Erlangen.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">Coburg</hi> d. 9. Jun. 1804.</hi></dateline><lb/><p>Hier haben Sie alles, was ich Ihnen (noch außer meinem Dank)<lb/>ſchuldig war, nämlich was ich geborgt und was ich verſprochen hatte.<lb/>
Ihr Schleiermacher — den ſein myſtiſcher Iſis-Name als Allegorie<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd4_332">[332]</ref></note><lbn="5"/>
durch alle ſeine Werke begleiten wird — hat mich mit ſeiner platoni-<lb/>ſchen Schärfe, Höhe und Tiefe ergriffen, wie ſeit langem kein philo-<lb/>ſophiſches Werk. Zum Glück hatt’ ich in meiner Äſthetik einen Platz<lb/>
für meinen erneuerten Enthuſiaſmus für ihn noch frei. O gäb’ uns<lb/>
dieſer Nach-Plato eine <hirendition="#g">poſitive</hi> Ethik! Wiewohl dieſe <hirendition="#g">negative</hi><lbn="10"/>
auch anregt und wiewohl überhaupt in der gelehrten Welt nur mehr<lb/>
die Polemik als die Thetik gedruckt werden kann.</p><lb/><p>Auf meine Gefahr ſchick’ ich Ihnen die erſten acht Bogen der<lb/>
Aeſthetik. Verlieren Sie wenigſtens nicht die Hoffnung — denn hier<lb/>
iſt erſt ein Viertel — wenn auch die Geduld. Vorrede — Proſpektus<lbn="15"/>— Herumblättern — alles fehlt. Ich hoffe, wir begegnen uns doch —<lb/>
wenn nicht auf den Wegen zu dem Muſenberge hinauf und hinab,<lb/>
doch oben auf dem Gipfel —ſo wenig ich auch Perſonen und Schulen<lb/>
nachzugehen und entgegenzugehen ſcheine.</p><lb/><p>Da ich der Frau von Kalb ſo vielen Dank für Sie geſagt, ſo errathen<lbn="20"/>
Sie, wie vielen ich Ihnen ſelber zu ſagen habe. Jenes — dem muſikali-<lb/>ſchen ähnliche dialogiſche und philoſophiſche Phantaſieren über<lb/>
unſerm Abend- und Mittageſſen — und das ganze Zuſammenleben<lb/>— und das leichte Kennen — und der Krieg — und der Friede — und<lb/>
jeder, den Sie noch beſonders von mir grüßen ſollen, beſonders Le<lbn="25"/>
Pique [?], und welcher Namen ich noch weiß (Meinecke) und nicht<lb/>
weiß (z. B. den immer ſo ruhig auseinanderlegenden und einwerfenden<lb/>
abcdef ꝛc.) — dieß alles gab ein ſchönes Freudenfeuer, an welchem dieß<lb/>
das Schönſte iſt, daß jeder Feuerwerker auch das Feuer war.</p><lb/><p>Ich danke Ihnen noch einmal recht herzlich für die ſchönen Stunden,<lbn="30"/>
die Sie mir nur mit der Sonnen-, nicht aber mit einer matten Mars-,<lb/>
Zeres-, Pallas-Uhr zugemeſſen.</p><lb/><p>Ich bitte Sie, mir Tiecks Minnelieder und — iſt [es] möglich —<lb/>
Schelling über Religion zu ſenden, aber unfrankiert, denn ſonſt<lb/>
würden Sie dieſe Bitte die letzte zu ſein zwingen.<lbn="35"/></p><p>Leben Sie wohl in Ihrem ſchönen, warmen, hellen Kreiſe.</p><lb/><closer><salute><hirendition="#right">Jean Paul Fr. Richter</hi></salute></closer></div><lb/></body></text></TEI>
[299/0311]
*474. An Profeſſor Mehmel in Erlangen.
Coburg d. 9. Jun. 1804.
Hier haben Sie alles, was ich Ihnen (noch außer meinem Dank)
ſchuldig war, nämlich was ich geborgt und was ich verſprochen hatte.
Ihr Schleiermacher — den ſein myſtiſcher Iſis-Name als Allegorie 5
durch alle ſeine Werke begleiten wird — hat mich mit ſeiner platoni-
ſchen Schärfe, Höhe und Tiefe ergriffen, wie ſeit langem kein philo-
ſophiſches Werk. Zum Glück hatt’ ich in meiner Äſthetik einen Platz
für meinen erneuerten Enthuſiaſmus für ihn noch frei. O gäb’ uns
dieſer Nach-Plato eine poſitive Ethik! Wiewohl dieſe negative 10
auch anregt und wiewohl überhaupt in der gelehrten Welt nur mehr
die Polemik als die Thetik gedruckt werden kann.
[332]
Auf meine Gefahr ſchick’ ich Ihnen die erſten acht Bogen der
Aeſthetik. Verlieren Sie wenigſtens nicht die Hoffnung — denn hier
iſt erſt ein Viertel — wenn auch die Geduld. Vorrede — Proſpektus 15
— Herumblättern — alles fehlt. Ich hoffe, wir begegnen uns doch —
wenn nicht auf den Wegen zu dem Muſenberge hinauf und hinab,
doch oben auf dem Gipfel — ſo wenig ich auch Perſonen und Schulen
nachzugehen und entgegenzugehen ſcheine.
Da ich der Frau von Kalb ſo vielen Dank für Sie geſagt, ſo errathen 20
Sie, wie vielen ich Ihnen ſelber zu ſagen habe. Jenes — dem muſikali-
ſchen ähnliche dialogiſche und philoſophiſche Phantaſieren über
unſerm Abend- und Mittageſſen — und das ganze Zuſammenleben
— und das leichte Kennen — und der Krieg — und der Friede — und
jeder, den Sie noch beſonders von mir grüßen ſollen, beſonders Le 25
Pique [?], und welcher Namen ich noch weiß (Meinecke) und nicht
weiß (z. B. den immer ſo ruhig auseinanderlegenden und einwerfenden
abcdef ꝛc.) — dieß alles gab ein ſchönes Freudenfeuer, an welchem dieß
das Schönſte iſt, daß jeder Feuerwerker auch das Feuer war.
Ich danke Ihnen noch einmal recht herzlich für die ſchönen Stunden, 30
die Sie mir nur mit der Sonnen-, nicht aber mit einer matten Mars-,
Zeres-, Pallas-Uhr zugemeſſen.
Ich bitte Sie, mir Tiecks Minnelieder und — iſt [es] möglich —
Schelling über Religion zu ſenden, aber unfrankiert, denn ſonſt
würden Sie dieſe Bitte die letzte zu ſein zwingen. 35
Leben Sie wohl in Ihrem ſchönen, warmen, hellen Kreiſe.
Jean Paul Fr. Richter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/311>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.