Vergeben Sie mein Schweigen, das nicht einmal heute aufhört. Ich wartete ewig auf ein[en] Bierfährmann. Otto wird Ihnen aus meinem Briefe einige Bitten zeigen. Nächstens mehr und besser! Nur5 von Thieriot wünscht' ich baldige Nachrichten und von Ihnen die Entschuldigungen Ihres Schweigens, wenn nicht die Reise die schönste ist. Adio, Alter!
[320] 463. An Christian Otto.
Coburg d. 24. Apr. 1804.10
Neuigkeiten hab' ich leider zu viel zum Schreiben, obwol zum Erzählen nicht zu viel. Z. B. Wangenheim ist ohne Pension abgesetzt und geht klagend nach Wien. Sein Sohn ist im Herbste gestorben, sein Mädchen war von 3 Aerzten aufgegeben und ich rettete es durch Wein. -- Ich selber wie ich längst voraussah wurde in die Unter-15 suchung gegen Wangenheim durch die Kommission gezogen*). Meinen35 Brief an den Herzog und mein Aufsagen des Hofs und jenes gut- machende Antwort und noch einige wichtige Briefe schickte ich dir wenn ich sie nicht vielleicht jede Stunde zu brauchen besorgte. Du wirst staunen. Ich war zu keiner persönlichen Erscheinung als frem-20 der Legaz[ions] R[ath] verbunden; wählte sie aber doch, um meinen Spaß und meine Prüfung zu haben. -- Mein Max hatte das Husten- fieber. Er ist fast zu zart und eine gewaltige Virtuosen-Seele bewohnt den Lilienleib. Ich kann ihm beinahe Verzückungen und entzückt-nasse Augen anpfeifen. -- Emma zog wieder aus dem Zufalls-Rade etwas25 heraus, Rienzi nämlich. -- Wer sich nicht mit den Umgebungen ver- ändert, sondern festbleibt, stellt eben dadurch sein Verhältniß zu ihnen und also sich als etwas Verändertes dar.**) Ich bin überzeugt, daß man mich jetzt für veränderlich ausschreiet, blos weil ich fortwill und fortmuß, da alles um mich her möcht ich sagen schon fortgezogen ist.30 Wangenheim und Kretschm. sind für mich fort; auch der Hof in mancher Rücksicht. Das Hebammenwesen gefällt mir hier so wenig, daß ich den künftigen November gegen das Ende nicht hier ausstehen könnte. Meine Hauswirthin heirathet -- und Anfangs Augusts muß
*) über ein Gespräch mit dem Herzog.
**) Gleich einem Ufer schein' ich dem zu fließen, der ja blos selber fließet.
462. An Emanuel.
Coburg d. 2. Mai 1804.
Vergeben Sie mein Schweigen, das nicht einmal heute aufhört. Ich wartete ewig auf ein[en] Bierfährmann. Otto wird Ihnen aus meinem Briefe einige Bitten zeigen. Nächſtens mehr und beſſer! Nur5 von Thieriot wünſcht’ ich baldige Nachrichten und von Ihnen die Entſchuldigungen Ihres Schweigens, wenn nicht die Reiſe die ſchönſte iſt. Adio, Alter!
[320] 463. An Chriſtian Otto.
Coburg d. 24. Apr. 1804.10
Neuigkeiten hab’ ich leider zu viel zum Schreiben, obwol zum Erzählen nicht zu viel. Z. B. Wangenheim iſt ohne Penſion abgeſetzt und geht klagend nach Wien. Sein Sohn iſt im Herbſte geſtorben, ſein Mädchen war von 3 Aerzten aufgegeben und ich rettete es durch Wein. — Ich ſelber wie ich längſt vorausſah wurde in die Unter-15 ſuchung gegen Wangenheim durch die Kommiſſion gezogen*). Meinen35 Brief an den Herzog und mein Aufſagen des Hofs und jenes gut- machende Antwort und noch einige wichtige Briefe ſchickte ich dir wenn ich ſie nicht vielleicht jede Stunde zu brauchen beſorgte. Du wirſt ſtaunen. Ich war zu keiner perſönlichen Erſcheinung als frem-20 der Legaz[ions] R[ath] verbunden; wählte ſie aber doch, um meinen Spaß und meine Prüfung zu haben. — Mein Max hatte das Huſten- fieber. Er iſt faſt zu zart und eine gewaltige Virtuoſen-Seele bewohnt den Lilienleib. Ich kann ihm beinahe Verzückungen und entzückt-naſſe Augen anpfeifen. — Emma zog wieder aus dem Zufalls-Rade etwas25 heraus, Rienzi nämlich. — Wer ſich nicht mit den Umgebungen ver- ändert, ſondern feſtbleibt, ſtellt eben dadurch ſein Verhältniß zu ihnen und alſo ſich als etwas Verändertes dar.**) Ich bin überzeugt, daß man mich jetzt für veränderlich ausſchreiet, blos weil ich fortwill und fortmuß, da alles um mich her möcht ich ſagen ſchon fortgezogen iſt.30 Wangenheim und Kretschm. ſind für mich fort; auch der Hof in mancher Rückſicht. Das Hebammenweſen gefällt mir hier ſo wenig, daß ich den künftigen November gegen das Ende nicht hier ausſtehen könnte. Meine Hauswirthin heirathet — und Anfangs Auguſts muß
*) über ein Geſpräch mit dem Herzog.
**) Gleich einem Ufer ſchein’ ich dem zu fließen, der ja blos ſelber fließet.
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462. An Emanuel.
Coburg d. 2. Mai 1804.
Vergeben Sie mein Schweigen, das nicht einmal heute aufhört.
Ich wartete ewig auf ein[en] Bierfährmann. Otto wird Ihnen aus
meinem Briefe einige Bitten zeigen. Nächſtens mehr und beſſer! Nur 5
von Thieriot wünſcht’ ich baldige Nachrichten und von Ihnen die
Entſchuldigungen Ihres Schweigens, wenn nicht die Reiſe die ſchönſte
iſt. Adio, Alter!
463. An Chriſtian Otto.
Coburg d. 24. Apr. 1804. 10
Neuigkeiten hab’ ich leider zu viel zum Schreiben, obwol zum
Erzählen nicht zu viel. Z. B. Wangenheim iſt ohne Penſion abgeſetzt
und geht klagend nach Wien. Sein Sohn iſt im Herbſte geſtorben,
ſein Mädchen war von 3 Aerzten aufgegeben und ich rettete es durch
Wein. — Ich ſelber wie ich längſt vorausſah wurde in die Unter- 15
ſuchung gegen Wangenheim durch die Kommiſſion gezogen *). Meinen 35
Brief an den Herzog und mein Aufſagen des Hofs und jenes gut-
machende Antwort und noch einige wichtige Briefe ſchickte ich dir
wenn ich ſie nicht vielleicht jede Stunde zu brauchen beſorgte. Du
wirſt ſtaunen. Ich war zu keiner perſönlichen Erſcheinung als frem- 20
der Legaz[ions] R[ath] verbunden; wählte ſie aber doch, um meinen
Spaß und meine Prüfung zu haben. — Mein Max hatte das Huſten-
fieber. Er iſt faſt zu zart und eine gewaltige Virtuoſen-Seele bewohnt
den Lilienleib. Ich kann ihm beinahe Verzückungen und entzückt-naſſe
Augen anpfeifen. — Emma zog wieder aus dem Zufalls-Rade etwas 25
heraus, Rienzi nämlich. — Wer ſich nicht mit den Umgebungen ver-
ändert, ſondern feſtbleibt, ſtellt eben dadurch ſein Verhältniß zu ihnen
und alſo ſich als etwas Verändertes dar. **) Ich bin überzeugt, daß
man mich jetzt für veränderlich ausſchreiet, blos weil ich fortwill und
fortmuß, da alles um mich her möcht ich ſagen ſchon fortgezogen iſt. 30
Wangenheim und Kretschm. ſind für mich fort; auch der Hof in
mancher Rückſicht. Das Hebammenweſen gefällt mir hier ſo wenig,
daß ich den künftigen November gegen das Ende nicht hier ausſtehen
könnte. Meine Hauswirthin heirathet — und Anfangs Auguſts muß
*) über ein Geſpräch mit dem Herzog.
**) Gleich einem Ufer ſchein’ ich dem zu fließen, der ja blos ſelber fließet.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/300>, abgerufen am 16.02.2025.
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