da ich ohnehin seit dem zermalmenden Tode Herders nichts mehr habe als einen leeren blauen Himmel der Nacht; und du bist noch der helle freudige Abendstern. Ziehe langsam deiner Sonne nach; und gieb noch dem, der dich liebt, dein Auge und deinen Blik. Ach ich habe meinen Herder recht geliebt; denn nie war mir ein Mensch in persön-5 licher Erscheinung so viel und was fragt' ich nach dem, was ich zu vergeben hatte. Ich wust' es ja kaum. Ein (zulezt physisch-)kränklicher Ehrgeiz war seine einzige Schwäche; warum sol aber der Freund nicht den Freund lieben wie die Frau den Man, die Geliebte den Geliebten und an ihm wie der Fromme an Gott, dessen beste Welt ertragen? --10 Jakobi! hätt' ich doch nur einmal dein lebendiges Gesicht gesehen und dein lebendiges Wort gehört: dan möchte von uns welcher wolte zuerst von dannen gehen. --
In Coburg hab' ich mehr Bücher und Menschen und geistreichere -- inzwischen jenseits des Daches doch nicht sehr viel. Forberg hat15 nur dialektische Kraft -- jezt in die geschäftige verloren -- aber keine höhere, welche die andern Kräfte bändigt und erbeutet. Die rechte götliche Philosophie scheint er nicht zu kennen, weil er jezt keine mehr kent. Fichten -- diesem ächt-reinen Weltweisen, kent' er nur jede Welt -- war F.nie zugethan; und deine Vermuthung über20 dessen Kategorien war wahr. Doch preis' ich F's jungfräuliches Ge- sicht und dialektische Befangenheit -- eine philosophische Amazone!
Den Minister Kret[s]chman -- der aus allen deutschen Ecken Geschäfts-Geister ruft (weist du einen? Besoldet wird Er sehr.) -- [304]und noch einige lassen mich blos vergessen, was ich hier oder irgendwo25 suche (seit Herders Tod) oder du in Eutin. Heinrich, war dir denn Voß ein Ganzes, geschweige ein Ganzer, oder sonst jemand und doch bliebst du? -- Deine Jahre sind vielleicht deine Gründe und du sagst: ich kenne den Bettel. Ich aber sage: "ich ziehe lieber: vielleicht find' ich, denn ich habe gefunden." -- -- -- --30
Fries über Reinhold, Kant etc. verdient ein Paar Blicke von dir, blos weil er -- kälter, reiner, logischer*) als alle seine Neben-Kantianer -- mit wenigen logischen Schnitten die Ficht[ischen] und Schelling- schen Glieder-Männer als anorgische [!] Männer hat auseinander fallen lassen. --35
*) Denn der betäubte und betäubende Schellingianismus lässet ordentlich dürsten nach reinem leeren logischen kalten Wasser.
da ich ohnehin ſeit dem zermalmenden Tode Herders nichts mehr habe als einen leeren blauen Himmel der Nacht; und du biſt noch der helle freudige Abendſtern. Ziehe langſam deiner Sonne nach; und gieb noch dem, der dich liebt, dein Auge und deinen Blik. Ach ich habe meinen Herder recht geliebt; denn nie war mir ein Menſch in perſön-5 licher Erſcheinung ſo viel und was fragt’ ich nach dem, was ich zu vergeben hatte. Ich wuſt’ es ja kaum. Ein (zulezt phyſiſch-)kränklicher Ehrgeiz war ſeine einzige Schwäche; warum ſol aber der Freund nicht den Freund lieben wie die Frau den Man, die Geliebte den Geliebten und an ihm wie der Fromme an Gott, deſſen beſte Welt ertragen? —10 Jakobi! hätt’ ich doch nur einmal dein lebendiges Geſicht geſehen und dein lebendiges Wort gehört: dan möchte von uns welcher wolte zuerſt von dannen gehen. —
In Coburg hab’ ich mehr Bücher und Menſchen und geiſtreichere — inzwiſchen jenſeits des Daches doch nicht ſehr viel. Forberg hat15 nur dialektiſche Kraft — jezt in die geſchäftige verloren — aber keine höhere, welche die andern Kräfte bändigt und erbeutet. Die rechte 〈götliche〉 Philoſophie ſcheint er nicht zu kennen, weil er jezt keine mehr kent. Fichten — dieſem ächt-reinen Weltweiſen, kent’ er nur jede Welt — war F.nie zugethan; und deine Vermuthung über20 deſſen Kategorien war wahr. Doch preiſ’ ich F’s jungfräuliches Ge- ſicht und dialektiſche Befangenheit — eine philoſophiſche Amazone!
Den Miniſter Kret[s]chman — der aus allen deutſchen Ecken Geſchäfts-Geiſter ruft (weiſt du einen? Beſoldet wird Er ſehr.) — [304]und noch einige laſſen mich blos vergeſſen, was ich hier oder irgendwo25 ſuche (ſeit Herders Tod) oder du in Eutin. Heinrich, war dir denn Voß ein Ganzes, geſchweige ein Ganzer, oder ſonſt jemand und doch bliebſt du? — Deine Jahre ſind vielleicht deine Gründe und du ſagſt: ich kenne den Bettel. Ich aber ſage: „ich ziehe lieber: vielleicht find’ ich, denn ich habe gefunden.“ — — — —30
Fries über Reinhold, Kant etc. verdient ein Paar Blicke von dir, blos weil er — kälter, reiner, logiſcher*) als alle ſeine Neben-Kantianer — mit wenigen logiſchen Schnitten die Ficht[iſchen] und Schelling- ſchen Glieder-Männer als anorgiſche [!] Männer hat auseinander fallen laſſen. —35
*) Denn der betäubte und betäubende Schellingianiſmus läſſet ordentlich dürſten nach reinem leeren logiſchen kalten Waſſer.
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da ich ohnehin ſeit dem zermalmenden Tode Herders nichts mehr habe
als einen leeren blauen Himmel der Nacht; und du biſt noch der helle
freudige Abendſtern. Ziehe langſam deiner Sonne nach; und gieb
noch dem, der dich liebt, dein Auge und deinen Blik. Ach ich habe
meinen Herder recht geliebt; denn nie war mir ein Menſch in perſön- 5
licher Erſcheinung ſo viel und was fragt’ ich nach dem, was ich zu
vergeben hatte. Ich wuſt’ es ja kaum. Ein (zulezt phyſiſch-)kränklicher
Ehrgeiz war ſeine einzige Schwäche; warum ſol aber der Freund nicht
den Freund lieben wie die Frau den Man, die Geliebte den Geliebten
und an ihm wie der Fromme an Gott, deſſen beſte Welt ertragen? — 10
Jakobi! hätt’ ich doch nur einmal dein lebendiges Geſicht geſehen
und dein lebendiges Wort gehört: dan möchte von uns welcher wolte
zuerſt von dannen gehen. —
In Coburg hab’ ich mehr Bücher und Menſchen und geiſtreichere
— inzwiſchen jenſeits des Daches doch nicht ſehr viel. Forberg hat 15
nur dialektiſche Kraft — jezt in die geſchäftige verloren — aber keine
höhere, welche die andern Kräfte bändigt und erbeutet. Die rechte
〈götliche〉 Philoſophie ſcheint er nicht zu kennen, weil er jezt keine
mehr kent. Fichten — dieſem ächt-reinen Weltweiſen, kent’ er nur
jede Welt — war F. nie zugethan; und deine Vermuthung über 20
deſſen Kategorien war wahr. Doch preiſ’ ich F’s jungfräuliches Ge-
ſicht und dialektiſche Befangenheit — eine philoſophiſche Amazone!
Den Miniſter Kret[s]chman — der aus allen deutſchen Ecken
Geſchäfts-Geiſter ruft (weiſt du einen? Beſoldet wird Er ſehr.) —
und noch einige laſſen mich blos vergeſſen, was ich hier oder irgendwo 25
ſuche (ſeit Herders Tod) oder du in Eutin. Heinrich, war dir denn
Voß ein Ganzes, geſchweige ein Ganzer, oder ſonſt jemand und doch
bliebſt du? — Deine Jahre ſind vielleicht deine Gründe und du ſagſt:
ich kenne den Bettel. Ich aber ſage: „ich ziehe lieber: vielleicht find’
ich, denn ich habe gefunden.“ — — — — 30
[304]Fries über Reinhold, Kant etc. verdient ein Paar Blicke von dir,
blos weil er — kälter, reiner, logiſcher *) als alle ſeine Neben-Kantianer
— mit wenigen logiſchen Schnitten die Ficht[iſchen] und Schelling-
ſchen Glieder-Männer als anorgiſche [!] Männer hat auseinander
fallen laſſen. — 35
*) Denn der betäubte und betäubende Schellingianiſmus läſſet ordentlich dürſten
nach reinem leeren logiſchen kalten Waſſer.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/284>, abgerufen am 16.07.2024.
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