Gute liebe Herder! Was darf ich Ihnen sagen, da Sie ohnehin so viel an fremden Schmerzen leiden und gleich der Witwe eines Fürsten -- und Er war einer -- um und mit einem Lande zugleich5 trauern müssen? Ich möchte lieber zu Ihnen gehen und eine halbe Stunde trostlos sein und dan stum wieder fortgehen. Seit dem Tode meiner Mutter war dies mein herbster Schmerz und ich zermalmte mich immer von neuem und Ihr Brief thats auch wieder; und wär' ich in Weimar, so müst' ich Ihn sehen, und stürb' ich. Es ist freilich nur die10 Trauer um sich selber; denn dieser reine Geist verdiente die reinere Welt o und er war so götlich und so gut, daß ich mir ihn -- wenige fast nur körperliche Schwächen abgerechnet -- fast unverändert,[296] ja recht an seinem Orte in jener heiligen fernen Welt, unter jener hohen Geister-Geselschaft denken kan, welche ist, wenn Gott ist. Sie,15 gute Herder, haben den ewigen Trost und Stolz, daß Sie nichts ge- liebt und gesucht als seine Freude und daß Er diese ewige Aufopferung mit niemand theilte als mit seinen Kindern. Jede Thräne, die Sie früher um ja durch Ihn vergossen, erspar' Ihnen jezt eine. Sie können sagen (und ich wil es betheuern): "ich dachte immer nur an Ihn."20 Dieser einzige Gedanke lindert die Quaal und wenn sein verklärtes Angesicht sich jezt auf die Erde richten kan oder könte: so würde nichts darin stehen als der Gedanke: Sie hat mich geliebt und beglükt und der Ewige geb Ihr noch auf der Erde und durch die Kinder die Freude und den Lohn.25
Und darum dürfen Sie stolz sein, die Geliebte und die Schwester und Mutter und Pflegerin einer grossen Seele gewesen zu sein; Sie können Ihr Geschlecht stolz ansehen.
Für mich ist Weimar auch begraben und nur durch den Herderschen Namen hat es noch Leben. Ja wäre, wenn ich einst käme, niemand30 mehr da als Rinaldo: so sag' ich Ihnen, dies Kind wäre mir mehr als das ganze noch schreibende Autor-Kleeblat. Einmal komm' ich noch hin, um alles zu sehen, was den grossen Namen des Grossen führt; dan hab' ich nichts mehr da zu suchen.
An demselben Tage, wo ich Nachmittags von Prinz Louis35 Seinen Tod erfuhr, hatt' ich Vormittags an Emanuel meine Ahnung geschrieben, daß Er von dannen gehen würde. Ich habe meine
439. An Karoline Herder.
Coburg d. 8 Jenn. 1804.
Gute liebe Herder! Was darf ich Ihnen ſagen, da Sie ohnehin ſo viel an fremden Schmerzen leiden und gleich der Witwe eines Fürſten — und Er war einer — um und mit einem Lande zugleich5 trauern müſſen? Ich möchte lieber zu Ihnen gehen und eine halbe Stunde troſtlos ſein und dan ſtum wieder fortgehen. Seit dem Tode meiner Mutter war dies mein herbſter Schmerz und ich zermalmte mich immer von neuem und Ihr Brief thats auch wieder; und wär’ ich in Weimar, ſo müſt’ ich Ihn ſehen, und ſtürb’ ich. Es iſt freilich nur die10 Trauer um ſich ſelber; denn dieſer reine Geiſt verdiente die reinere Welt o und er war ſo götlich und ſo gut, daß ich mir ihn — wenige faſt nur körperliche Schwächen abgerechnet — faſt unverändert,[296] ja recht an ſeinem Orte in jener heiligen fernen Welt, unter jener hohen Geiſter-Geſelſchaft denken kan, welche iſt, wenn Gott iſt. Sie,15 gute Herder, haben den ewigen Troſt und Stolz, daß Sie nichts ge- liebt und geſucht als ſeine Freude und daß Er dieſe ewige Aufopferung mit niemand theilte als mit ſeinen Kindern. Jede Thräne, die Sie früher um ja durch Ihn vergoſſen, erſpar’ Ihnen jezt eine. Sie können ſagen (und ich wil es betheuern): „ich dachte immer nur an Ihn.“20 Dieſer einzige Gedanke lindert die Quaal und wenn ſein verklärtes Angeſicht ſich jezt auf die Erde richten kan oder könte: ſo würde nichts darin ſtehen als der Gedanke: Sie hat mich geliebt und beglükt und der Ewige geb Ihr noch auf der Erde und durch die Kinder die Freude und den Lohn.25
Und darum dürfen Sie ſtolz ſein, die Geliebte und die Schweſter und Mutter und Pflegerin einer groſſen Seele geweſen zu ſein; Sie können Ihr Geſchlecht ſtolz anſehen.
Für mich iſt Weimar auch begraben und nur durch den Herderschen Namen hat es noch Leben. Ja wäre, wenn ich einſt käme, niemand30 mehr da als Rinaldo: ſo ſag’ ich Ihnen, dies Kind wäre mir mehr als das ganze noch ſchreibende Autor-Kleeblat. Einmal komm’ ich noch hin, um alles zu ſehen, was den groſſen Namen des Groſſen führt; dan hab’ ich nichts mehr da zu ſuchen.
An demſelben Tage, wo ich Nachmittags von Prinz Louis35 Seinen Tod erfuhr, hatt’ ich Vormittags an Emanuel meine Ahnung geſchrieben, daß Er von dannen gehen würde. Ich habe meine
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439. An Karoline Herder.
Coburg d. 8 Jenn. 1804.
Gute liebe Herder! Was darf ich Ihnen ſagen, da Sie ohnehin ſo
viel an fremden Schmerzen leiden und gleich der Witwe eines
Fürſten — und Er war einer — um und mit einem Lande zugleich 5
trauern müſſen? Ich möchte lieber zu Ihnen gehen und eine halbe
Stunde troſtlos ſein und dan ſtum wieder fortgehen. Seit dem Tode
meiner Mutter war dies mein herbſter Schmerz und ich zermalmte
mich immer von neuem und Ihr Brief thats auch wieder; und wär’ ich
in Weimar, ſo müſt’ ich Ihn ſehen, und ſtürb’ ich. Es iſt freilich nur die 10
Trauer um ſich ſelber; denn dieſer reine Geiſt verdiente die reinere
Welt o und er war ſo götlich und ſo gut, daß ich mir ihn — wenige
faſt nur körperliche Schwächen abgerechnet — faſt unverändert,
ja recht an ſeinem Orte in jener heiligen fernen Welt, unter jener
hohen Geiſter-Geſelſchaft denken kan, welche iſt, wenn Gott iſt. Sie, 15
gute Herder, haben den ewigen Troſt und Stolz, daß Sie nichts ge-
liebt und geſucht als ſeine Freude und daß Er dieſe ewige Aufopferung
mit niemand theilte als mit ſeinen Kindern. Jede Thräne, die Sie
früher um ja durch Ihn vergoſſen, erſpar’ Ihnen jezt eine. Sie können
ſagen (und ich wil es betheuern): „ich dachte immer nur an Ihn.“ 20
Dieſer einzige Gedanke lindert die Quaal und wenn ſein verklärtes
Angeſicht ſich jezt auf die Erde richten kan oder könte: ſo würde
nichts darin ſtehen als der Gedanke: Sie hat mich geliebt und beglükt
und der Ewige geb Ihr noch auf der Erde und durch die Kinder die
Freude und den Lohn. 25
[296]Und darum dürfen Sie ſtolz ſein, die Geliebte und die Schweſter
und Mutter und Pflegerin einer groſſen Seele geweſen zu ſein; Sie
können Ihr Geſchlecht ſtolz anſehen.
Für mich iſt Weimar auch begraben und nur durch den Herderschen
Namen hat es noch Leben. Ja wäre, wenn ich einſt käme, niemand 30
mehr da als Rinaldo: ſo ſag’ ich Ihnen, dies Kind wäre mir mehr
als das ganze noch ſchreibende Autor-Kleeblat. Einmal komm’ ich
noch hin, um alles zu ſehen, was den groſſen Namen des Groſſen
führt; dan hab’ ich nichts mehr da zu ſuchen.
An demſelben Tage, wo ich Nachmittags von Prinz Louis 35
Seinen Tod erfuhr, hatt’ ich Vormittags an Emanuel meine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/277>, abgerufen am 16.07.2024.
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