Ich wil Ihren theueren Brief ein wenig beantworten. Ich nehme den herzlichsten Antheil am Glücke Ihrer Tochter, d. h. an Ihrem. Sie, Edle, geniessen jezt den Himmel vielleicht überal nur durch Reflex, und müssen überal ihn geben um ihn zu haben. Jener Unendliche droben wird Sie zulezt belohnen, der5 den Menschen früher beschenkt als belohnt. Er giebt dem ver- dienstlosen Kinde, und versagt dem verdienten Menschen, aber zur Ausgleichung gehört mehr als eine Welt. Der Mensch thut immer, als lebe Gott nur so lange als er: steht denn nicht die dreifache Unendlichkeit der Zeiten, der Welten und der Kräfte10 offen?
Auf Ihre Frage antworte ich, daß ich jezt den Titan mit dem vierten Band geendigt, dessen dritten und vierten Band ich Ihnen zu lesen rathe.
Ich bin glüklich durch meine Caroline und durch meine15 Emma, die vielleicht noch in diesem Monat einen Bruder oder eine Schwester erhält. Sonst aber, rechne ich die Nachbarschaft meines Herzens ab, find' ich das Leben leer und kalt, das sogar der Jugendlenz mit seinen bunten Nebeln mehr dekt als fült.
Schliessen Sie nie aus meinem Schweigen, dieses schadet sogar[274]20 nicht, sobald die Seele von Jahr zu Jahr dieselbe Unveränderlich- keit zu malen hat.
Unendlich sehne ich mich nach einer Wiederkehr unserer schönsten Stunden, Josephine! Ich weis gewis, das Schiksal ge- währt sie auch, aber es wird zögern, auch wo es nicht versagt. --25 Mög' es Ihnen nie den Trost Ihres schönen Herzens versagen -- vom Lohne sprech' ich nicht, und glauben Sie immer an die un- auslöschliche Liebe Ihres fortliebenden Freundes
Richter.
415. An Ahlefeldt.30
Coburg d. 22. Okt. 1803.
Lieber Bruder! Du weist noch kein geschriebnes Wort davon, daß ich in Coburg bin -- daß ich im November wieder taufen lasse -- daß meine Emma das schönste Kind in der Stadt ist -- daß Ernestine zur Hülfe meiner Frau auf 3 Wochen hier bleibt -- und daß ich nicht35 begreife, warum du schweigst. Dauert denn dein altes Schneckenhaus-
Ich wil Ihren theueren Brief ein wenig beantworten. Ich nehme den herzlichsten Antheil am Glücke Ihrer Tochter, d. h. an Ihrem. Sie, Edle, geniessen jezt den Himmel vielleicht überal nur durch Reflex, und müssen überal ihn geben um ihn zu haben. Jener Unendliche droben wird Sie zulezt belohnen, der5 den Menschen früher beschenkt als belohnt. Er giebt dem ver- dienstlosen Kinde, und versagt dem verdienten Menschen, aber zur Ausgleichung gehört mehr als eine Welt. Der Mensch thut immer, als lebe Gott nur so lange als er: steht denn nicht die dreifache Unendlichkeit der Zeiten, der Welten und der Kräfte10 offen?
Auf Ihre Frage antworte ich, daß ich jezt den Titan mit dem vierten Band geendigt, dessen dritten und vierten Band ich Ihnen zu lesen rathe.
Ich bin glüklich durch meine Caroline und durch meine15 Emma, die vielleicht noch in diesem Monat einen Bruder oder eine Schwester erhält. Sonst aber, rechne ich die Nachbarschaft meines Herzens ab, find’ ich das Leben leer und kalt, das sogar der Jugendlenz mit seinen bunten Nebeln mehr dekt als fült.
Schliessen Sie nie aus meinem Schweigen, dieses schadet sogar[274]20 nicht, sobald die Seele von Jahr zu Jahr dieselbe Unveränderlich- keit zu malen hat.
Unendlich sehne ich mich nach einer Wiederkehr unserer schönsten Stunden, Josephine! Ich weis gewis, das Schiksal ge- währt sie auch, aber es wird zögern, auch wo es nicht versagt. —25 Mög’ es Ihnen nie den Trost Ihres schönen Herzens versagen — vom Lohne sprech’ ich nicht, und glauben Sie immer an die un- auslöschliche Liebe Ihres fortliebenden Freundes
Richter.
415. An Ahlefeldt.30
Coburg d. 22. Okt. 1803.
Lieber Bruder! Du weiſt noch kein geſchriebnes Wort davon, daß ich in Coburg bin — daß ich im November wieder taufen laſſe — daß meine Emma das ſchönſte Kind in der Stadt iſt — daß Ernestine zur Hülfe meiner Frau auf 3 Wochen hier bleibt — und daß ich nicht35 begreife, warum du ſchweigſt. Dauert denn dein altes Schneckenhaus-
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Ich wil Ihren theueren Brief ein wenig beantworten. Ich nehme
den herzlichsten Antheil am Glücke Ihrer Tochter, d. h. an
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nur durch Reflex, und müssen überal ihn geben um ihn zu
haben. Jener Unendliche droben wird Sie zulezt belohnen, der 5
den Menschen früher beschenkt als belohnt. Er giebt dem ver-
dienstlosen Kinde, und versagt dem verdienten Menschen, aber
zur Ausgleichung gehört mehr als eine Welt. Der Mensch thut
immer, als lebe Gott nur so lange als er: steht denn nicht die
dreifache Unendlichkeit der Zeiten, der Welten und der Kräfte 10
offen?
Auf Ihre Frage antworte ich, daß ich jezt den Titan mit dem
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zu lesen rathe.
Ich bin glüklich durch meine Caroline und durch meine 15
Emma, die vielleicht noch in diesem Monat einen Bruder oder
eine Schwester erhält. Sonst aber, rechne ich die Nachbarschaft
meines Herzens ab, find’ ich das Leben leer und kalt, das sogar
der Jugendlenz mit seinen bunten Nebeln mehr dekt als fült.
Schliessen Sie nie aus meinem Schweigen, dieses schadet sogar 20
nicht, sobald die Seele von Jahr zu Jahr dieselbe Unveränderlich-
keit zu malen hat.
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Unendlich sehne ich mich nach einer Wiederkehr unserer
schönsten Stunden, Josephine! Ich weis gewis, das Schiksal ge-
währt sie auch, aber es wird zögern, auch wo es nicht versagt. — 25
Mög’ es Ihnen nie den Trost Ihres schönen Herzens versagen —
vom Lohne sprech’ ich nicht, und glauben Sie immer an die un-
auslöschliche Liebe Ihres fortliebenden Freundes
Richter.
415. An Ahlefeldt. 30
Coburg d. 22. Okt. 1803.
Lieber Bruder! Du weiſt noch kein geſchriebnes Wort davon, daß
ich in Coburg bin — daß ich im November wieder taufen laſſe — daß
meine Emma das ſchönſte Kind in der Stadt iſt — daß Ernestine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/257>, abgerufen am 16.07.2024.
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