gallisiere und endlich ganz; aber nichts davon wisse. Freilich begräbt die Zeit diese Sprach-Verpestung jedes Jahr um einige Schuhe tiefer.
Coburg. d. 8. Sept. 1803.
Guter Heinrich! Alles hab' ich erhalten, nichts gelitten und doch geschwiegen. Auch bei dem Schweigen kostets nur den ersten Schrit.5 [264]Als ich lange auf dein Buch warten muste: kam ich überhaupt ins aktive Warten; und dan -- da du mich doch immer ins passive seztest und einmal 1 Jahr auf zwei Antworten lauern liessest -- glaubt' ich, ich könte so wohl gar noch etwas erringen. Doch Sommerreisen und starkes Arbeiten sind auch meine Advokaten. -- Jezt hab' ich mir10 geschworen, leider deine Krankheit immer vorauszusezen und daher nach nichts zu verlangen als was ich -- bekommen.
Über deine 3. Schellings Briefe! So vortreflich der 1. geschrieben ist -- da du, ungleich unsern andern transßend[enten] Schreib- Meistern durch Alter an Stil gewinst -- so steht er doch als blosse15 faktische Darstellung der falschen, weit dem eigentlich philosophischen nach, nämlich er war fast entbehrlich, da ja Schelling gedrukt ist und du zu lange von dir sprechen must. Aber im 2ten herschet deine grosse Philosophier-Manier, die den Körper des fremden Systems durch den aus dessen Blute extrahierten Geist mit einigen Tropfen umbringt.20 Dein einziges Gleichnis p. 252 1 -- 1 = ist in dieser Sache ein Buch werth; und ist noch dazu mehr eine Gleichung als ein Gleichnis. Und das 2te vom Gelde. -- Gott und der Arzt gebe, daß du dein Ver- sprechen p. 274 hältst. Wizig polierst du den Dreieinigkeits Ring, aber Schade ist, daß du einen Edelstein, den du mir aus Hamburg darin25 mitgeschikt, daraus ausgebrochen. Dein Köppen ist klar und tief aus deinem Meer geflossen. Man hört ihn wachsen, so schnel. Doch gelten viele Einwürfe gegen Schellings Absolutum auch gegen jedes, gegen jeden Gott, wenn er in Worte und Begriffe verkörpert werden sol.
Über Schillers Braut? Das würde zu lang für meine Eile. Doch30 halt' ich sie für griechischer als den Wallenstein. Auch las ich sie nur fliehend im Mspt.
Linda? -- Himmel! wie kontest du, ja sogar irgend jemand hier irren? Ihr Denken, Lieben und Fallen halt' ich für mein bestes Werk. Aber wie sol ich, ohne eines zu machen, dieses vertheidigen? Titan35 solte heissen Anti-Titan; jeder Himmelsstürmer findet seine Hölle;
galliſiere und endlich ganz; aber nichts davon wiſſe. Freilich begräbt die Zeit dieſe Sprach-Verpeſtung jedes Jahr um einige Schuhe tiefer.
Coburg. d. 8. Sept. 1803.
Guter Heinrich! Alles hab’ ich erhalten, nichts gelitten und doch geſchwiegen. Auch bei dem Schweigen koſtets nur den erſten Schrit.5 [264]Als ich lange auf dein Buch warten muſte: kam ich überhaupt ins aktive Warten; und dan — da du mich doch immer ins paſſive ſezteſt und einmal 1 Jahr auf zwei Antworten lauern lieſſeſt — glaubt’ ich, ich könte ſo wohl gar noch etwas erringen. Doch Sommerreiſen und ſtarkes Arbeiten ſind auch meine Advokaten. — Jezt hab’ ich mir10 geſchworen, leider deine Krankheit immer vorauszuſezen und daher nach nichts zu verlangen als was ich — bekommen.
Über deine 3. Schellings Briefe! So vortreflich der 1. geſchrieben iſt — da du, ungleich unſern andern transſzend[enten] Schreib- Meiſtern durch Alter an Stil gewinſt — ſo ſteht er doch als bloſſe15 faktiſche Darſtellung der falſchen, weit dem eigentlich philoſophiſchen nach, nämlich er war faſt entbehrlich, da ja Schelling gedrukt iſt und du zu lange von dir ſprechen muſt. Aber im 2ten herſchet deine groſſe Philoſophier-Manier, die den Körper des fremden Syſtems durch den aus deſſen Blute extrahierten Geiſt mit einigen Tropfen umbringt.20 Dein einziges Gleichnis p. 252 1 — 1 = iſt in dieſer Sache ein Buch werth; und iſt noch dazu mehr eine Gleichung als ein Gleichnis. Und das 2te vom Gelde. — Gott und der Arzt gebe, daß du dein Ver- ſprechen p. 274 hältſt. Wizig polierſt du den Dreieinigkeits Ring, aber Schade iſt, daß du einen Edelſtein, den du mir aus Hamburg darin25 mitgeſchikt, daraus ausgebrochen. Dein Köppen iſt klar und tief aus deinem Meer gefloſſen. Man hört ihn wachſen, ſo ſchnel. Doch gelten viele Einwürfe gegen Schellings Abſolutum auch gegen jedes, gegen jeden Gott, wenn er in Worte und Begriffe verkörpert werden ſol.
Über Schillers Braut? Das würde zu lang für meine Eile. Doch30 halt’ ich ſie für griechiſcher als den Wallenstein. Auch las ich ſie nur fliehend im Mſpt.
Linda? — Himmel! wie konteſt du, ja ſogar irgend jemand hier irren? Ihr Denken, Lieben und Fallen halt’ ich für mein beſtes Werk. Aber wie ſol ich, ohne eines zu machen, dieſes vertheidigen? Titan35 ſolte heiſſen Anti-Titan; jeder Himmelsſtürmer findet ſeine Hölle;
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Coburg. d. 8. Sept. 1803.
Guter Heinrich! Alles hab’ ich erhalten, nichts gelitten und doch
geſchwiegen. Auch bei dem Schweigen koſtets nur den erſten Schrit. 5
Als ich lange auf dein Buch warten muſte: kam ich überhaupt ins
aktive Warten; und dan — da du mich doch immer ins paſſive ſezteſt
und einmal 1 Jahr auf zwei Antworten lauern lieſſeſt — glaubt’ ich,
ich könte ſo wohl gar noch etwas erringen. Doch Sommerreiſen und
ſtarkes Arbeiten ſind auch meine Advokaten. — Jezt hab’ ich mir 10
geſchworen, leider deine Krankheit immer vorauszuſezen und daher nach
nichts zu verlangen als was ich — bekommen.
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Über deine 3. Schellings Briefe! So vortreflich der 1. geſchrieben
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Meiſtern durch Alter an Stil gewinſt — ſo ſteht er doch als bloſſe 15
faktiſche Darſtellung der falſchen, weit dem eigentlich philoſophiſchen
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du zu lange von dir ſprechen muſt. Aber im 2ten herſchet deine groſſe
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Und das 2te vom Gelde. — Gott und der Arzt gebe, daß du dein Ver-
ſprechen p. 274 hältſt. Wizig polierſt du den Dreieinigkeits Ring, aber
Schade iſt, daß du einen Edelſtein, den du mir aus Hamburg darin 25
mitgeſchikt, daraus ausgebrochen. Dein Köppen iſt klar und tief aus
deinem Meer gefloſſen. Man hört ihn wachſen, ſo ſchnel. Doch gelten
viele Einwürfe gegen Schellings Abſolutum auch gegen jedes, gegen
jeden Gott, wenn er in Worte und Begriffe verkörpert werden ſol.
Über Schillers Braut? Das würde zu lang für meine Eile. Doch 30
halt’ ich ſie für griechiſcher als den Wallenstein. Auch las ich ſie nur
fliehend im Mſpt.
Linda? — Himmel! wie konteſt du, ja ſogar irgend jemand hier
irren? Ihr Denken, Lieben und Fallen halt’ ich für mein beſtes Werk.
Aber wie ſol ich, ohne eines zu machen, dieſes vertheidigen? Titan 35
ſolte heiſſen Anti-Titan; jeder Himmelsſtürmer findet ſeine Hölle;
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/244>, abgerufen am 16.07.2024.
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