Thieriots Hofmeisterthum war mir eben so unangenehm -- da er bei allen Talenten doch keine Kraft der Konsequenz und Methode, nur zerrissene Kentnisse und nicht die Gewandtheit der augenbliklichen Be- handlung kurz unendlich wenig von einem Lehrer hat -- als angenehm, da er ganz gewis einen sehr guten Eleven erziehen wird, nämlich sich[239]5 selber. Die moralische und wissenschaftliche Konsequenz Stätigkeit, welche Kinder fodern, bekomt er da Gelegenheit zu suchen und zu lernen. Wahrscheinlich wird er auch der Md. Stael gefallen. Erziehen erzieht meist nur den Erzieher.
-- Meinem Bier zufolge dürft' ich etwan in 10 oder 12 Tagen10 abgehen nach Coburg. Der ganze Mai wird köstlich, der Juny ver- mischt, July schlecht, August und Sept. schön. Weiter reicht kein Blik. -- In Coburg ist herliches Coburger Bier. -- Die Sage mit meinem engen Logis kam durch die Frage eines hiesigen Fräuleins an eine dortige Edelfrau hieher. Kein Wort wahr; denn ich fragte und15 fluchte sogleich gehörigen Orts. -- Der Herzog (den ich recht liebend und gerührt, auf beiden Seiten, verlasse) behauptet steif, Sie hätten in Herders Adrastea den Aufsaz über die Juden gemacht. Ich sagte, ich dächte kaum. -- Auf den Titan pass' ich täglich, um an Otto in diesem briefdürren Jahre einmal zu schreiben, wiewohl ers selber an-20 gefangen. Ich schicke Euch ganze frankierte Lasten fremder Briefe zu -- was doch immer viel ist -- und Ihr beide mir keinen. Grüssen Sie ihn und er sol vergeben. Ich wolte, er beschämte mich und schriebe. -- Die briefstellerische Bescheidenheit meiner C. ist eine wahre, sie lässet daher (ob ich gleich ihre Briefe allen andern weiblichen vor-25 ziehe) mich ungern und nicht oft sie lesen.
Meine Frau ist ziemlich und so weit wohl als es sein kan, wenn ich im künftigen Dezember wieder dem Kreuzschnabel und Moose gleichen sol, welche beide wie bekant gegen die Naturgewohnheit ge- rade mitten in der Kälte äzen und blühen. -- Ihr Denken und Schauen30 auf das geliebte Grab des guten Schaefers, der in anderm Sin auch seine Moosblüte in einem winterlichen Leben trieb und der nur halb genüzt vorüberflog, war mir sehr rührend. Leben Sie wohl, mein immer Guter! --
C. grüsset sehr. Sie hätte etwas darunter geschrieben, wäre [nicht]35 mein Obiges.
Es ist einerlei wohin Sie schreiben, da die Posten alles wissen.
Thieriots Hofmeiſterthum war mir eben ſo unangenehm — da er bei allen Talenten doch keine Kraft der Konſequenz und Methode, nur zerriſſene Kentniſſe und nicht die Gewandtheit der augenbliklichen Be- handlung kurz unendlich wenig von einem Lehrer hat — als angenehm, da er ganz gewis einen ſehr guten Eleven erziehen wird, nämlich ſich[239]5 ſelber. Die moraliſche und wiſſenſchaftliche Konſequenz 〈Stätigkeit〉, welche Kinder fodern, bekomt er da Gelegenheit zu ſuchen und zu lernen. Wahrſcheinlich wird er auch der Md. Stael gefallen. Erziehen erzieht meiſt nur den Erzieher.
— Meinem Bier zufolge dürft’ ich etwan in 10 oder 12 Tagen10 abgehen nach Coburg. Der ganze Mai wird köſtlich, der Juny ver- miſcht, July ſchlecht, Auguſt und Sept. ſchön. Weiter reicht kein Blik. — In Coburg iſt herliches Coburger Bier. — Die Sage mit meinem engen Logis kam durch die Frage eines hieſigen Fräuleins an eine dortige Edelfrau hieher. Kein Wort wahr; denn ich fragte und15 fluchte ſogleich gehörigen Orts. — Der Herzog (den ich recht liebend und gerührt, auf beiden Seiten, verlaſſe) behauptet ſteif, Sie hätten in Herders Adrastea den Aufſaz über die Juden gemacht. Ich ſagte, ich dächte kaum. — Auf den Titan paſſ’ ich täglich, um an Otto in dieſem briefdürren Jahre einmal zu ſchreiben, wiewohl ers ſelber an-20 gefangen. Ich ſchicke Euch ganze frankierte Laſten fremder Briefe zu — was doch immer viel iſt — und Ihr beide mir keinen. Grüſſen Sie ihn und er ſol vergeben. Ich wolte, er beſchämte mich und ſchriebe. — Die briefſtelleriſche Beſcheidenheit meiner C. iſt eine wahre, ſie läſſet daher (ob ich gleich ihre Briefe allen andern weiblichen vor-25 ziehe) mich ungern und nicht oft ſie leſen.
Meine Frau iſt ziemlich und ſo weit wohl als es ſein kan, wenn ich im künftigen Dezember wieder dem Kreuzſchnabel und Mooſe gleichen ſol, welche beide wie bekant gegen die Naturgewohnheit ge- rade mitten in der Kälte äzen und blühen. — Ihr Denken und Schauen30 auf das geliebte Grab des guten Schaefers, der in anderm Sin auch ſeine Moosblüte in einem winterlichen Leben trieb und der nur halb genüzt vorüberflog, war mir ſehr rührend. Leben Sie wohl, mein immer Guter! —
C. grüſſet ſehr. Sie hätte etwas darunter geſchrieben, wäre [nicht]35 mein Obiges.
Es iſt einerlei wohin Sie ſchreiben, da die Poſten alles wiſſen.
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Thieriots Hofmeiſterthum war mir eben ſo unangenehm — da er
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handlung kurz unendlich wenig von einem Lehrer hat — als angenehm,
da er ganz gewis einen ſehr guten Eleven erziehen wird, nämlich ſich 5
ſelber. Die moraliſche und wiſſenſchaftliche Konſequenz 〈Stätigkeit〉,
welche Kinder fodern, bekomt er da Gelegenheit zu ſuchen und zu
lernen. Wahrſcheinlich wird er auch der Md. Stael gefallen. Erziehen
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— Meinem Bier zufolge dürft’ ich etwan in 10 oder 12 Tagen 10
abgehen nach Coburg. Der ganze Mai wird köſtlich, der Juny ver-
miſcht, July ſchlecht, Auguſt und Sept. ſchön. Weiter reicht kein
Blik. — In Coburg iſt herliches Coburger Bier. — Die Sage mit
meinem engen Logis kam durch die Frage eines hieſigen Fräuleins an
eine dortige Edelfrau hieher. Kein Wort wahr; denn ich fragte und 15
fluchte ſogleich gehörigen Orts. — Der Herzog (den ich recht liebend
und gerührt, auf beiden Seiten, verlaſſe) behauptet ſteif, Sie hätten
in Herders Adrastea den Aufſaz über die Juden gemacht. Ich ſagte,
ich dächte kaum. — Auf den Titan paſſ’ ich täglich, um an Otto in
dieſem briefdürren Jahre einmal zu ſchreiben, wiewohl ers ſelber an- 20
gefangen. Ich ſchicke Euch ganze frankierte Laſten fremder Briefe
zu — was doch immer viel iſt — und Ihr beide mir keinen. Grüſſen
Sie ihn und er ſol vergeben. Ich wolte, er beſchämte mich und ſchriebe.
— Die briefſtelleriſche Beſcheidenheit meiner C. iſt eine wahre, ſie
läſſet daher (ob ich gleich ihre Briefe allen andern weiblichen vor- 25
ziehe) mich ungern und nicht oft ſie leſen.
Meine Frau iſt ziemlich und ſo weit wohl als es ſein kan, wenn
ich im künftigen Dezember wieder dem Kreuzſchnabel und Mooſe
gleichen ſol, welche beide wie bekant gegen die Naturgewohnheit ge-
rade mitten in der Kälte äzen und blühen. — Ihr Denken und Schauen 30
auf das geliebte Grab des guten Schaefers, der in anderm Sin auch
ſeine Moosblüte in einem winterlichen Leben trieb und der nur halb
genüzt vorüberflog, war mir ſehr rührend. Leben Sie wohl, mein
immer Guter! —
C. grüſſet ſehr. Sie hätte etwas darunter geſchrieben, wäre [nicht] 35
mein Obiges.
Es iſt einerlei wohin Sie ſchreiben, da die Poſten alles wiſſen.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/222>, abgerufen am 16.02.2025.
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