mehr optisch als akustisch ist) an der Darstellung menschlicher Ver- hältnisse, in welche Musik nur einwürkt.] -- daß die Zeichnung -- der epische oder dramatische Umris -- das halbe Kolorit ersparen und das Lyrische erst recht grundieren werde. Die Farben dürfen nicht an Farben sondern an Figuren verschwendet werden. Fahren Sie5 fort, auf die Zeichnung Fleis zu verwenden, und ich werde neuen Dichtungen von Ihnen mit Freude entgegensehen.
J. P. Fr. Richter
337. An Knebel.
Meiningen d. 6. Jenn. 1803.10
Schwer entsinn' ich mich des Briefes, auf den Sie mir -- und viel- leicht auf der Stelle -- antworteten; denn Ihnen wird das Auf- brechen schwerer als andern das Beantworten. Indes wenn Sie auch meinen Dank für meine Freude über Ihre briefliche und poetische Erscheinung erst im Jahre lesen, wo ich Ihre Antwort erwarte,15 nämlich 1804.: so sein Sie doch gewis, daß er da noch lebt und grünt im künftigen Schnee. Ihre Luna hat, wie der Volmond im Winter- solstiz, den Gang der Sommersonne und sie überdämmerte mich schön mit ihrem antiken Wiederschein des griechischen Apollo; ob sie gleich auch hier ihren Wechsel-Sin durch einige Einheits-Lücken behauptet20 hat. Sie fassen schön neue Kraft in alte Form.
Heim, der genialischte Mensch in Meiningen -- in der Geschichte, Chemie, im Amte und überal -- dankt Ihnen sehr für die prosaische und poetische Freude zugleich.
Ihn und den Herzog -- den ich immer mehr achten lerne -- ver-25 lasse ich ungern und schmerzlich im künftigen Mai: denn da zieh' ich nach Koburg; und ich möchte dies in Ihr Gedächtnis graben, damit mich Ihre nächste Antwort nicht verfehle. Auf meinen Titan wünscht' ich sehr eine von Ihnen, weil ich im 2. und noch mehr im 3. Band (und am meisten im 4ten oder lezten) endlich auf die rechte olympische30 Musen-Bahn gekommen zu sein glaube, die nicht wie ich sonst dachte, nach Stärke, sondern nach Schönheit, nicht nach dicken Früchten, son- dern nach zarten Blüten ausgeht. Den Übersezer und Wetläufer des Properz hört' ich so gern darüber! Aber er wil die Federn in seinem[220] Flügel lieber zum Fliegen heben als zum Schreiben ausziehen.35
Übrigens leb' ich hier -- unter meinem Dache -- etwas seelig, habe Frau und Kind wie sie mein Herz begehrt, schreibe immer
mehr optiſch als akuſtiſch iſt) an der Darſtellung menſchlicher Ver- hältniſſe, in welche Muſik nur einwürkt.] — daß die Zeichnung — der epiſche oder dramatiſche Umris — das halbe Kolorit erſparen und das Lyriſche erſt recht grundieren werde. Die Farben dürfen nicht an Farben ſondern an Figuren verſchwendet werden. Fahren Sie5 fort, auf die Zeichnung Fleis zu verwenden, und ich werde neuen Dichtungen von Ihnen mit Freude entgegenſehen.
J. P. Fr. Richter
337. An Knebel.
Meiningen d. 6. Jenn. 1803.10
Schwer entſinn’ ich mich des Briefes, auf den Sie mir — und viel- leicht auf der Stelle — antworteten; denn Ihnen wird das Auf- brechen ſchwerer als andern das Beantworten. Indes wenn Sie auch meinen Dank für meine Freude über Ihre briefliche und poetiſche Erſcheinung erſt im Jahre leſen, wo ich Ihre Antwort erwarte,15 nämlich 1804.: ſo ſein Sie doch gewis, daß er da noch lebt und grünt im künftigen Schnee. Ihre Luna hat, wie der Volmond im Winter- ſolſtiz, den Gang der Sommerſonne und ſie überdämmerte mich ſchön mit ihrem antiken Wiederſchein des griechiſchen Apollo; ob ſie gleich auch hier ihren Wechſel-Sin durch einige Einheits-Lücken behauptet20 hat. Sie faſſen ſchön neue Kraft in alte Form.
Heim, der genialiſchte Menſch in Meiningen — in der Geſchichte, Chemie, im Amte und überal — dankt Ihnen ſehr für die proſaiſche und poetiſche Freude zugleich.
Ihn und den Herzog — den ich immer mehr achten lerne — ver-25 laſſe ich ungern und ſchmerzlich im künftigen Mai: denn da zieh’ ich nach Koburg; und ich möchte dies in Ihr Gedächtnis graben, damit mich Ihre nächſte Antwort nicht verfehle. Auf meinen Titan wünſcht’ ich ſehr eine von Ihnen, weil ich im 2. und noch mehr im 3. Band (und am meiſten im 4ten oder lezten) endlich auf die rechte olympiſche30 Muſen-Bahn gekommen zu ſein glaube, die nicht wie ich ſonſt dachte, nach Stärke, ſondern nach Schönheit, nicht nach dicken Früchten, ſon- dern nach zarten Blüten ausgeht. Den Überſezer und Wetläufer des Properz hört’ ich ſo gern darüber! Aber er wil die Federn in ſeinem[220] Flügel lieber zum Fliegen heben als zum Schreiben ausziehen.35
Übrigens leb’ ich hier — unter meinem Dache — etwas ſeelig, habe Frau und Kind wie ſie mein Herz begehrt, ſchreibe immer
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[197/0204]
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epiſche oder dramatiſche Umris — das halbe Kolorit erſparen und
das Lyriſche erſt recht grundieren werde. Die Farben dürfen nicht
an Farben ſondern an Figuren verſchwendet werden. Fahren Sie 5
fort, auf die Zeichnung Fleis zu verwenden, und ich werde neuen
Dichtungen von Ihnen mit Freude entgegenſehen.
J. P. Fr. Richter
337. An Knebel.
Meiningen d. 6. Jenn. 1803. 10
Schwer entſinn’ ich mich des Briefes, auf den Sie mir — und viel-
leicht auf der Stelle — antworteten; denn Ihnen wird das Auf-
brechen ſchwerer als andern das Beantworten. Indes wenn Sie auch
meinen Dank für meine Freude über Ihre briefliche und poetiſche
Erſcheinung erſt im Jahre leſen, wo ich Ihre Antwort erwarte, 15
nämlich 1804.: ſo ſein Sie doch gewis, daß er da noch lebt und grünt
im künftigen Schnee. Ihre Luna hat, wie der Volmond im Winter-
ſolſtiz, den Gang der Sommerſonne und ſie überdämmerte mich ſchön
mit ihrem antiken Wiederſchein des griechiſchen Apollo; ob ſie gleich
auch hier ihren Wechſel-Sin durch einige Einheits-Lücken behauptet 20
hat. Sie faſſen ſchön neue Kraft in alte Form.
Heim, der genialiſchte Menſch in Meiningen — in der Geſchichte,
Chemie, im Amte und überal — dankt Ihnen ſehr für die proſaiſche
und poetiſche Freude zugleich.
Ihn und den Herzog — den ich immer mehr achten lerne — ver- 25
laſſe ich ungern und ſchmerzlich im künftigen Mai: denn da zieh’ ich
nach Koburg; und ich möchte dies in Ihr Gedächtnis graben, damit
mich Ihre nächſte Antwort nicht verfehle. Auf meinen Titan wünſcht’
ich ſehr eine von Ihnen, weil ich im 2. und noch mehr im 3. Band (und
am meiſten im 4ten oder lezten) endlich auf die rechte olympiſche 30
Muſen-Bahn gekommen zu ſein glaube, die nicht wie ich ſonſt dachte,
nach Stärke, ſondern nach Schönheit, nicht nach dicken Früchten, ſon-
dern nach zarten Blüten ausgeht. Den Überſezer und Wetläufer des
Properz hört’ ich ſo gern darüber! Aber er wil die Federn in ſeinem
Flügel lieber zum Fliegen heben als zum Schreiben ausziehen. 35
[220]Übrigens leb’ ich hier — unter meinem Dache — etwas ſeelig,
habe Frau und Kind wie ſie mein Herz begehrt, ſchreibe immer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/204>, abgerufen am 16.07.2024.
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