[ge]bauet ist -- die Stadt 100 Dinge hat, die hier fehlen -- wenigstens einige Liebhaber der Philosophie und Kunst (z. B. Forberg) -- da ich Sontags am Hofe dinierte und theeirte -- die Herzogin (meine brünstigste Leserin) und noch eine ungesehene kranke Prinzessin so treflich fand und den Herzog so gut und die Grosfürstin so schön und5 alles so familienmässig und viele Weiber gebildet und den M[inister] Kretschman als einen herlichen philosophischen recht geachteten Kopf (sas neben ihm bei Tafel; seine Physiognomie hat indes etwas von Gentz seiner, insofern sie das Zifferblat des Herzens ist) und da ich abends bei ihm essen solte (aber nicht konte, weil mir so schlecht war,10 daß ich neben der Herzogin sizend und froh redend doch 5mal unge- sehen ins Schnupftuch schwach spie) -- und der Bücher wegen und weil Meiningen ein Dorf dagegen ist und ich Euch und dem Biere näher bin: so zieh' ich im April entschieden nach Coburg. Gute Nacht!15
Köpfe und meiner hörte selber hört' ich über Kretschman reden; nur sie stelt er an; aus der Philosophie reisset er sie heraus in die Geschäfte (Forberg und mehr.) -- kurz er achtet Kraft, weil er[213] sie hat. Ich wolte, ich hätte nicht vomiert, sondern bei ihm soupiert.
330. An Herzog Georg von Meiningen.20
[Kopie][Meiningen, 15. Nov. 1802]
Bishieher [?] bat ich [Ihro Durchlaucht] immer um etwas Körper- liches -- um Bier -- um einen Pas für Kanne -- um einen für Spiz -- um Quartier im Felsenkeller -- um Almanache. Jezt bitt' ich Sie um etwas Wicht[igeres] und Geistiges, um ein sanftes vergebendes,25 von Ihrem Geist zu meinem, aber erst im Mai gesprochnes Lebewohl, wenn ich als die ewige Wanderratte im Frühling nach Coburg wandere mit Frau und Kind und Hund. Nur die Beweise Ihrer Güte gegen mich können mich entschuldigen, daß ich die Mittheilung einer so unbedeutenden, und nur für mich wichtigen Nachricht unter meine30 Pflichten gegen Ihro Durchlaucht rechne. -- etc. Meine Hochachtende Liebe für den Fürsten, der den Menschen so schön mit dem Fürsten und das Herz mit dem Rang vereinigt, erlaubte es mir nicht, daß ich Sie später oder von andern Lippen erfahren lies, daß Ihr glükliches Land um -- Einen Man ärmer geworden im künftigen Mai. Nie35 werd' ich dem menschenfreundlichen Fürsten zu danken aufhören, der
[ge]bauet iſt — die Stadt 100 Dinge hat, die hier fehlen — wenigſtens einige Liebhaber der Philoſophie und Kunſt (z. B. Forberg) — da ich Sontags am Hofe dinierte und théeirte — die Herzogin (meine brünſtigſte Leſerin) und noch eine ungeſehene kranke Prinzeſſin ſo treflich fand und den Herzog ſo gut und die Grosfürſtin ſo ſchön und5 alles ſo familienmäſſig und viele Weiber gebildet und den M[iniſter] Kretſchman als einen herlichen philoſophiſchen recht geachteten Kopf (ſas neben ihm bei Tafel; ſeine Phyſiognomie hat indes etwas von Gentz ſeiner, inſofern ſie das Zifferblat des Herzens iſt) und da ich abends bei ihm eſſen ſolte (aber nicht konte, weil mir ſo ſchlecht war,10 daß ich neben der Herzogin ſizend und froh redend doch 5mal unge- ſehen ins Schnupftuch ſchwach ſpie) — und der Bücher wegen und weil Meiningen ein Dorf dagegen iſt und ich Euch und dem Biere näher bin: ſo zieh’ ich im April entſchieden nach Coburg. Gute Nacht!15
Köpfe 〈und meiner hörte ſelber〉 hört’ ich über Kretschman reden; nur ſie ſtelt er an; aus der Philoſophie reiſſet er ſie heraus in die Geſchäfte (Forberg und mehr.) — kurz er achtet Kraft, weil er[213] ſie hat. Ich wolte, ich hätte nicht vomiert, ſondern bei ihm ſoupiert.
330. An Herzog Georg von Meiningen.20
[Kopie][Meiningen, 15. Nov. 1802]
Bishieher [?] bat ich [Ihro Durchlaucht] immer um etwas Körper- liches — um Bier — um einen Pas für Kanne — um einen für Spiz — um Quartier im Felſenkeller — um Almanache. Jezt bitt’ ich Sie um etwas Wicht[igeres] und Geiſtiges, um ein ſanftes vergebendes,25 von Ihrem Geiſt zu meinem, aber erſt im Mai geſprochnes Lebewohl, wenn ich als die ewige Wanderratte im Frühling nach Coburg wandere mit Frau und Kind und Hund. Nur die Beweiſe Ihrer Güte gegen mich können mich entſchuldigen, daß ich die Mittheilung einer ſo unbedeutenden, und nur für mich wichtigen Nachricht unter meine30 Pflichten gegen Ihro Durchlaucht rechne. — ꝛc. Meine Hochachtende Liebe für den Fürſten, der den Menſchen ſo ſchön mit dem Fürſten und das Herz mit dem Rang vereinigt, erlaubte es mir nicht, daß ich Sie ſpäter oder von andern Lippen erfahren lies, daß Ihr glükliches Land um — Einen Man ärmer geworden im künftigen Mai. Nie35 werd’ ich dem menſchenfreundlichen Fürſten zu danken aufhören, der
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ich Sontags am Hofe dinierte und théeirte — die Herzogin (meine
brünſtigſte Leſerin) und noch eine ungeſehene kranke Prinzeſſin ſo
treflich fand und den Herzog ſo gut und die Grosfürſtin ſo ſchön und 5
alles ſo familienmäſſig und viele Weiber gebildet und den M[iniſter]
Kretſchman als einen herlichen philoſophiſchen recht geachteten Kopf
(ſas neben ihm bei Tafel; ſeine Phyſiognomie hat indes etwas von
Gentz ſeiner, inſofern ſie das Zifferblat des Herzens iſt) und da ich
abends bei ihm eſſen ſolte (aber nicht konte, weil mir ſo ſchlecht war, 10
daß ich neben der Herzogin ſizend und froh redend doch 5mal unge-
ſehen ins Schnupftuch ſchwach ſpie) — und der Bücher wegen und
weil Meiningen ein Dorf dagegen iſt und ich Euch und dem Biere
näher bin: ſo zieh’ ich im April entſchieden nach Coburg. Gute
Nacht! 15
Köpfe 〈und meiner hörte ſelber〉 hört’ ich über Kretschman
reden; nur ſie ſtelt er an; aus der Philoſophie reiſſet er ſie heraus in
die Geſchäfte (Forberg und mehr.) — kurz er achtet Kraft, weil er
ſie hat. Ich wolte, ich hätte nicht vomiert, ſondern bei ihm ſoupiert.
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330. An Herzog Georg von Meiningen. 20
[Meiningen, 15. Nov. 1802]
Bishieher [?] bat ich [Ihro Durchlaucht] immer um etwas Körper-
liches — um Bier — um einen Pas für Kanne — um einen für Spiz
— um Quartier im Felſenkeller — um Almanache. Jezt bitt’ ich Sie
um etwas Wicht[igeres] und Geiſtiges, um ein ſanftes vergebendes, 25
von Ihrem Geiſt zu meinem, aber erſt im Mai geſprochnes Lebewohl,
wenn ich als die ewige Wanderratte im Frühling nach Coburg
wandere mit Frau und Kind und Hund. Nur die Beweiſe Ihrer Güte
gegen mich können mich entſchuldigen, daß ich die Mittheilung einer
ſo unbedeutenden, und nur für mich wichtigen Nachricht unter meine 30
Pflichten gegen Ihro Durchlaucht rechne. — ꝛc. Meine Hochachtende
Liebe für den Fürſten, der den Menſchen ſo ſchön mit dem Fürſten
und das Herz mit dem Rang vereinigt, erlaubte es mir nicht, daß ich
Sie ſpäter oder von andern Lippen erfahren lies, daß Ihr glükliches
Land um — Einen Man ärmer geworden im künftigen Mai. Nie 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/198>, abgerufen am 16.07.2024.
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