Meine brüderliche Bestie sezt mich mit einem Katharina Kunigund Hartman in Verlegenheit. Da ich das Geschlecht nicht weis: wilt [!] du oder Emanuel nicht hinschicken und sagen lassen, daß jene oben eine Lügnerin sei?
323. An Emilie Harmes.[206]5
Meiningen d. 9. Okt. 1802.
Gute Emilie, (wenn ich diesen Laut der alten Zeit noch brauchen darf)! Ihr heutiger Brief, dessen Klage beinahe den Verlust des meinigen vom 27. Juny*) voraussezt, hat mir weh gethan. Denn35 jezt erst in der Heiligung der Ehe hab' ich die rechte Liebe gelernt oder10 vielmehr sie geläutert von fremdem Zusaz; und jezt erst trag' ich das Herz, das Sie recht und besser liebt als sonst. (Denn Sie hatten leider sonst mit Ihren Anklagen so sehr Recht als sonst ich zuweilen mit meinen) aber diese rechte Liebe wil That und Gegenwart. Briefe sind ihr nur eine Bühne, wo sie spielt und dichtet und doch nicht genug sich15 ausspricht. Eine Umarmung ist mehr werth als zehn Briefe. Und doch bitt' ich Sie um diese, da das lebendige Beisammensein uns entzogen ist. Indes waren Sie hierbei Ihr eignes Schiksal; ein so kleiner Zusaz zu Ihrem langen Wege, der zwei Glükliche oder drei gemacht hätte, wie eine Fahrt hieher, stand in Ihrer Macht. In der meinigen steht20 jezt, da ich der Gesundheitswächter meiner Caroline bin, keine Ent- fernung. Die F. v. Kalb hat uns mehrmals besucht; und sie hat den Freund wiedergefunden. Ich könt' Ihnen freilich hier nichts anbieten als ein Kanapee; aber mit welcher Wonne und Einigkeit (z. B. über die Franzosen) würden wir jezt die wilde Zeit vor uns vorüberziehen25 lassen! Wie unaussprechlich viel hätten wir uns zu sagen! Und wie neu wären Sie mir, da Sie -- glüklich sind! Ihre Worte: "mein angebeteter, trefflicher August" (den Sie recht grüssen sollen) sind mir die Blumen Ihres Blattes. Ihr jeziges Glük beschwört mein altes ewiges nie besiegtes Urtheil über den alten heiligen Wunsch30 Ihrer Brust.
Schrieben Sie so viele Bücher wie ich: so könt' ich Briefe ent- behren. Sie leben ja immer im Geheimnis meiner Seele durch den Titan, dessen 3. und noch mehr künftig dessen lezten Theil ich Ihrem
*) worin ich für die blühende Caledonia dankte.
Meine brüderliche Beſtie ſezt mich mit einem Katharina Kunigund Hartman in Verlegenheit. Da ich das Geſchlecht nicht weis: wilt [!] du oder Emanuel nicht hinſchicken und ſagen laſſen, daß jene oben eine Lügnerin ſei?
323. An Emilie Harmes.[206]5
Meiningen d. 9. Okt. 1802.
Gute Emilie, (wenn ich dieſen Laut der alten Zeit noch brauchen darf)! Ihr heutiger Brief, deſſen Klage beinahe den Verluſt des meinigen vom 27. Juny*) vorausſezt, hat mir weh gethan. Denn35 jezt erſt in der Heiligung der Ehe hab’ ich die rechte Liebe gelernt oder10 vielmehr ſie geläutert von fremdem Zuſaz; und jezt erſt trag’ ich das Herz, das Sie recht und beſſer liebt als ſonſt. (Denn Sie hatten leider ſonſt mit Ihren Anklagen ſo ſehr Recht als ſonſt ich zuweilen mit meinen) aber dieſe rechte Liebe wil That und Gegenwart. Briefe ſind ihr nur eine Bühne, wo ſie ſpielt und dichtet und doch nicht genug ſich15 ausſpricht. Eine Umarmung iſt mehr werth als zehn Briefe. Und doch bitt’ ich Sie um dieſe, da das lebendige Beiſammenſein uns entzogen iſt. Indes waren Sie hierbei Ihr eignes Schikſal; ein ſo kleiner Zuſaz zu Ihrem langen Wege, der zwei Glükliche oder drei gemacht hätte, wie eine Fahrt hieher, ſtand in Ihrer Macht. In der meinigen ſteht20 jezt, da ich der Geſundheitswächter meiner Caroline bin, keine Ent- fernung. Die F. v. Kalb hat uns mehrmals beſucht; und ſie hat den Freund wiedergefunden. Ich könt’ Ihnen freilich hier nichts anbieten als ein Kanapee; aber mit welcher Wonne und Einigkeit (z. B. über die Franzoſen) würden wir jezt die wilde Zeit vor uns vorüberziehen25 laſſen! Wie unausſprechlich viel hätten wir uns zu ſagen! Und wie neu wären Sie mir, da Sie — glüklich ſind! Ihre Worte: „mein angebeteter, trefflicher Auguſt“ (den Sie recht grüſſen ſollen) ſind mir die Blumen Ihres Blattes. Ihr jeziges Glük beſchwört mein altes ewiges nie beſiegtes Urtheil über den alten heiligen Wunſch30 Ihrer Bruſt.
Schrieben Sie ſo viele Bücher wie ich: ſo könt’ ich Briefe ent- behren. Sie leben ja immer im Geheimnis meiner Seele durch den Titan, deſſen 3. und noch mehr künftig deſſen lezten Theil ich Ihrem
*) worin ich für die blühende Caledonia dankte.
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Meine brüderliche Beſtie ſezt mich mit einem Katharina Kunigund
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du oder Emanuel nicht hinſchicken und ſagen laſſen, daß jene oben
eine Lügnerin ſei?
323. An Emilie Harmes. 5
Meiningen d. 9. Okt. 1802.
Gute Emilie, (wenn ich dieſen Laut der alten Zeit noch brauchen
darf)! Ihr heutiger Brief, deſſen Klage beinahe den Verluſt des
meinigen vom 27. Juny *) vorausſezt, hat mir weh gethan. Denn 35
jezt erſt in der Heiligung der Ehe hab’ ich die rechte Liebe gelernt oder 10
vielmehr ſie geläutert von fremdem Zuſaz; und jezt erſt trag’ ich das
Herz, das Sie recht und beſſer liebt als ſonſt. (Denn Sie hatten leider
ſonſt mit Ihren Anklagen ſo ſehr Recht als ſonſt ich zuweilen mit
meinen) aber dieſe rechte Liebe wil That und Gegenwart. Briefe ſind
ihr nur eine Bühne, wo ſie ſpielt und dichtet und doch nicht genug ſich 15
ausſpricht. Eine Umarmung iſt mehr werth als zehn Briefe. Und doch
bitt’ ich Sie um dieſe, da das lebendige Beiſammenſein uns entzogen
iſt. Indes waren Sie hierbei Ihr eignes Schikſal; ein ſo kleiner Zuſaz
zu Ihrem langen Wege, der zwei Glükliche oder drei gemacht hätte,
wie eine Fahrt hieher, ſtand in Ihrer Macht. In der meinigen ſteht 20
jezt, da ich der Geſundheitswächter meiner Caroline bin, keine Ent-
fernung. Die F. v. Kalb hat uns mehrmals beſucht; und ſie hat den
Freund wiedergefunden. Ich könt’ Ihnen freilich hier nichts anbieten
als ein Kanapee; aber mit welcher Wonne und Einigkeit (z. B. über
die Franzoſen) würden wir jezt die wilde Zeit vor uns vorüberziehen 25
laſſen! Wie unausſprechlich viel hätten wir uns zu ſagen! Und wie
neu wären Sie mir, da Sie — glüklich ſind! Ihre Worte: „mein
angebeteter, trefflicher Auguſt“ (den Sie recht grüſſen ſollen) ſind
mir die Blumen Ihres Blattes. Ihr jeziges Glük beſchwört mein
altes ewiges nie beſiegtes Urtheil über den alten heiligen Wunſch 30
Ihrer Bruſt.
Schrieben Sie ſo viele Bücher wie ich: ſo könt’ ich Briefe ent-
behren. Sie leben ja immer im Geheimnis meiner Seele durch den
Titan, deſſen 3. und noch mehr künftig deſſen lezten Theil ich Ihrem
*) worin ich für die blühende Caledonia dankte.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/192>, abgerufen am 16.02.2025.
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