mitten unter oder nach dem Stöhnen mir, der ich dabei blieb, die Hebamme mein zweites Liebstes wie aus der Wolke gehoben vorhielt, die blauen Augen offen, mit schöner weiter Stirn, kuslippig, herzhaft rufend, mit dem Näsgen meiner Frau -- -- Gott steht bei einer Ent- bindung, wer ihn da nicht findet bei diesem unbegreiflichen Mecha-5 nismus des Schmerzes, bei dieser Erhabenheit seines Maschinenwesens und bei der Niederwerfung unserer Abhängigkeit, der findet ihn nie. Ich verhehlte, um zu schonen, so weit ich konte, meiner Frau die weinende Entzückung, wovon sie doch viel bekam und erwiederte. In der einsamen Stube hatt' ich, die kühne Wahrheit zu reden -- ach10 wie sehnt' ich mich nach dir oder Emanuel -- nur meine Entzückung und Gott und den Spiz. Wie ein Donnerschlag durchfährt die erste Erblickung Mark und Bein. Und nun jezt -- da meine C. nach allen Regeln, ordentlich pedantisch schulgerecht fortgebar und da sie eben so nach Büchern (ihr Körper ist ein Buch) gehalten wird und ganz gesund15 da liegt -- ihre Entzückung. Es ist ein grosses Kind, herlich gebildet und mir -- was sie so freuet, wofür ich wieder bescheiden mich ans Näsgen halte -- ganz aus den Augen geschnitten. Nur meiner C.[200] wegen wünscht' ich einen Jungen; ich aber sagt' ihr, daß mir ein Mädgen lieber wäre, weil ein platter dummer Knabe doch mir wenig20 genügte (soviel Mittel ich auch als Vater hätte, ihn für das Gegen- theil zu halten) und weil die Eltern-Erziehung an einem Knaben (das Universum, und die Vergangenheit sind seine Hofmeister) wenig ver- möchte, aber an einem Mädgen alles, das an seiner dieser reinen festen hellen Mutter nichts werden kan als der zweite Dia-25 mant. --
Ich wolte dich überraschen und Emanuel; das unterstrichne s bezog sich blos auf das Diarium.
Nun ists gut und die Welt wieder offen und der Himmel und ich habe meine Frau wieder. Mitten in den Wehen heute brachte sie mir30 doch mein Frühstük von Pflaumenkuchen. Doch muste diese Geduldige schreien vor Schmerz. Ach wie lernt' ich da die armen Weiber wieder achten und bedauern! Entsage nicht, mein Otto, der Hofnung desselben Himmels! Denn nach meiner Kentnis Euerer Naturen und der medi- zinischen Geschichte, die von zarten nur späte Fruchtbarkeit erzählt,35 hast du noch nichts verloren als ein Jahr. Auch meine C. tröstete ich immer mit diesen Verspätungen.
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mitten unter oder nach dem Stöhnen mir, der ich dabei blieb, die Hebamme mein zweites Liebſtes wie aus der Wolke gehoben vorhielt, die blauen Augen offen, mit ſchöner weiter Stirn, kuslippig, herzhaft rufend, mit dem Näsgen meiner Frau — — Gott ſteht bei einer Ent- bindung, wer ihn da nicht findet bei dieſem unbegreiflichen Mecha-5 niſmus des Schmerzes, bei dieſer Erhabenheit ſeines Maſchinenweſens und bei der Niederwerfung unſerer Abhängigkeit, der findet ihn nie. Ich verhehlte, um zu ſchonen, ſo weit ich konte, meiner Frau die weinende Entzückung, wovon ſie doch viel bekam und erwiederte. In der einſamen Stube hatt’ ich, die kühne Wahrheit zu reden — ach10 wie ſehnt’ ich mich nach dir oder Emanuel — nur meine Entzückung und Gott und den Spiz. Wie ein Donnerſchlag durchfährt die erſte Erblickung Mark und Bein. Und nun jezt — da meine C. nach allen Regeln, ordentlich pedantiſch ſchulgerecht fortgebar und da ſie eben ſo nach Büchern (ihr Körper iſt ein Buch) gehalten wird und ganz geſund15 da liegt — ihre Entzückung. Es iſt ein groſſes Kind, herlich gebildet und mir — was ſie ſo freuet, wofür ich wieder beſcheiden mich ans Näsgen halte — ganz aus den Augen geſchnitten. Nur meiner C.[200] wegen wünſcht’ ich einen Jungen; ich aber ſagt’ ihr, daß mir ein Mädgen lieber wäre, weil ein platter dummer Knabe doch mir wenig20 genügte (ſoviel Mittel ich auch als Vater hätte, ihn für das Gegen- theil zu halten) und weil die Eltern-Erziehung an einem Knaben (das Univerſum, und die Vergangenheit ſind ſeine Hofmeiſter) wenig ver- möchte, aber an einem Mädgen alles, das an ſeiner 〈dieſer〉 reinen feſten hellen Mutter nichts werden kan als der zweite Dia-25 mant. —
Ich wolte dich überraſchen und Emanuel; das unterſtrichne s bezog ſich blos auf das Diarium.
Nun iſts gut und die Welt wieder offen und der Himmel und ich habe meine Frau wieder. Mitten in den Wehen heute brachte ſie mir30 doch mein Frühſtük von Pflaumenkuchen. Doch muſte dieſe Geduldige ſchreien vor Schmerz. Ach wie lernt’ ich da die armen Weiber wieder achten und bedauern! Entſage nicht, mein Otto, der Hofnung deſſelben Himmels! Denn nach meiner Kentnis Euerer Naturen und der medi- ziniſchen Geſchichte, die von zarten nur ſpäte Fruchtbarkeit erzählt,35 haſt du noch nichts verloren als ein Jahr. Auch meine C. tröſtete ich immer mit dieſen Verſpätungen.
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mitten unter oder nach dem Stöhnen mir, der ich dabei blieb, die
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rufend, mit dem Näsgen meiner Frau — — Gott ſteht bei einer Ent-
bindung, wer ihn da nicht findet bei dieſem unbegreiflichen Mecha- 5
niſmus des Schmerzes, bei dieſer Erhabenheit ſeines Maſchinenweſens
und bei der Niederwerfung unſerer Abhängigkeit, der findet ihn nie.
Ich verhehlte, um zu ſchonen, ſo weit ich konte, meiner Frau die
weinende Entzückung, wovon ſie doch viel bekam und erwiederte. In
der einſamen Stube hatt’ ich, die kühne Wahrheit zu reden — ach 10
wie ſehnt’ ich mich nach dir oder Emanuel — nur meine Entzückung
und Gott und den Spiz. Wie ein Donnerſchlag durchfährt die erſte
Erblickung Mark und Bein. Und nun jezt — da meine C. nach allen
Regeln, ordentlich pedantiſch ſchulgerecht fortgebar und da ſie eben ſo
nach Büchern (ihr Körper iſt ein Buch) gehalten wird und ganz geſund 15
da liegt — ihre Entzückung. Es iſt ein groſſes Kind, herlich gebildet
und mir — was ſie ſo freuet, wofür ich wieder beſcheiden mich ans
Näsgen halte — ganz aus den Augen geſchnitten. Nur meiner C.
wegen wünſcht’ ich einen Jungen; ich aber ſagt’ ihr, daß mir ein
Mädgen lieber wäre, weil ein platter dummer Knabe doch mir wenig 20
genügte (ſoviel Mittel ich auch als Vater hätte, ihn für das Gegen-
theil zu halten) und weil die Eltern-Erziehung an einem Knaben (das
Univerſum, und die Vergangenheit ſind ſeine Hofmeiſter) wenig ver-
möchte, aber an einem Mädgen alles, das an ſeiner 〈dieſer〉 reinen
feſten hellen Mutter nichts werden kan als der zweite Dia- 25
mant. —
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Ich wolte dich überraſchen und Emanuel; das unterſtrichne s bezog
ſich blos auf das Diarium.
Nun iſts gut und die Welt wieder offen und der Himmel und ich
habe meine Frau wieder. Mitten in den Wehen heute brachte ſie mir 30
doch mein Frühſtük von Pflaumenkuchen. Doch muſte dieſe Geduldige
ſchreien vor Schmerz. Ach wie lernt’ ich da die armen Weiber wieder
achten und bedauern! Entſage nicht, mein Otto, der Hofnung deſſelben
Himmels! Denn nach meiner Kentnis Euerer Naturen und der medi-
ziniſchen Geſchichte, die von zarten nur ſpäte Fruchtbarkeit erzählt, 35
haſt du noch nichts verloren als ein Jahr. Auch meine C. tröſtete ich
immer mit dieſen Verſpätungen.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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