wil ich dan eine komische Biographie -- einen Fixlein-Siebenkaes -- anfangen, woran ich schon viele Jahre samle, worin sich die gelehrte, niedrige, vornehme Welt, die kleinen Hofstädte und alle bürgerliche Wirklichkeit mit allen Tinten zeichnen. Schon der Gedanke daran bringt mich in seelige Zeiten zurük. Heiter, leicht sol alles sein, die5 Satire scharf, und doch wirst du oft weinen. Nur dies Werk und meine philosophischen und ästhetischen Briefe vergönne mir Gott gar zu schreiben; dan wil ich hinfahren. In jenem Werke zeig ich zum Spas, daß griechische Gedichte zu machen sind. Sage mir doch zuweilen das Schlechteste und Beste für dich in meinen Werken. --10
Auf deine Frage: was denn mein Ernst hinter der Dichtung ist? antwort' ich: deiner. Die Stelle im Alwil, wo du von [der] poetischen Auflösung in lauter unmoralische Atonie "Gesezesfeindschaft" durch lauter Reflexion sprichst, gab mir die erste Idee des Titans; du kontest nicht nur einen Roquairol dichten, sondern hasts schon15 gethan. Mein Ernst ist das überirdische bedekte Reich, das sogar der hiesigen Nichtigkeit noch sich unterbauet, das Reich der Gottheit und Unsterblichkeit und der Kraft. Ohne das giebts in der Lebens-Oede nur [188]Seufzer und Tod. Mein ganzes Leben zog darauf zu, nie lies ich es, sogar im frühern Skeptizismus, und noch hält es mich, da mir das20 Leben täglich mehr verschimmelt, weil es mir gegeben was es hatte, alles. Nur gönn' ich der Dichtkunst eine grössere Freiheit als vor- hin, (sonst wird sie ein -- Hermes in Breslau); die sitliche Schön- heit mus im Dichten nur die ausübende Gewalt, die Schönheit die gesezgebende haben. Meine zweite Veränderung ist, daß ich jezt25 weniger auf Menschenliebe (ohne einen Gott und eine Ewigkeit wärs sehr schwer, die Menschen im Ganzen zu lieben) als auf Kraft und Selbstachtung dringe, auch in mir. Daher ist mir Kozebue im Inner- sten widrig. Ich schade mir durch solche Aphorismen, die immer ein Buch erfodern. -- Wenn du im Kynosarges Bernhardis Sonet gegen30 dich gelesen, wo die höchste Ungerechtigkeit zugleich die höchste Dum- heit ist: so sag' ich dir, da ich ihn oft in Berlin bei mir gehabt, daß er wie die ganze Klasse es nicht sehr böse meint, mit Bewustsein partheiisch ist, und daß er, der über dich und Fichte redet, weder diesen noch deinen -- Spinoza gelesen. Wie eine widerlegte Frau, brachte er35 mir die Meinungen, die ich ihm heute todtgemacht, morgen lebendig wieder. -- Die Einseitigkeit trägt jezt die Fahne der Litteratur.
wil ich dan eine komiſche Biographie — einen Fixlein-Siebenkaes — anfangen, woran ich ſchon viele Jahre ſamle, worin ſich die gelehrte, niedrige, vornehme Welt, die kleinen Hofſtädte und alle bürgerliche Wirklichkeit mit allen Tinten zeichnen. Schon der Gedanke daran bringt mich in ſeelige Zeiten zurük. Heiter, leicht ſol alles ſein, die5 Satire ſcharf, und doch wirſt du oft weinen. Nur dies Werk und meine philoſophiſchen und äſthetiſchen Briefe vergönne mir Gott gar zu ſchreiben; dan wil ich hinfahren. In jenem Werke zeig ich zum Spas, daß griechiſche Gedichte zu machen ſind. Sage mir doch zuweilen das Schlechteſte und Beſte für dich in meinen Werken. —10
Auf deine Frage: was denn mein Ernſt hinter der Dichtung iſt? antwort’ ich: deiner. Die Stelle im Alwil, wo du von [der] poetiſchen Auflöſung in lauter unmoraliſche Atonie 〈„Geſezesfeindſchaft“〉 durch lauter Reflexion ſprichſt, gab mir die erſte Idee des Titans; du konteſt nicht nur einen Roquairol dichten, ſondern haſts ſchon15 gethan. Mein Ernſt iſt das überirdiſche bedekte Reich, das ſogar der hieſigen Nichtigkeit noch ſich unterbauet, das Reich der Gottheit und Unſterblichkeit und der Kraft. Ohne das giebts in der Lebens-Oede nur [188]Seufzer und Tod. Mein ganzes Leben zog darauf zu, nie lies ich es, ſogar im frühern Skeptiziſmus, und noch hält es mich, da mir das20 Leben täglich mehr verſchimmelt, weil es mir gegeben was es hatte, alles. Nur gönn’ ich der Dichtkunſt eine gröſſere Freiheit als vor- hin, (ſonſt wird ſie ein — Hermes in Breslau); die ſitliche Schön- heit mus im Dichten nur die ausübende Gewalt, die Schönheit die geſezgebende haben. Meine zweite Veränderung iſt, daß ich jezt25 weniger auf Menſchenliebe (ohne einen Gott und eine Ewigkeit wärs ſehr ſchwer, die Menſchen im Ganzen zu lieben) als auf Kraft und Selbſtachtung dringe, auch in mir. Daher iſt mir Kozebue im Inner- ſten widrig. Ich ſchade mir durch ſolche Aphoriſmen, die immer ein Buch erfodern. — Wenn du im Kynoſarges Bernhardis Sonet gegen30 dich geleſen, wo die höchſte Ungerechtigkeit zugleich die höchſte Dum- heit iſt: ſo ſag’ ich dir, da ich ihn oft in Berlin bei mir gehabt, daß er wie die ganze Klaſſe es nicht ſehr böſe meint, mit Bewuſtſein partheiiſch iſt, und daß er, der über dich und Fichte redet, weder dieſen noch deinen — Spinoza geleſen. Wie eine widerlegte Frau, brachte er35 mir die Meinungen, die ich ihm heute todtgemacht, morgen lebendig wieder. — Die Einſeitigkeit trägt jezt die Fahne der Litteratur.
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wil ich dan eine komiſche Biographie — einen Fixlein-Siebenkaes —
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niedrige, vornehme Welt, die kleinen Hofſtädte und alle bürgerliche
Wirklichkeit mit allen Tinten zeichnen. Schon der Gedanke daran
bringt mich in ſeelige Zeiten zurük. Heiter, leicht ſol alles ſein, die 5
Satire ſcharf, und doch wirſt du oft weinen. Nur dies Werk und meine
philoſophiſchen und äſthetiſchen Briefe vergönne mir Gott gar zu
ſchreiben; dan wil ich hinfahren. In jenem Werke zeig ich zum Spas,
daß griechiſche Gedichte zu machen ſind. Sage mir doch zuweilen das
Schlechteſte und Beſte für dich in meinen Werken. — 10
Auf deine Frage: was denn mein Ernſt hinter der Dichtung iſt?
antwort’ ich: deiner. Die Stelle im Alwil, wo du von [der] poetiſchen
Auflöſung in lauter unmoraliſche Atonie 〈„Geſezesfeindſchaft“〉
durch lauter Reflexion ſprichſt, gab mir die erſte Idee des Titans;
du konteſt nicht nur einen Roquairol dichten, ſondern haſts ſchon 15
gethan. Mein Ernſt iſt das überirdiſche bedekte Reich, das ſogar der
hieſigen Nichtigkeit noch ſich unterbauet, das Reich der Gottheit und
Unſterblichkeit und der Kraft. Ohne das giebts in der Lebens-Oede nur
Seufzer und Tod. Mein ganzes Leben zog darauf zu, nie lies ich es,
ſogar im frühern Skeptiziſmus, und noch hält es mich, da mir das 20
Leben täglich mehr verſchimmelt, weil es mir gegeben was es hatte,
alles. Nur gönn’ ich der Dichtkunſt eine gröſſere Freiheit als vor-
hin, (ſonſt wird ſie ein — Hermes in Breslau); die ſitliche Schön-
heit mus im Dichten nur die ausübende Gewalt, die Schönheit die
geſezgebende haben. Meine zweite Veränderung iſt, daß ich jezt 25
weniger auf Menſchenliebe (ohne einen Gott und eine Ewigkeit wärs
ſehr ſchwer, die Menſchen im Ganzen zu lieben) als auf Kraft und
Selbſtachtung dringe, auch in mir. Daher iſt mir Kozebue im Inner-
ſten widrig. Ich ſchade mir durch ſolche Aphoriſmen, die immer ein
Buch erfodern. — Wenn du im Kynoſarges Bernhardis Sonet gegen 30
dich geleſen, wo die höchſte Ungerechtigkeit zugleich die höchſte Dum-
heit iſt: ſo ſag’ ich dir, da ich ihn oft in Berlin bei mir gehabt, daß
er wie die ganze Klaſſe es nicht ſehr böſe meint, mit Bewuſtſein
partheiiſch iſt, und daß er, der über dich und Fichte redet, weder dieſen
noch deinen — Spinoza geleſen. Wie eine widerlegte Frau, brachte er 35
mir die Meinungen, die ich ihm heute todtgemacht, morgen lebendig
wieder. — Die Einſeitigkeit trägt jezt die Fahne der Litteratur.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/175>, abgerufen am 16.02.2025.
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