Ihr guter Sohn verlies eine längst von ihm verlassene Welt, wo ihn nicht die Lage, sondern er diese unglüklich machte. Ihm war eine Un-Glükseligkeitslehre angeboren und niemand hat eine Schuld. Wen die Jugend nur beraubt, den kan das spätere Alter noch weniger bereichern; und dem Armen und Guten, der eine seltene Mischung5 von stoischer Strenge und epikur. Sinlichkeit war, konten alle Jahre über der Erde nicht die Ruhe geben, womit er jezt in ihr schläft. Er schlafe sanft, er war etwas besseres werth als sein Loos!
d. 28 Jun.
Zu Ostern 1803 komt der lezte Band des Titans; auf Ihr Urtheil10 über den Anhang zum 2ten Band und über den 3ten B. bin ich neu- und begierig. --
In dieser Woche gehe ich auf eine mit meiner Frau nach Weimar. Mit Herder blieb ich immer im alten unverrükten Bund.
Ihr verehrter Man sei recht innig von mir gegrüsset. Geben Sie[176]15 mir einige Worte. Ihr Geist weiche nie von Ihnen jezt in der Ruhe, so wie er sonst feststand in den Stürmen! Leben Sie wohl!
J. P. F. Richter
*289. An Karoline Herder.
Meiningen d. 28. Jun. 1802 [Montag].20
Gütige! Gestern war alles für die heutige Reise nach Weimar gepakt. In der Nacht änderte mich ein Uebelbefinden und der Wolken- himmel. Doch hoffen wir beide höchstens Anfangs künftiger Woche im -- Himmel zu sein. Daher verschieb' ich alle Antworten, Danksagun- gen, Zurüksendungen auf das Wiedersehen. Was hab' ich nicht zu25 sagen und vollends zu hören? -- Haben Sie Dank für Ihre gedrukten und geschriebenen Geschenke. Dem stummen Beredten sei recht wohl! Und Ihnen! und der Jungfrau! Und was Ihr Herz noch auf beiden Seiten umgiebt!
Richter30
Ich bitte umzuwenden:
denn hier habe ich erst Plaz Ihnen für Ihr herzliches Anbieten einer Wohnung zu danken, so wie dazu Nein zu sagen. Ich wohne bei der alten Quartiermeisterin, bei der ich das geben darf, was sonst die kriegerisch Einquartierten nehmen -- Geld. Am Ende logier' ich35 doch bei Ihnen, nur nicht Nachts. Adio!
Ihr guter Sohn verlies eine längſt von ihm verlaſſene Welt, wo ihn nicht die Lage, ſondern er dieſe unglüklich machte. Ihm war eine Un-Glükſeligkeitslehre angeboren und niemand hat eine Schuld. Wen die Jugend nur beraubt, den kan das ſpätere Alter noch weniger bereichern; und dem Armen und Guten, der eine ſeltene Miſchung5 von ſtoiſcher Strenge und epikur. Sinlichkeit war, konten alle Jahre über der Erde nicht die Ruhe geben, womit er jezt in ihr ſchläft. Er ſchlafe ſanft, er war etwas beſſeres werth als ſein Loos!
d. 28 Jun.
Zu Oſtern 1803 komt der lezte Band des Titans; auf Ihr Urtheil10 über den Anhang zum 2ten Band und über den 3ten B. bin ich neu- und begierig. —
In dieſer Woche gehe ich auf eine mit meiner Frau nach Weimar. Mit Herder blieb ich immer im alten unverrükten Bund.
Ihr verehrter Man ſei recht innig von mir gegrüſſet. Geben Sie[176]15 mir einige Worte. Ihr Geiſt weiche nie von Ihnen jezt in der Ruhe, ſo wie er ſonſt feſtſtand in den Stürmen! Leben Sie wohl!
J. P. F. Richter
*289. An Karoline Herder.
Meiningen d. 28. Jun. 1802 [Montag].20
Gütige! Geſtern war alles für die heutige Reiſe nach Weimar gepakt. In der Nacht änderte mich ein Uebelbefinden und der Wolken- himmel. Doch hoffen wir beide höchſtens Anfangs künftiger Woche im — Himmel zu ſein. Daher verſchieb’ ich alle Antworten, Dankſagun- gen, Zurükſendungen auf das Wiederſehen. Was hab’ ich nicht zu25 ſagen und vollends zu hören? — Haben Sie Dank für Ihre gedrukten und geſchriebenen Geſchenke. Dem ſtummen Beredten ſei recht wohl! Und Ihnen! und der Jungfrau! Und was Ihr Herz noch auf beiden Seiten umgiebt!
Richter30
Ich bitte umzuwenden:
denn hier habe ich erſt Plaz Ihnen für Ihr herzliches Anbieten einer Wohnung zu danken, ſo wie dazu Nein zu ſagen. Ich wohne bei der alten Quartiermeiſterin, bei der ich das geben darf, was ſonſt die kriegeriſch Einquartierten nehmen — Geld. Am Ende logier’ ich35 doch bei Ihnen, nur nicht Nachts. Adio!
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Ihr guter Sohn verlies eine längſt von ihm verlaſſene Welt, wo
ihn nicht die Lage, ſondern er dieſe unglüklich machte. Ihm war eine
Un-Glükſeligkeitslehre angeboren und niemand hat eine Schuld.
Wen die Jugend nur beraubt, den kan das ſpätere Alter noch weniger
bereichern; und dem Armen und Guten, der eine ſeltene Miſchung 5
von ſtoiſcher Strenge und epikur. Sinlichkeit war, konten alle Jahre
über der Erde nicht die Ruhe geben, womit er jezt in ihr ſchläft. Er
ſchlafe ſanft, er war etwas beſſeres werth als ſein Loos!
d. 28 Jun.
Zu Oſtern 1803 komt der lezte Band des Titans; auf Ihr Urtheil 10
über den Anhang zum 2ten Band und über den 3ten B. bin ich neu-
und begierig. —
In dieſer Woche gehe ich auf eine mit meiner Frau nach Weimar.
Mit Herder blieb ich immer im alten unverrükten Bund.
Ihr verehrter Man ſei recht innig von mir gegrüſſet. Geben Sie 15
mir einige Worte. Ihr Geiſt weiche nie von Ihnen jezt in der Ruhe,
ſo wie er ſonſt feſtſtand in den Stürmen! Leben Sie wohl!
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J. P. F. Richter
*289. An Karoline Herder.
Meiningen d. 28. Jun. 1802 [Montag]. 20
Gütige! Geſtern war alles für die heutige Reiſe nach Weimar
gepakt. In der Nacht änderte mich ein Uebelbefinden und der Wolken-
himmel. Doch hoffen wir beide höchſtens Anfangs künftiger Woche im
— Himmel zu ſein. Daher verſchieb’ ich alle Antworten, Dankſagun-
gen, Zurükſendungen auf das Wiederſehen. Was hab’ ich nicht zu 25
ſagen und vollends zu hören? — Haben Sie Dank für Ihre gedrukten
und geſchriebenen Geſchenke. Dem ſtummen Beredten ſei recht wohl!
Und Ihnen! und der Jungfrau! Und was Ihr Herz noch auf beiden
Seiten umgiebt!
Richter 30
Ich bitte umzuwenden:
denn hier habe ich erſt Plaz Ihnen für Ihr herzliches Anbieten einer
Wohnung zu danken, ſo wie dazu Nein zu ſagen. Ich wohne bei der
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/164>, abgerufen am 19.07.2024.
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