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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

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238. An Christian Otto.

Guter! Ehe Cotta schreibt, wil ich im Voraus etwas fertig schreiben
in schönster Musse. Amoene zürne nicht über meine aktive Kritik. Ihr
Tagebuch hätte durch so viele ähnliche Inserate alle Einheit verloren,5
besonders da es selber sich durch keine Handlungen bindet. Ihre
[148]Karaktere, Handlungen, Knoten müssen neuer und stärker sein; ob sie
gleich auf einem richtigen Wege der schönen Darstellung ist. Sie hat
(z. B. sonst in ihrem Höfer Tagebuch) ein grösseres Feuer als sie jezt
auf dem Papier brennen lässet. --*) Apropos sie hat oft den Höfer10
Imperativ (wie ich leider in den Mumien) "spreche, gebe, helfe!" stat:
sprich, hilf etc. -- Deine Kritik, die überal so sehr auf die epische Ob-
jektivität dringt, hat mein Ja; ich wust' es schon unter dem Schreiben,
mocht' aber nicht. Sogar im 3. Bande ists, zumal anfangs, noch ein
wenig; übrigens sind ein Paar Kardinalkapitel darin, wie ich sie noch15
nie gemacht, zumal das, was --s--g--l so gut beschreibt. Dasmal
kein Anhang. -- Über die Kapitel hast du Unrecht; jedes Ganze be-
steht aus kleinern Ganzen, das Schauspiel aus Akten oder Kapiteln.
Alle meine Kapitel sind abgeschlossene Inseln, von einer zur andern
kan und sol man nicht unmittelbar, sondern nach einem Aufhören20
erst. -- Jezt arbeit' ich an der "Geschichte meines Bruders, von J. P."
-- mit unsäglicher Lust und mit Glük. Es ist der Notar. In dieser kan
ich die höchsten Satyr-Sprünge machen, die Objektiv[it]ät gewint blos
dabei. Siehe den Kalender meines Pultes: bis Ostern Geschichte
m[eines] B[ruders] -- bis Dezember 4. Titan samt Anhang -- bis25
Ostern 1803 Geschichte oder wahrscheinlicher den 5. oder lezten Titan,
der dan schon zu Michaelis käme. Jezt schweb' ich in dem neuen Glük,
daß ich eigentlich mit meinen 2 Seelen gleich sehr nach 2 verschiednen
Werken hange und verlange. Daher wil ich dan die biographischen
Belustigungen -- als Ballast des Notarius und Bruder des Titans30
-- beschliessen, wenn nicht das Leben früher beschlossen ist. Dan
Siebenkäs[ens] Ehe mit Natalien. Dan nichts mehr; sondern ich
philosophiere und kritisiere. In die Erfurter Zensier-Union bin ich
nicht getreten: sie giebt zu wenig Plaz und Geld. Was wil ein Mensch

*) Sie solte doch einmal eine scherzende wizige Erzählung versuchen, z. B. eine35
Bayreutherin malen und den Hern dazu.
238. An Chriſtian Otto.

Guter! Ehe Cotta ſchreibt, wil ich im Voraus etwas fertig ſchreiben
in ſchönſter Muſſe. Amoene zürne nicht über meine aktive Kritik. Ihr
Tagebuch hätte durch ſo viele ähnliche Inſerate alle Einheit verloren,5
beſonders da es ſelber ſich durch keine Handlungen bindet. Ihre
[148]Karaktere, Handlungen, Knoten müſſen neuer und ſtärker ſein; ob ſie
gleich auf einem richtigen Wege der ſchönen Darſtellung iſt. Sie hat
(z. B. ſonſt in ihrem Höfer Tagebuch) ein gröſſeres Feuer als ſie jezt
auf dem Papier brennen läſſet. —*) Apropos ſie hat oft den Höfer10
Imperativ (wie ich leider in den Mumien) „ſpreche, gebe, helfe!“ ſtat:
ſprich, hilf ꝛc. — Deine Kritik, die überal ſo ſehr auf die epiſche Ob-
jektivität dringt, hat mein Ja; ich wuſt’ es ſchon unter dem Schreiben,
mocht’ aber nicht. Sogar im 3. Bande iſts, zumal anfangs, noch ein
wenig; übrigens ſind ein Paar Kardinalkapitel darin, wie ich ſie noch15
nie gemacht, zumal das, was —s—g—l ſo gut beſchreibt. Dasmal
kein Anhang. — Über die Kapitel haſt du Unrecht; jedes Ganze be-
ſteht aus kleinern Ganzen, das Schauſpiel aus Akten oder Kapiteln.
Alle meine Kapitel ſind abgeſchloſſene Inſeln, von einer zur andern
kan und ſol man nicht unmittelbar, ſondern nach einem Aufhören20
erſt. — Jezt arbeit’ ich an der „Geſchichte meines Bruders, von J. P.
— mit unſäglicher Luſt und mit Glük. Es iſt der Notar. In dieſer kan
ich die höchſten Satyr-Sprünge machen, die Objektiv[it]ät gewint blos
dabei. Siehe den Kalender meines Pultes: bis Oſtern Geſchichte
m[eines] B[ruders] — bis Dezember 4. Titan ſamt Anhang — bis25
Oſtern 1803 Geſchichte oder wahrſcheinlicher den 5. oder lezten Titan,
der dan ſchon zu Michaelis käme. Jezt ſchweb’ ich in dem neuen Glük,
daß ich eigentlich mit meinen 2 Seelen gleich ſehr nach 2 verſchiednen
Werken hange und verlange. Daher wil ich dan die biographiſchen
Beluſtigungen — als Ballaſt des Notarius und Bruder des Titans30
— beſchlieſſen, wenn nicht das Leben früher beſchloſſen iſt. Dan
Siebenkäſ[ens] Ehe mit Natalien. Dan nichts mehr; ſondern ich
philoſophiere und kritiſiere. In die Erfurter Zenſier-Union bin ich
nicht getreten: ſie giebt zu wenig Plaz und Geld. Was wil ein Menſch

*) Sie ſolte doch einmal eine ſcherzende wizige Erzählung verſuchen, z. B. eine35
Bayreutherin malen und den Hern dazu.
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[132/0139] 238. An Chriſtian Otto. Meiningen d. 1 Febr. 1802. Guter! Ehe Cotta ſchreibt, wil ich im Voraus etwas fertig ſchreiben in ſchönſter Muſſe. Amoene zürne nicht über meine aktive Kritik. Ihr Tagebuch hätte durch ſo viele ähnliche Inſerate alle Einheit verloren, 5 beſonders da es ſelber ſich durch keine Handlungen bindet. Ihre Karaktere, Handlungen, Knoten müſſen neuer und ſtärker ſein; ob ſie gleich auf einem richtigen Wege der ſchönen Darſtellung iſt. Sie hat (z. B. ſonſt in ihrem Höfer Tagebuch) ein gröſſeres Feuer als ſie jezt auf dem Papier brennen läſſet. — *) Apropos ſie hat oft den Höfer 10 Imperativ (wie ich leider in den Mumien) „ſpreche, gebe, helfe!“ ſtat: ſprich, hilf ꝛc. — Deine Kritik, die überal ſo ſehr auf die epiſche Ob- jektivität dringt, hat mein Ja; ich wuſt’ es ſchon unter dem Schreiben, mocht’ aber nicht. Sogar im 3. Bande iſts, zumal anfangs, noch ein wenig; übrigens ſind ein Paar Kardinalkapitel darin, wie ich ſie noch 15 nie gemacht, zumal das, was —s—g—l ſo gut beſchreibt. Dasmal kein Anhang. — Über die Kapitel haſt du Unrecht; jedes Ganze be- ſteht aus kleinern Ganzen, das Schauſpiel aus Akten oder Kapiteln. Alle meine Kapitel ſind abgeſchloſſene Inſeln, von einer zur andern kan und ſol man nicht unmittelbar, ſondern nach einem Aufhören 20 erſt. — Jezt arbeit’ ich an der „Geſchichte meines Bruders, von J. P.“ — mit unſäglicher Luſt und mit Glük. Es iſt der Notar. In dieſer kan ich die höchſten Satyr-Sprünge machen, die Objektiv[it]ät gewint blos dabei. Siehe den Kalender meines Pultes: bis Oſtern Geſchichte m[eines] B[ruders] — bis Dezember 4. Titan ſamt Anhang — bis 25 Oſtern 1803 Geſchichte oder wahrſcheinlicher den 5. oder lezten Titan, der dan ſchon zu Michaelis käme. Jezt ſchweb’ ich in dem neuen Glük, daß ich eigentlich mit meinen 2 Seelen gleich ſehr nach 2 verſchiednen Werken hange und verlange. Daher wil ich dan die biographiſchen Beluſtigungen — als Ballaſt des Notarius und Bruder des Titans 30 — beſchlieſſen, wenn nicht das Leben früher beſchloſſen iſt. Dan Siebenkäſ[ens] Ehe mit Natalien. Dan nichts mehr; ſondern ich philoſophiere und kritiſiere. In die Erfurter Zenſier-Union bin ich nicht getreten: ſie giebt zu wenig Plaz und Geld. Was wil ein Menſch [148] *) Sie ſolte doch einmal eine ſcherzende wizige Erzählung verſuchen, z. B. eine 35 Bayreutherin malen und den Hern dazu.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/139>, abgerufen am 22.11.2024.