doch gesünder, weil mich keine Berliner-, Berlepschs-, Kalbs-Vor- mitternächte aufzehren. -- Meine Grüsse aus dem Herzen des Herzens an unsern primus acquirens -- und an die Holde, die Tisch-Antipodin -- und an alle Ihre Kinder und meinen Dank für Ihr warmes Denken an den alten ernsten Paul5
R.
205. An Knebel.
Meiningen d. 2. Nov. 1801.
Alter theuerer Älpler im Thale! Herzlich erfreuete mich Ihre Hand, [129]nicht nur die schreibende, sondern die drückende und warme. Nur10 hätten Sie nach so langer Zeit wenigstens mehr ein Alphabet Bogen als ein Alphabet Buchstaben geben mögen.
Ich für meine Person -- wozu noch meine Frau gehört und irgend einmal wie in der Gottheit eine dritte Person -- bin weiter nichts als seelig; und Gott sei Dank, daß er die Ehe erfunden. Himmel!15 welche Romane hätt' ich machen wollen mit den Kräften, die ich sonst ansezte, sie zu spielen!
Warum schreiben Sie mir über meine Novissima nichts? -- Und warum überhaupt so selten? Warlich ich würde keine Antwort länger schuldig bleiben als diese. -- Sehen mus ich mit meiner Frau Sie20 bald; ich sehne mich, Ihnen zu beweisen, daß sich in Ihrem Hause einmal mein -- Himmel entschieden.
Die Eumeniden kenn' ich, 2 Studenten haben sie gemacht; selber die Schlegel misbilligen sie. Alle diese Leute meinen es aber nicht so schlim; die Gellertsche Poesie, die nur eine Leipziger ist, kurz die25 dichterischen Gesangbücher sollen hinab; und das ist recht; nur irren sich diese Bilderstürmer durch das Verwandeln in Himmelsstürmer; durch die dümste, nachsprechende Partheilichkeit, wie z. B. die ist, dem alten Apollo's Schwan in Osmanstädt, der früher als andere Schwanen sang und nicht sterbend, den melodischen Hals umdrehen zu30 wollen.Wieland wäre ein Dichter, wenn er auch noch nichts gethan hätte als blos -- gesprochen.
Leben Sie wohl, alter Verwandter! Ich sehne mich nach mehren Lauten. Ich und meine Frau grüssen herzlich Ihre liebe Sängerin und den Zuhörer. Die Freude bleibe bei dem Sänger der Freude!35
Richter
doch geſünder, weil mich keine Berliner-, Berlepschs-, Kalbs-Vor- mitternächte aufzehren. — Meine Grüſſe aus dem Herzen des Herzens an unſern primus acquirens — und an die Holde, die Tiſch-Antipodin — und an alle Ihre Kinder und meinen Dank für Ihr warmes Denken an den alten ernſten Paul5
R.
205. An Knebel.
Meiningen d. 2. Nov. 1801.
Alter theuerer Älpler im Thale! Herzlich erfreuete mich Ihre Hand, [129]nicht nur die ſchreibende, ſondern die drückende und warme. Nur10 hätten Sie nach ſo langer Zeit wenigſtens mehr ein Alphabet Bogen als ein Alphabet Buchſtaben geben mögen.
Ich für meine Perſon — wozu noch meine Frau gehört und irgend einmal wie in der Gottheit eine dritte Perſon — bin weiter nichts als ſeelig; und Gott ſei Dank, daß er die Ehe erfunden. Himmel!15 welche Romane hätt’ ich machen wollen mit den Kräften, die ich ſonſt anſezte, ſie zu ſpielen!
Warum ſchreiben Sie mir über meine Novissima nichts? — Und warum überhaupt ſo ſelten? Warlich ich würde keine Antwort länger ſchuldig bleiben als dieſe. — Sehen mus ich mit meiner Frau Sie20 bald; ich ſehne mich, Ihnen zu beweiſen, daß ſich in Ihrem Hauſe einmal mein — Himmel entſchieden.
Die Eumeniden kenn’ ich, 2 Studenten haben ſie gemacht; ſelber die Schlegel misbilligen ſie. Alle dieſe Leute meinen es aber nicht ſo ſchlim; die Gellertsche Poeſie, die nur eine Leipziger iſt, kurz die25 dichteriſchen Geſangbücher ſollen hinab; und das iſt recht; nur irren ſich dieſe Bilderſtürmer durch das Verwandeln in Himmelsſtürmer; durch die dümſte, nachſprechende Partheilichkeit, wie z. B. die iſt, dem alten Apollo’s Schwan in Osmanstädt, der früher als andere Schwanen ſang und nicht ſterbend, den melodiſchen Hals umdrehen zu30 wollen.Wieland wäre ein Dichter, wenn er auch noch nichts gethan hätte als blos — geſprochen.
Leben Sie wohl, alter Verwandter! Ich ſehne mich nach mehren Lauten. Ich und meine Frau grüſſen herzlich Ihre liebe Sängerin und den Zuhörer. Die Freude bleibe bei dem Sänger der Freude!35
Richter
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— und an alle Ihre Kinder und meinen Dank für Ihr warmes Denken
an den alten ernſten Paul 5
R.
205. An Knebel.
Meiningen d. 2. Nov. 1801.
Alter theuerer Älpler im Thale! Herzlich erfreuete mich Ihre Hand,
nicht nur die ſchreibende, ſondern die drückende und warme. Nur 10
hätten Sie nach ſo langer Zeit wenigſtens mehr ein Alphabet Bogen
als ein Alphabet Buchſtaben geben mögen.
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Ich für meine Perſon — wozu noch meine Frau gehört und irgend
einmal wie in der Gottheit eine dritte Perſon — bin weiter nichts
als ſeelig; und Gott ſei Dank, daß er die Ehe erfunden. Himmel! 15
welche Romane hätt’ ich machen wollen mit den Kräften, die ich ſonſt
anſezte, ſie zu ſpielen!
Warum ſchreiben Sie mir über meine Novissima nichts? — Und
warum überhaupt ſo ſelten? Warlich ich würde keine Antwort länger
ſchuldig bleiben als dieſe. — Sehen mus ich mit meiner Frau Sie 20
bald; ich ſehne mich, Ihnen zu beweiſen, daß ſich in Ihrem Hauſe
einmal mein — Himmel entſchieden.
Die Eumeniden kenn’ ich, 2 Studenten haben ſie gemacht; ſelber
die Schlegel misbilligen ſie. Alle dieſe Leute meinen es aber nicht ſo
ſchlim; die Gellertsche Poeſie, die nur eine Leipziger iſt, kurz die 25
dichteriſchen Geſangbücher ſollen hinab; und das iſt recht; nur irren
ſich dieſe Bilderſtürmer durch das Verwandeln in Himmelsſtürmer;
durch die dümſte, nachſprechende Partheilichkeit, wie z. B. die iſt, dem
alten Apollo’s Schwan in Osmanstädt, der früher als andere
Schwanen ſang und nicht ſterbend, den melodiſchen Hals umdrehen zu 30
wollen. Wieland wäre ein Dichter, wenn er auch noch nichts gethan
hätte als blos — geſprochen.
Leben Sie wohl, alter Verwandter! Ich ſehne mich nach mehren
Lauten. Ich und meine Frau grüſſen herzlich Ihre liebe Sängerin und
den Zuhörer. Die Freude bleibe bei dem Sänger der Freude! 35
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/120>, abgerufen am 16.02.2025.
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