Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.Gasthof zur häslich dunklen "Sonne"; jezt aus dem zum lichten Auf dem Weg hab ich mir einen neuen hölzernen Wegweiser ge- Weimar d. 23 Aug.25 Ich schriebe am liebsten vor dem Vorhang, der bis auf die Diele *) Ich meinte wirkliche an der Wand, die Szenen aus den 70ger Jahren35
zeichnen. Gaſthof zur häslich dunklen „Sonne“; jezt aus dem zum lichten Auf dem Weg hab ich mir einen neuen hölzernen Wegweiſer ge- Weimar d. 23 Aug.25 Ich ſchriebe am liebſten vor dem Vorhang, der bis auf die Diele *) Ich meinte wirkliche an der Wand, die Szenen aus den 70ger Jahren35
zeichnen. <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0098" n="89"/> Gaſthof zur häslich dunklen <hi rendition="#g">„Sonne“;</hi> jezt aus dem zum lichten<lb/> ½ „Mond“ (an Metaphern iſt da nicht zu denken.) In dieſer Stunde<note place="right"><ref target="1922_Bd3_97">[97]</ref></note><lb/> wirſt du mit deiner und meiner Amöne in Hofek auf einen lichten<lb/> abtheilenden Punkt des Lebens blicken, weil ihr Geburtstag iſt; und<lb/> der Ferne feiert ihn warlich ſtil und erinnernd und vol Sehnſucht mit.<lb n="5"/> Ich kehrte mich heute auf meinem Wege von Naumburg oft nach dem<lb/> klaren Süd-Oſt um zumal neben der in belaubten Schatten ziehenden<lb/> Saale, die keine Welle hat, die nicht an mein Herz anſpühlt.</p><lb/> <p>Auf dem Weg hab ich mir einen neuen hölzernen Wegweiſer ge-<lb/> ſchnizt, der nach <hi rendition="#aq">Hof</hi> zeigt und treibt; nämlich — <hi rendition="#aq">caeteris paribus</hi> —<lb n="10"/> ich gehe rükwärts gerade von hier nach <hi rendition="#aq">Hof</hi> und erſpare 26 Meilen.<lb/> Es giebt <hi rendition="#aq">anno</hi> 1799 für mich keine leichtere Art nach <hi rendition="#aq">H.</hi> zu kommen<lb/> als von hier aus. — Lieber Otto, ich wolt’ ich dürfte empfindſam ſein<lb/> wie andere Leute; mein Inneres iſt tiefer bewegt als die oberſten<lb/> Wellen verrathen — aber da jede wieder gleich ein Strudel wird, ſo<lb n="15"/> hab ich gar nicht den Muth, nur eine über das Ufer ſchlagen zu<lb/> laſſen. Ach wenn du mich jezt ſo oft das Schnupftuch hätteſt nehmen<lb/> ſehen — blos bei meinen Gedanken des Schreibens über die Sache —<lb/> wegen meiner Reiſe-Gedanken, Reiſe-Ermattungen, Reiſefreuden,<lb/> eben jezt von ſingenden Alumnen umgeben, im Spiel der Abendlüfte,<lb n="20"/> im Wiederſchein Eueres heutigen Wiederſcheins, vor lauter elenden<lb/> Kupferſtichen von 70 und 80, die aber meinem Lebens-Mai zugehören<note place="foot" n="*)">Ich meinte wirkliche an der Wand, die Szenen aus den 70ger Jahren<lb n="35"/> zeichnen.</note><lb/> und ihn nachbilden — Nein, meine Seele iſt zu weich, und doch wird ſie<lb/> von andern nichterrathen und nicht erweicht. —</p><lb/> <div n="2"> <dateline> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#aq">Weimar d. 23 Aug.</hi> </hi> </dateline> <lb n="25"/> <p>Ich ſchriebe am liebſten vor dem Vorhang, der bis auf die Diele<lb/> niederhängt; jezt ſeh ich doch unten halb hindurch; <hi rendition="#aq">Herder</hi> hat ſchon<lb/> ſeit drei Tagen nach meiner Erſcheinung inquiriert und ſie heute zum<lb/> Eſſen verlangt — aber eben das Geſagte, das Leben dicht am Vorhange<lb/> eines Orts, iſt am ſchönſten. — Heute wolt ich dir kaum die geſtrigen<lb n="30"/> Seiten laſſen und ſchicken wegen des tollen Parenthyrſus meines Innern.<lb/> Ich gieng geſtern zu Schüze (Schiller ſagte ſich krank an) und mit<note place="right"><ref target="1922_Bd3_98">[98]</ref></note><lb/> dieſem in den Mitwochs-Konvent. Mit ſeiner Frau gieng [ich] viel und<lb/> dum ſpazieren; ſie gehört unter die gemeinſten Koketten, denen man<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0098]
Gaſthof zur häslich dunklen „Sonne“; jezt aus dem zum lichten
½ „Mond“ (an Metaphern iſt da nicht zu denken.) In dieſer Stunde
wirſt du mit deiner und meiner Amöne in Hofek auf einen lichten
abtheilenden Punkt des Lebens blicken, weil ihr Geburtstag iſt; und
der Ferne feiert ihn warlich ſtil und erinnernd und vol Sehnſucht mit. 5
Ich kehrte mich heute auf meinem Wege von Naumburg oft nach dem
klaren Süd-Oſt um zumal neben der in belaubten Schatten ziehenden
Saale, die keine Welle hat, die nicht an mein Herz anſpühlt.
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Auf dem Weg hab ich mir einen neuen hölzernen Wegweiſer ge-
ſchnizt, der nach Hof zeigt und treibt; nämlich — caeteris paribus — 10
ich gehe rükwärts gerade von hier nach Hof und erſpare 26 Meilen.
Es giebt anno 1799 für mich keine leichtere Art nach H. zu kommen
als von hier aus. — Lieber Otto, ich wolt’ ich dürfte empfindſam ſein
wie andere Leute; mein Inneres iſt tiefer bewegt als die oberſten
Wellen verrathen — aber da jede wieder gleich ein Strudel wird, ſo 15
hab ich gar nicht den Muth, nur eine über das Ufer ſchlagen zu
laſſen. Ach wenn du mich jezt ſo oft das Schnupftuch hätteſt nehmen
ſehen — blos bei meinen Gedanken des Schreibens über die Sache —
wegen meiner Reiſe-Gedanken, Reiſe-Ermattungen, Reiſefreuden,
eben jezt von ſingenden Alumnen umgeben, im Spiel der Abendlüfte, 20
im Wiederſchein Eueres heutigen Wiederſcheins, vor lauter elenden
Kupferſtichen von 70 und 80, die aber meinem Lebens-Mai zugehören *)
und ihn nachbilden — Nein, meine Seele iſt zu weich, und doch wird ſie
von andern nichterrathen und nicht erweicht. —
Weimar d. 23 Aug. 25
Ich ſchriebe am liebſten vor dem Vorhang, der bis auf die Diele
niederhängt; jezt ſeh ich doch unten halb hindurch; Herder hat ſchon
ſeit drei Tagen nach meiner Erſcheinung inquiriert und ſie heute zum
Eſſen verlangt — aber eben das Geſagte, das Leben dicht am Vorhange
eines Orts, iſt am ſchönſten. — Heute wolt ich dir kaum die geſtrigen 30
Seiten laſſen und ſchicken wegen des tollen Parenthyrſus meines Innern.
Ich gieng geſtern zu Schüze (Schiller ſagte ſich krank an) und mit
dieſem in den Mitwochs-Konvent. Mit ſeiner Frau gieng [ich] viel und
dum ſpazieren; ſie gehört unter die gemeinſten Koketten, denen man
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*) Ich meinte wirkliche an der Wand, die Szenen aus den 70ger Jahren 35
zeichnen.
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(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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