In Pegau schlief ich. Jetzt fand ich schon sächsische Höflichkeit und -- Spizbüberei: sogar die Accisbedienten und Fuhrleute haben ihren Theil Höflichkeit. Ich wil mich lieber betrügen als anschnauzen lassen. -- Am Mitwoch bestreuete der Himmel meinen Weg durch die schon entblätterten oder entfärbten Laubenreihen bis ans Petersthor5 mit Schneeblüten, wie sonst meinen bayreuther mit Blütenschnee.
4ten Okt. [vielmehr Nov.]
Ich und mein Bruder wurden überal für Kaufleute angesehen, ob gleich nur ich mit Büchern handle. Unter dem Mauththor hatt' ich nichts zu geben als eine Antwort. Ich fuhr zu Beygang -- ich mus10 1000 Dinge weglassen -- er, sein associe und mein Korrektor (und so nachher alle Leipziger) empfiengen mich als wär' ich wieder in Weimar. Ich sah flüchtig das Museum, dessen Verzierung, Bücher- schäze und Bequemlichkeiten und Stille (denn es ist ein besonderes Sprechzimmer) die drei hochgewölbten Sääle zu himlischen Freuden-15 säälen machen. Dan führte mich Herman in mein Logis, das mir mit seinen hohen Stuben, hohen Fenstern, herlichem Ofen (ich brauche 2/3 weniger Holz) und mit seinem neuen Ammeublement (die Kommode ist besser als alles was ich hineinlege) und mit seiner Hausherschaft (Kunsthändler Pfarr) und mit der gefälligsten Köchin (die immer neben20 mir in der Küche ist und die für 2 rtl. 1/4jähr. alles besorgt) meinen Dank gegen Herman (den associe) immer höher trieben. Zu Mittag assen wir bei Beigang: seine Frau ist eine schöne etwas volle, gebildete und biedere Belgierin. Abends as ich bei Oertel im Hirsch. Herman führte mich hinauf. Sieh die Spiele des Zufals: so wohnt im Hohen-25 thalschen Hause auf dem Markt (meines ist in der Petersstrasse) ein Friedr. Richter 3. Trepp. hoch -- so ess' ich aus Ek's Hause, wo ich sonst as.
[3]Oertel hatte schon vorher einen Brief deponiert, der mich zu einem einsamen Wiedersehen einlud: nach einer 1/2 Stunde macht er die30 Nebenstube auf und seine Frau -- so gros und schmächtig wie Renate, weder schön noch unangenehm, aber mit liebequellenden milden Augen, die einem das Herz zauberisch wegziehen -- fiel mir, obgleich noch Mutter und 2 Schwestern da waren, um den -- Hals. Ich war so verwirt als froh. Ihre Kehle ist wie ihr Auge. Und da sie das Ver-35 gismeinnicht und manche welsche Stücke sang: so kanst du leicht denken, wohin meine Ohren mein Herz führten und welche nahe
In Pegau ſchlief ich. Jetzt fand ich ſchon ſächſiſche Höflichkeit und — Spizbüberei: ſogar die Accisbedienten und Fuhrleute haben ihren Theil Höflichkeit. Ich wil mich lieber betrügen als anſchnauzen laſſen. — Am Mitwoch beſtreuete der Himmel meinen Weg durch die ſchon entblätterten oder entfärbten Laubenreihen bis ans Petersthor5 mit Schneeblüten, wie ſonſt meinen bayreuther mit Blütenſchnee.
4ten Okt. [vielmehr Nov.]
Ich und mein Bruder wurden überal für Kaufleute angeſehen, ob gleich nur ich mit Büchern handle. Unter dem Mauththor hatt’ ich nichts zu geben als eine Antwort. Ich fuhr zu Beygang — ich mus10 1000 Dinge weglaſſen — er, ſein associé und mein Korrektor (und ſo nachher alle Leipziger) empfiengen mich als wär’ ich wieder in Weimar. Ich ſah flüchtig das Muſeum, deſſen Verzierung, Bücher- ſchäze und Bequemlichkeiten und Stille (denn es iſt ein beſonderes Sprechzimmer) die drei hochgewölbten Sääle zu himliſchen Freuden-15 ſäälen machen. Dan führte mich Herman in mein Logis, das mir mit ſeinen hohen Stuben, hohen Fenſtern, herlichem Ofen (ich brauche ⅔ weniger Holz) und mit ſeinem neuen Ammeublement (die Kommode iſt beſſer als alles was ich hineinlege) und mit ſeiner Hausherſchaft (Kunſthändler Pfarr) und mit der gefälligſten Köchin (die immer neben20 mir in der Küche iſt und die für 2 rtl. ¼jähr. alles beſorgt) meinen Dank gegen Herman (den associé) immer höher trieben. Zu Mittag aſſen wir bei Beigang: ſeine Frau iſt eine ſchöne etwas volle, gebildete und biedere Belgierin. Abends as ich bei Oertel im Hirſch. Herman führte mich hinauf. Sieh die Spiele des Zufals: ſo wohnt im Hohen-25 thalſchen Hauſe auf dem Markt (meines iſt in der Petersſtraſſe) ein Friedr. Richter 3. Trepp. hoch — ſo eſſ’ ich aus Ek’s Hauſe, wo ich ſonſt as.
[3]Oertel hatte ſchon vorher einen Brief deponiert, der mich zu einem einſamen Wiederſehen einlud: nach einer ½ Stunde macht er die30 Nebenſtube auf und ſeine Frau — ſo gros und ſchmächtig wie Renate, weder ſchön noch unangenehm, aber mit liebequellenden milden Augen, die einem das Herz zauberiſch wegziehen — fiel mir, obgleich noch Mutter und 2 Schweſtern da waren, um den — Hals. Ich war ſo verwirt als froh. Ihre Kehle iſt wie ihr Auge. Und da ſie das Ver-35 gismeinnicht und manche welſche Stücke ſang: ſo kanſt du leicht denken, wohin meine Ohren mein Herz führten und welche nahe
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In Pegau ſchlief ich. Jetzt fand ich ſchon ſächſiſche Höflichkeit und
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ihren Theil Höflichkeit. Ich wil mich lieber betrügen als anſchnauzen
laſſen. — Am Mitwoch beſtreuete der Himmel meinen Weg durch die
ſchon entblätterten oder entfärbten Laubenreihen bis ans Petersthor 5
mit Schneeblüten, wie ſonſt meinen bayreuther mit Blütenſchnee.
4ten Okt. [vielmehr Nov.]
Ich und mein Bruder wurden überal für Kaufleute angeſehen, ob
gleich nur ich mit Büchern handle. Unter dem Mauththor hatt’ ich
nichts zu geben als eine Antwort. Ich fuhr zu Beygang — ich mus 10
1000 Dinge weglaſſen — er, ſein associé und mein Korrektor (und
ſo nachher alle Leipziger) empfiengen mich als wär’ ich wieder in
Weimar. Ich ſah flüchtig das Muſeum, deſſen Verzierung, Bücher-
ſchäze und Bequemlichkeiten und Stille (denn es iſt ein beſonderes
Sprechzimmer) die drei hochgewölbten Sääle zu himliſchen Freuden- 15
ſäälen machen. Dan führte mich Herman in mein Logis, das mir mit
ſeinen hohen Stuben, hohen Fenſtern, herlichem Ofen (ich brauche
⅔ weniger Holz) und mit ſeinem neuen Ammeublement (die Kommode
iſt beſſer als alles was ich hineinlege) und mit ſeiner Hausherſchaft
(Kunſthändler Pfarr) und mit der gefälligſten Köchin (die immer neben 20
mir in der Küche iſt und die für 2 rtl. ¼jähr. alles beſorgt) meinen
Dank gegen Herman (den associé) immer höher trieben. Zu Mittag
aſſen wir bei Beigang: ſeine Frau iſt eine ſchöne etwas volle, gebildete
und biedere Belgierin. Abends as ich bei Oertel im Hirſch. Herman
führte mich hinauf. Sieh die Spiele des Zufals: ſo wohnt im Hohen- 25
thalſchen Hauſe auf dem Markt (meines iſt in der Petersſtraſſe) ein
Friedr. Richter 3. Trepp. hoch — ſo eſſ’ ich aus Ek’s Hauſe, wo ich
ſonſt as.
Oertel hatte ſchon vorher einen Brief deponiert, der mich zu einem
einſamen Wiederſehen einlud: nach einer ½ Stunde macht er die 30
Nebenſtube auf und ſeine Frau — ſo gros und ſchmächtig wie Renate,
weder ſchön noch unangenehm, aber mit liebequellenden milden Augen,
die einem das Herz zauberiſch wegziehen — fiel mir, obgleich noch
Mutter und 2 Schweſtern da waren, um den — Hals. Ich war ſo
verwirt als froh. Ihre Kehle iſt wie ihr Auge. Und da ſie das Ver- 35
gismeinnicht und manche welſche Stücke ſang: ſo kanſt du leicht
denken, wohin meine Ohren mein Herz führten und welche nahe
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/7>, abgerufen am 21.11.2024.
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