das Sie trent und trägt -- wie lebenswarm Ihr Herz unter so viel Zurükwerfung der Liebe auf Eines schlagen würde. Ich trage den Vor- schmak der Trennung in den Nektar der Gegenwart. Ich ahne, daß Ihnen unter dem Wachsfigurenkabinet, wodurch Sie zu gehen haben, eine warme beseelte Gestalt die Hand geben werde. Ich bin wie der5 Mensch, der in allen Zonen fortkomt, Sie wie der Schweizer und die[66] Alpengewächse, die nirgends blühen als auf Höhen -- welches Herz das Schiksal nur wiege, nicht erschüttere.
88. An Sophie von Brüningk in Hohenberg.
[Kopie][Hof, 21. April 1798]10
Sie geben mir lauter bunte Frühlingsgeschenke mit einem Trauer- herz und meines nimt sie dankend und weinend auf. Nun zieht die raubende und schwüle Stunde der Trennung näher und dunkler auf mich zu und zeigt immer mehr neue Thränen. Hinter dem Vorhang der Zukunft oder Vergangenheit schweben fliehend die theueren Ge-15 stalten nur wie gehende Lichter hinter dem Theatervorhang. Aber was das Herz aufrecht hält, ist, daß ohne die Trennung der Jahre nicht die kurze gesellige Stunde so viele gesammelte und gefülte Honigkelche tragen würde. Wir entbehren nur Zeit, nicht Freude und ein einziger Tag des lang entrükten Wiedersehens trägt alle Hesperidenfrüchte, die20 erst in einem langen Jahre gezeitigt hätten. Ja es giebt hohe Augen- blicke, die nur um den Schmerz der Absonderung feilstehen. Leben Sie froh und das Schiksal sag' es mir nach.
89. An Christian Otto.
Leipzig d. 27 Ap. 98 [Freitag].25
Unvergeslicher! Dienstags nach 8 Uhr langten wir im hiesigen Frühling und Getümmel an. Schon in Gera fuhren wir zwischen blühenden Bäumen, aber auch zwischen Betteljungen, wovon einer, nachdem der andere dotieret war, auf einmal zu singen anfieng und so mit der Arie im Mund neben dem Wagen forttrabte. Nur in Auma30 fanden wir um 1 Uhr Nachts keine Pferde, sondern einen ihnen ähn- lichen Postmeister. (Israel ist die beste Donner- und Fluchmaschine, die man gegen das Postwesen mitnehmen kan.) Er donnerte am Ende doch einem Koadjutor von Wirth, auf Erlaubnis des Post Maire, ein
das Sie trent und trägt — wie lebenswarm Ihr Herz unter ſo viel Zurükwerfung der Liebe auf Eines ſchlagen würde. Ich trage den Vor- ſchmak der Trennung in den Nektar der Gegenwart. Ich ahne, daß Ihnen unter dem Wachsfigurenkabinet, wodurch Sie zu gehen haben, eine warme beſeelte Geſtalt die Hand geben werde. Ich bin wie der5 Menſch, der in allen Zonen fortkomt, Sie wie der Schweizer und die[66] Alpengewächſe, die nirgends blühen als auf Höhen — welches Herz das Schikſal nur wiege, nicht erſchüttere.
88. An Sophie von Brüningk in Hohenberg.
[Kopie][Hof, 21. April 1798]10
Sie geben mir lauter bunte Frühlingsgeſchenke mit einem Trauer- herz und meines nimt ſie dankend und weinend auf. Nun zieht die raubende und ſchwüle Stunde der Trennung näher und dunkler auf mich zu und zeigt immer mehr neue Thränen. Hinter dem Vorhang der Zukunft oder Vergangenheit ſchweben fliehend die theueren Ge-15 ſtalten nur wie gehende Lichter hinter dem Theatervorhang. Aber was das Herz aufrecht hält, iſt, daß ohne die Trennung der Jahre nicht die kurze geſellige Stunde ſo viele geſammelte und gefülte Honigkelche tragen würde. Wir entbehren nur Zeit, nicht Freude und ein einziger Tag des lang entrükten Wiederſehens trägt alle Heſperidenfrüchte, die20 erſt in einem langen Jahre gezeitigt hätten. Ja es giebt hohe Augen- blicke, die nur um den Schmerz der Abſonderung feilſtehen. Leben Sie froh und das Schikſal ſag’ es mir nach.
89. An Chriſtian Otto.
Leipzig d. 27 Ap. 98 [Freitag].25
Unvergeslicher! Dienſtags nach 8 Uhr langten wir im hieſigen Frühling und Getümmel an. Schon in Gera fuhren wir zwiſchen blühenden Bäumen, aber auch zwiſchen Betteljungen, wovon einer, nachdem der andere dotieret war, auf einmal zu ſingen anfieng und ſo mit der Arie im Mund neben dem Wagen forttrabte. Nur in Auma30 fanden wir um 1 Uhr Nachts keine Pferde, ſondern einen ihnen ähn- lichen Poſtmeiſter. (Iſrael iſt die beſte Donner- und Fluchmaſchine, die man gegen das Poſtweſen mitnehmen kan.) Er donnerte am Ende doch einem Koadjutor von Wirth, auf Erlaubnis des Poſt Maire, ein
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Ihnen unter dem Wachsfigurenkabinet, wodurch Sie zu gehen haben,
eine warme beſeelte Geſtalt die Hand geben werde. Ich bin wie der 5
Menſch, der in allen Zonen fortkomt, Sie wie der Schweizer und die
Alpengewächſe, die nirgends blühen als auf Höhen — welches Herz
das Schikſal nur wiege, nicht erſchüttere.
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88. An Sophie von Brüningk in Hohenberg.
[Hof, 21. April 1798] 10
Sie geben mir lauter bunte Frühlingsgeſchenke mit einem Trauer-
herz und meines nimt ſie dankend und weinend auf. Nun zieht die
raubende und ſchwüle Stunde der Trennung näher und dunkler auf
mich zu und zeigt immer mehr neue Thränen. Hinter dem Vorhang
der Zukunft oder Vergangenheit ſchweben fliehend die theueren Ge- 15
ſtalten nur wie gehende Lichter hinter dem Theatervorhang. Aber was
das Herz aufrecht hält, iſt, daß ohne die Trennung der Jahre nicht die
kurze geſellige Stunde ſo viele geſammelte und gefülte Honigkelche
tragen würde. Wir entbehren nur Zeit, nicht Freude und ein einziger
Tag des lang entrükten Wiederſehens trägt alle Heſperidenfrüchte, die 20
erſt in einem langen Jahre gezeitigt hätten. Ja es giebt hohe Augen-
blicke, die nur um den Schmerz der Abſonderung feilſtehen. Leben Sie
froh und das Schikſal ſag’ es mir nach.
89. An Chriſtian Otto.
Leipzig d. 27 Ap. 98 [Freitag]. 25
Unvergeslicher! Dienſtags nach 8 Uhr langten wir im hieſigen
Frühling und Getümmel an. Schon in Gera fuhren wir zwiſchen
blühenden Bäumen, aber auch zwiſchen Betteljungen, wovon einer,
nachdem der andere dotieret war, auf einmal zu ſingen anfieng und ſo
mit der Arie im Mund neben dem Wagen forttrabte. Nur in Auma 30
fanden wir um 1 Uhr Nachts keine Pferde, ſondern einen ihnen ähn-
lichen Poſtmeiſter. (Iſrael iſt die beſte Donner- und Fluchmaſchine,
die man gegen das Poſtweſen mitnehmen kan.) Er donnerte am Ende
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/68>, abgerufen am 27.11.2024.
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