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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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die uns beide lieben und machen Sie die Freude unserer R[enate] vol-
kommen.

Richter
83. An Thieriot in Leipzig.
5

Lieber Thieriot! Ihr geistreiches Briefbuch hat mich sehr erquikt.
Ihre Manier streift zwar zuweilen an die zu keke schlegel'sche; aber
der Maler nicht. Was Sie über den Menschen und den Autor sagen
-- welcher leztere nie etwas anders sein solte als der Mensch nach
seiner Auferstehung oder der Mensch im hohen Stil -- ist sehr gut. --10
Was die Kunstrichter über den Wiz sagen, ist nicht sehr gut. Überhaupt
wird nicht der Dichter blos, sondern auch der Rezensent und jeder ge-[64]
boren; die höhere Kritik wird nicht gelehrt, sondern erzeugt von einem
höhern Menschen, und der kritische Sin kan so wenig aus der Lesung
vieler Werke zusammengebettelt werden als der Dichtergeist aus der15
Lesung der Dichter. Daher weis ich keine grossen Kunstrichter als
entweder grosse Menschen oder Künstler. --

Meine rechte Antwort auf Ihren Brief geb' ich Ihnen -- mündlich.
-- Haben Sie die Güte, H. Pfarr diesen zu geben und ihm zu sagen,
daß er sich nie unterstehen dürfe, meine Papiere zu berühren d. h. zu20
verwirren und daß ich bis Ende Aprils ein volles Recht auf meine Stube
habe und daß ich den 22ten hier mit Extrapost abgehe.

Grüssen Sie alle Ihre Freunde von meinetwegen.

Schauen Sie, Lieber, das Gute, Schöne und Wahre weniger mit
den Augen eines Philologen, Kritikers, Künstlers an, der nur fremde25
Effekte berechnet und eigne vergisset als wäre Gott und das Universum
und das Ich nur zum elenden Darstellen in Prosa und Versen da -- --
dieses hiesse aus einem beseelten Original zu einem Kniestük und zu
Farbenkörnern vertroknen.

Leben Sie glüklich, lieber guter, warmer Jüngling!30

Richter

P. S. Eben erhalt' ich Ihren 2ten lieben schönen Brief. Meine
Reglements treffen also mit Pfarr's seinen zusammen und Sie
brauchen ihm wenig zu sagen.

die uns beide lieben und machen Sie die Freude unſerer R[enate] vol-
kommen.

Richter
83. An Thieriot in Leipzig.
5

Lieber Thieriot! Ihr geiſtreiches Briefbuch hat mich ſehr erquikt.
Ihre Manier ſtreift zwar zuweilen an die zu keke ſchlegel’ſche; aber
der Maler nicht. Was Sie über den Menſchen und den Autor ſagen
— welcher leztere nie etwas anders ſein ſolte als der Menſch nach
ſeiner Auferſtehung oder der Menſch im hohen Stil — iſt ſehr gut. —10
Was die Kunſtrichter über den Wiz ſagen, iſt nicht ſehr gut. Überhaupt
wird nicht der Dichter blos, ſondern auch der Rezenſent und jeder ge-[64]
boren; die höhere Kritik wird nicht gelehrt, ſondern erzeugt von einem
höhern Menſchen, und der kritiſche Sin kan ſo wenig aus der Leſung
vieler Werke zuſammengebettelt werden als der Dichtergeiſt aus der15
Leſung der Dichter. Daher weis ich keine groſſen Kunſtrichter als
entweder groſſe Menſchen oder Künſtler. —

Meine rechte Antwort auf Ihren Brief geb’ ich Ihnen — mündlich.
— Haben Sie die Güte, H. Pfarr dieſen zu geben und ihm zu ſagen,
daß er ſich nie unterſtehen dürfe, meine Papiere zu berühren d. h. zu20
verwirren und daß ich bis Ende Aprils ein volles Recht auf meine Stube
habe und daß ich den 22ten hier mit Extrapoſt abgehe.

Grüſſen Sie alle Ihre Freunde von meinetwegen.

Schauen Sie, Lieber, das Gute, Schöne und Wahre weniger mit
den Augen eines Philologen, Kritikers, Künſtlers an, der nur fremde25
Effekte berechnet und eigne vergiſſet als wäre Gott und das Univerſum
und das Ich nur zum elenden Darſtellen in Proſa und Verſen da — —
dieſes hieſſe aus einem beſeelten Original zu einem Knieſtük und zu
Farbenkörnern vertroknen.

Leben Sie glüklich, lieber guter, warmer Jüngling!30

Richter

P. S. Eben erhalt’ ich Ihren 2ten lieben ſchönen Brief. Meine
Reglements treffen alſo mit Pfarr’s ſeinen zuſammen und Sie
brauchen ihm wenig zu ſagen.

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[59/0066] die uns beide lieben und machen Sie die Freude unſerer R[enate] vol- kommen. Richter 83. An Thieriot in Leipzig. Hof. d. 17. Apr. 98. 5 Lieber Thieriot! Ihr geiſtreiches Briefbuch hat mich ſehr erquikt. Ihre Manier ſtreift zwar zuweilen an die zu keke ſchlegel’ſche; aber der Maler nicht. Was Sie über den Menſchen und den Autor ſagen — welcher leztere nie etwas anders ſein ſolte als der Menſch nach ſeiner Auferſtehung oder der Menſch im hohen Stil — iſt ſehr gut. — 10 Was die Kunſtrichter über den Wiz ſagen, iſt nicht ſehr gut. Überhaupt wird nicht der Dichter blos, ſondern auch der Rezenſent und jeder ge- boren; die höhere Kritik wird nicht gelehrt, ſondern erzeugt von einem höhern Menſchen, und der kritiſche Sin kan ſo wenig aus der Leſung vieler Werke zuſammengebettelt werden als der Dichtergeiſt aus der 15 Leſung der Dichter. Daher weis ich keine groſſen Kunſtrichter als entweder groſſe Menſchen oder Künſtler. — [64] Meine rechte Antwort auf Ihren Brief geb’ ich Ihnen — mündlich. — Haben Sie die Güte, H. Pfarr dieſen zu geben und ihm zu ſagen, daß er ſich nie unterſtehen dürfe, meine Papiere zu berühren d. h. zu 20 verwirren und daß ich bis Ende Aprils ein volles Recht auf meine Stube habe und daß ich den 22ten hier mit Extrapoſt abgehe. Grüſſen Sie alle Ihre Freunde von meinetwegen. Schauen Sie, Lieber, das Gute, Schöne und Wahre weniger mit den Augen eines Philologen, Kritikers, Künſtlers an, der nur fremde 25 Effekte berechnet und eigne vergiſſet als wäre Gott und das Univerſum und das Ich nur zum elenden Darſtellen in Proſa und Verſen da — — dieſes hieſſe aus einem beſeelten Original zu einem Knieſtük und zu Farbenkörnern vertroknen. Leben Sie glüklich, lieber guter, warmer Jüngling! 30 Richter P. S. Eben erhalt’ ich Ihren 2ten lieben ſchönen Brief. Meine Reglements treffen alſo mit Pfarr’s ſeinen zuſammen und Sie brauchen ihm wenig zu ſagen.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/66>, abgerufen am 24.11.2024.