Häslich ists, daß ich dir meinen Brief stat des Briefstellers schicken mus; alles was ich dir zu sagen habe -- wozu ich mündlich Wochen brauchte -- mus ich dir in einer schriftlichen Stunde vorpunktieren [364]ohne Linie und Farbe stat es vorzumalen. Z. B.
Fried. Schlegel kam nach Weimar, mich zu sehen -- denn er5 liebt mich troz seines Missions-Feuereifers -- und blieb 1 1/2 Tage auf meiner Stube. Er wurde mir noch mehr gut, ob er gleich meinen Antagonismus in allen Punkten zu hören bekam. Er ist ein unbefangner, sanfter, fast kindlicher, einfacher Mensch, der nicht den Karakter, aber leicht die Denkungs- und Sprechart10 eines Menschen fässet. Wir wurden leichter einig als unsere Bücher weissagten; daran ist die jezige und seine Brutto-Rechnung schuld, die aus allen unähnlichen Systemen, aber anders als Leibniz, ein ähnliches, (ein Fichtisch-korinthisches Erz) heraus- schmilzt. Indem ich sein Herz höher stelte: so fand ich auf der15 andern Seite sein Gehirn nicht vollöthig. Er konte mir auf meine antifichtischen Einwürfe nicht antworten, "er könne sich nicht sogleich auf den Standpunkt der Reflexion versezen" versezt' er -- und er sei kein Fichtianer. Über dich sprach ich nach meiner Art und fragte ihn, wozu die idealistischen Saifenblasen-Montgolfieren hälfen, wenn das20 transßendente Volk nicht vorher alles umgestossen hätte, was du früher und später festgesezt. Er sagte, nie würdest du mehr studiert als in Jena; und es sei nur schade, daß du nicht mit einem ganzen System vorträtest. --
Gelehrsamkeit und Belesenheit fand ich nicht bei ihm; er kent wie25 jezt die meisten, nur einige Nobili's aus jeder Litteratur und dan urthelt er über das ganze Volk ab. --
Zurük zu deinen Briefen! Vielen Dank für die herlichen von Bag- gesen, der alle Genialität und Laune aufbietet, zu beweisen, er habe sie nicht mehr; er ist der Philosoph, der die Bewegung läugnet, und der,30 der sich damit davon macht, in Einer Person. Er kan nie glüklich sein oder machen. So wohl im Moralischen als im Aesthetischen fehlen ihm nicht Kräfte und Flügelfedern, sondern ein Ziel, dem er immer zufliege; und so wird ihm das Leben durch den unbestimten Kreis-Flug leer und mat. Selber seine Klagen haben kein Ziel; er wil klagen. --35 Und doch kan ihn nur ein Amt und ein Weib und etwan ein Buch aus- heilen, an dem er 10 Jahre lange schreiben müste. -- Er irret sich
Häslich iſts, daß ich dir meinen Brief ſtat des Briefſtellers ſchicken mus; alles was ich dir zu ſagen habe — wozu ich mündlich Wochen brauchte — mus ich dir in einer ſchriftlichen Stunde vorpunktieren [364]ohne Linie und Farbe ſtat es vorzumalen. Z. B.
Fried. Schlegel kam nach Weimar, mich zu ſehen — denn er5 liebt mich troz ſeines Miſſions-Feuereifers — und blieb 1 ½ Tage auf meiner Stube. Er wurde mir noch mehr gut, ob er gleich meinen Antagoniſmus in allen Punkten zu hören bekam. Er iſt ein unbefangner, ſanfter, faſt kindlicher, einfacher Menſch, der nicht den Karakter, aber leicht die Denkungs- und Sprechart10 eines Menſchen fäſſet. Wir wurden leichter einig als unſere Bücher weiſſagten; daran iſt die jezige und ſeine Brutto-Rechnung ſchuld, die aus allen unähnlichen Syſtemen, aber anders als Leibniz, ein ähnliches, (ein Fichtiſch-korinthiſches Erz) heraus- ſchmilzt. Indem ich ſein Herz höher ſtelte: ſo fand ich auf der15 andern Seite ſein Gehirn nicht vollöthig. Er konte mir auf meine antifichtiſchen Einwürfe nicht antworten, „er könne ſich nicht ſogleich auf den Standpunkt der Reflexion verſezen“ verſezt’ er — und er ſei kein Fichtianer. Über dich ſprach ich nach meiner Art und fragte ihn, wozu die idealiſtiſchen Saifenblaſen-Montgolfieren hälfen, wenn das20 transſzendente Volk nicht vorher alles umgeſtoſſen hätte, was du früher und ſpäter feſtgeſezt. Er ſagte, nie würdeſt du mehr ſtudiert als in Jena; und es ſei nur ſchade, daß du nicht mit einem ganzen Syſtem vorträteſt. —
Gelehrſamkeit und Beleſenheit fand ich nicht bei ihm; er kent wie25 jezt die meiſten, nur einige Nobili’s aus jeder Litteratur und dan urthelt er über das ganze Volk ab. —
Zurük zu deinen Briefen! Vielen Dank für die herlichen von Bag- gesen, der alle Genialität und Laune aufbietet, zu beweiſen, er habe ſie nicht mehr; er iſt der Philoſoph, der die Bewegung läugnet, und der,30 der ſich damit davon macht, in Einer Perſon. Er kan nie glüklich ſein oder machen. So wohl im Moraliſchen als im Aeſthetiſchen fehlen ihm nicht Kräfte und Flügelfedern, ſondern ein Ziel, dem er immer zufliege; und ſo wird ihm das Leben durch den unbeſtimten Kreis-Flug leer und mat. Selber ſeine Klagen haben kein Ziel; er wil klagen. —35 Und doch kan ihn nur ein Amt und ein Weib und etwan ein Buch aus- heilen, an dem er 10 Jahre lange ſchreiben müſte. — Er irret ſich
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Häslich iſts, daß ich dir meinen Brief ſtat des Briefſtellers ſchicken
mus; alles was ich dir zu ſagen habe — wozu ich mündlich Wochen
brauchte — mus ich dir in einer ſchriftlichen Stunde vorpunktieren
ohne Linie und Farbe ſtat es vorzumalen. Z. B.
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Fried. Schlegel kam nach Weimar, mich zu ſehen — denn er 5
liebt mich troz ſeines Miſſions-Feuereifers — und blieb 1 ½ Tage
auf meiner Stube. Er wurde mir noch mehr gut, ob er gleich
meinen Antagoniſmus in allen Punkten zu hören bekam. Er iſt
ein unbefangner, ſanfter, faſt kindlicher, einfacher Menſch, der
nicht den Karakter, aber leicht die Denkungs- und Sprechart 10
eines Menſchen fäſſet. Wir wurden leichter einig als unſere
Bücher weiſſagten; daran iſt die jezige und ſeine Brutto-Rechnung
ſchuld, die aus allen unähnlichen Syſtemen, aber anders als
Leibniz, ein ähnliches, (ein Fichtiſch-korinthiſches Erz) heraus-
ſchmilzt. Indem ich ſein Herz höher ſtelte: ſo fand ich auf der 15
andern Seite ſein Gehirn nicht vollöthig. Er konte mir auf meine
antifichtiſchen Einwürfe nicht antworten, „er könne ſich nicht ſogleich
auf den Standpunkt der Reflexion verſezen“ verſezt’ er — und er ſei
kein Fichtianer. Über dich ſprach ich nach meiner Art und fragte ihn,
wozu die idealiſtiſchen Saifenblaſen-Montgolfieren hälfen, wenn das 20
transſzendente Volk nicht vorher alles umgeſtoſſen hätte, was du
früher und ſpäter feſtgeſezt. Er ſagte, nie würdeſt du mehr ſtudiert als
in Jena; und es ſei nur ſchade, daß du nicht mit einem ganzen Syſtem
vorträteſt. —
Gelehrſamkeit und Beleſenheit fand ich nicht bei ihm; er kent wie 25
jezt die meiſten, nur einige Nobili’s aus jeder Litteratur und dan
urthelt er über das ganze Volk ab. —
Zurük zu deinen Briefen! Vielen Dank für die herlichen von Bag-
gesen, der alle Genialität und Laune aufbietet, zu beweiſen, er habe
ſie nicht mehr; er iſt der Philoſoph, der die Bewegung läugnet, und der, 30
der ſich damit davon macht, in Einer Perſon. Er kan nie glüklich ſein
oder machen. So wohl im Moraliſchen als im Aeſthetiſchen fehlen
ihm nicht Kräfte und Flügelfedern, ſondern ein Ziel, dem er immer
zufliege; und ſo wird ihm das Leben durch den unbeſtimten Kreis-Flug
leer und mat. Selber ſeine Klagen haben kein Ziel; er wil klagen. — 35
Und doch kan ihn nur ein Amt und ein Weib und etwan ein Buch aus-
heilen, an dem er 10 Jahre lange ſchreiben müſte. — Er irret ſich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/358>, abgerufen am 22.11.2024.
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