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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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Liebe. -- Und doch nehm' ich nichts von meiner alten Achtung für die
weibliche Reinheit zurük; keine (gute) glaubt, daß sie fallen könne,
weil keine sogar ihre körperliche unbändige Reizbarkeit d. h. Be-
trun[ken]heit kent; daher kommen ihre komischen Verwunderungen,
daß eine fiel und anders handelte als sie sprach; (da sie doch dachte wie5
sie sprach); sie glauben, weil sie die Versuchung nicht wünschen, sie
darum auch besiegen zu können, oder auch weil sie sich bei derselben nie
den Geliebten sondern einen Fremden denken oder weil sie sie sich gleich
mit dem Höllenfeuer Extrem denken ohne den langen Höllenweg
die Gradazion dazu. Diese Kentnis, mus ich dir sagen, macht einen10
eigentlich nicht sonderlich moralisch stark bei diesem Geschlecht, weil
man dabei auf keine Subsidien zu rechnen hat als auf eigne. -- Ich
habe entscheidende Erfahrungen; und bin blos über die Art verlegen,
wie ich öffentlich die Mädgen hierüber warnen sol.

Hier sol der nöthige Saz stehen: daß ich -- juristisch betrachtet, aber15
gar nicht moralisch -- durch eigne Fügungen des Schiksals seit meiner
Abreise aus Schwarzenbach in die -- Prima noch derselbe juristische
Junggeselle bin, fast. *)

Ach wie meine Seele sonst so heilig war und so dum! Der Teufel
hole das erste zerrüttende Wort, das mir die Kalb sagte und was fort-20
brante! -- Und doch kan ich Freundinnen früherer Zeit nur in jenem
magischen Lichte anschauen, so sehr, daß ich deiner Nachricht wegen der
Liebmännin -- deren tadelhafte Antwort "es siehts niemand" schon
eine tadelhafte Frage und also einen zweideutigen Referendar voraus-
sezt -- auf ihr Ankündigungsbillet, blos weil die Kohle meiner Liebe25
für sie ins Wasser gefallen war, einen Anstandsbrief zurükschrieb und
mich mit der Berlin[er] Reise entschuldigte. Den Tag darauf kamen
beide. Ich liebte die schöne Freundin recht herzlich wieder und wir waren
froh; -- später gieng sie zur Schroeder; da verlangte er 200 rtl.
[361]geliehen -- 80 gab ich ihm doch; aber er ist so zerstreuet und leer, daß30
er in den Schein den gar nicht sezte, ders ihm geliehen, sondern nur
sich. Aber ich kan und darf dem Glauben an die Menschheit nichts
abschlagen, daher ich heute für einen fremden hypochondrischen Doktor
aus Schwaben bei einem Buchbinder bürgte, der ihm ein Miethpferd

*) wär' einmal das Gegentheil, würd' ich dirs so frei bekennen wie Rousseau35
der Welt, der 100 etc. mal gefehlt.

Liebe. — Und doch nehm’ ich nichts von meiner alten Achtung für die
weibliche Reinheit zurük; keine (gute) glaubt, daß ſie fallen könne,
weil keine ſogar ihre körperliche unbändige Reizbarkeit d. h. Be-
trun[ken]heit kent; daher kommen ihre komiſchen Verwunderungen,
daß eine fiel und anders handelte als ſie ſprach; (da ſie doch dachte wie5
ſie ſprach); ſie glauben, weil ſie die Verſuchung nicht wünſchen, ſie
darum auch beſiegen zu können, oder auch weil ſie ſich bei derſelben nie
den Geliebten ſondern einen Fremden denken oder weil ſie ſie ſich gleich
mit dem Höllenfeuer 〈Extrem〉 denken ohne den langen Höllenweg
〈die Gradazion〉 dazu. Dieſe Kentnis, mus ich dir ſagen, macht einen10
eigentlich nicht ſonderlich moraliſch ſtark bei dieſem Geſchlecht, weil
man dabei auf keine Subſidien zu rechnen hat als auf eigne. — Ich
habe entſcheidende Erfahrungen; und bin blos über die Art verlegen,
wie ich öffentlich die Mädgen hierüber warnen ſol.

Hier ſol der nöthige Saz ſtehen: daß ich — juriſtiſch betrachtet, aber15
gar nicht moraliſch — durch eigne Fügungen des Schikſals ſeit meiner
Abreiſe aus Schwarzenbach in die — Prima noch derſelbe juriſtiſche
Junggeſelle bin, faſt. *)

Ach wie meine Seele ſonſt ſo heilig war und ſo dum! Der Teufel
hole das erſte zerrüttende Wort, das mir die Kalb ſagte und was fort-20
brante! — Und doch kan ich Freundinnen früherer Zeit nur in jenem
magiſchen Lichte anſchauen, ſo ſehr, daß ich deiner Nachricht wegen der
Liebmännin — deren tadelhafte Antwort „es ſiehts niemand“ ſchon
eine tadelhafte Frage und alſo einen zweideutigen Referendar voraus-
ſezt — auf ihr Ankündigungsbillet, blos weil die Kohle meiner Liebe25
für ſie ins Waſſer gefallen war, einen Anſtandsbrief zurükſchrieb und
mich mit der Berlin[er] Reiſe entſchuldigte. Den Tag darauf kamen
beide. Ich liebte die ſchöne Freundin recht herzlich wieder und wir waren
froh; — ſpäter gieng ſie zur Schrœder; da verlangte er 200 rtl.
[361]geliehen — 80 gab ich ihm doch; aber er iſt ſo zerſtreuet und leer, daß30
er in den Schein den gar nicht ſezte, ders ihm geliehen, ſondern nur
ſich. Aber ich kan und darf dem Glauben an die Menſchheit nichts
abſchlagen, daher ich heute für einen fremden hypochondriſchen Doktor
aus Schwaben bei einem Buchbinder bürgte, der ihm ein Miethpferd

*) wär’ einmal das Gegentheil, würd’ ich dirs ſo frei bekennen wie Rouſſeau35
der Welt, der 100 ꝛc. mal gefehlt.
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[334/0354] Liebe. — Und doch nehm’ ich nichts von meiner alten Achtung für die weibliche Reinheit zurük; keine (gute) glaubt, daß ſie fallen könne, weil keine ſogar ihre körperliche unbändige Reizbarkeit d. h. Be- trun[ken]heit kent; daher kommen ihre komiſchen Verwunderungen, daß eine fiel und anders handelte als ſie ſprach; (da ſie doch dachte wie 5 ſie ſprach); ſie glauben, weil ſie die Verſuchung nicht wünſchen, ſie darum auch beſiegen zu können, oder auch weil ſie ſich bei derſelben nie den Geliebten ſondern einen Fremden denken oder weil ſie ſie ſich gleich mit dem Höllenfeuer 〈Extrem〉 denken ohne den langen Höllenweg 〈die Gradazion〉 dazu. Dieſe Kentnis, mus ich dir ſagen, macht einen 10 eigentlich nicht ſonderlich moraliſch ſtark bei dieſem Geſchlecht, weil man dabei auf keine Subſidien zu rechnen hat als auf eigne. — Ich habe entſcheidende Erfahrungen; und bin blos über die Art verlegen, wie ich öffentlich die Mädgen hierüber warnen ſol. Hier ſol der nöthige Saz ſtehen: daß ich — juriſtiſch betrachtet, aber 15 gar nicht moraliſch — durch eigne Fügungen des Schikſals ſeit meiner Abreiſe aus Schwarzenbach in die — Prima noch derſelbe juriſtiſche Junggeſelle bin, faſt. *) Ach wie meine Seele ſonſt ſo heilig war und ſo dum! Der Teufel hole das erſte zerrüttende Wort, das mir die Kalb ſagte und was fort- 20 brante! — Und doch kan ich Freundinnen früherer Zeit nur in jenem magiſchen Lichte anſchauen, ſo ſehr, daß ich deiner Nachricht wegen der Liebmännin — deren tadelhafte Antwort „es ſiehts niemand“ ſchon eine tadelhafte Frage und alſo einen zweideutigen Referendar voraus- ſezt — auf ihr Ankündigungsbillet, blos weil die Kohle meiner Liebe 25 für ſie ins Waſſer gefallen war, einen Anſtandsbrief zurükſchrieb und mich mit der Berlin[er] Reiſe entſchuldigte. Den Tag darauf kamen beide. Ich liebte die ſchöne Freundin recht herzlich wieder und wir waren froh; — ſpäter gieng ſie zur Schrœder; da verlangte er 200 rtl. geliehen — 80 gab ich ihm doch; aber er iſt ſo zerſtreuet und leer, daß 30 er in den Schein den gar nicht ſezte, ders ihm geliehen, ſondern nur ſich. Aber ich kan und darf dem Glauben an die Menſchheit nichts abſchlagen, daher ich heute für einen fremden hypochondriſchen Doktor aus Schwaben bei einem Buchbinder bürgte, der ihm ein Miethpferd [361] *) wär’ einmal das Gegentheil, würd’ ich dirs ſo frei bekennen wie Rouſſeau 35 der Welt, der 100 ꝛc. mal gefehlt.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/354>, abgerufen am 25.11.2024.