den Entschlus einer fortherschenden Stimmung zu fassen. Mir that jede Ihrer glüklichen Hofnungen darin wegen der Furcht der nächsten Widerlegung weh.
Grandison war nicht zu Hause. -- Ihre Briefe bleiben nie liegen: nur die Boten. --5
Was ich Ihnen Ernstes d. h. sehr Langes zu sagen habe, gehöret eben dem längern Wort- nicht Briefwechsel, wenn ich einmal wieder in Hof bin.
Die gute Caroline wolte von Platners Tochter (Friederike) ein[32] Bild: ich geb' es Ihnen hier zum Weitergeben. Täglich oder wöchent-10 lich find' ich sie reicher, wärmer und geistiger und ihren Vater holer, ärmer und kleiner. Im 16 Jahre (sie ist 19) verlor sie ihre Mutter, die sie wie mir Oertel erzählte und ich aus ihren Äusserungen höre, mit tiefer Liebe und mit tiefen Wunden pflegte und begrub. Sie hat einen edeln Geist, der nie weder an Koketterie noch Eitelkeit gränzen kan,15 eher an Selbstbewustsein. Sie philosophiert gern und gut und disputiert scharfsinnig, weil ihr Vater sie immer mit Männern in Krieg ver- wickelte. Sie ist eben so weich und theilnehmend -- z. B. an dem Krankenlager eines alten moosigen Famulus -- als fest und thätig, da sie das Haushalten beherscht. Ein junger Professor Herman -- ich20 sorge, der Schalksknecht hasset sie nicht tödtlich -- verbot ihr vor 1 Jahre den 3ten Theil des Hesperus, weil er sie zu schwärmerisch mache ... sie folgte sanft. Aber der Verfasser des Theils erlaubte und ertheilte ihr ihn und zankte den Professor aus. Augen, Farbe, Lippe -- diese gar -- und das Lockenhaar und die Stirne und die Nase ist schön:25 nur ist sie, zumal da sie kurz ist, zu fet. Ich gehe hier mit mehrerern weiblichen schönen Augen, Farben, Nasen und Stirnen um; aber Fried[erikens] ihre legen sich wie Frühlingsstralen an die Seele und machen sie unmerklich warm. Ich gehe zuweilen blos zu ihr in ihr Zimmer und so wieder fort: ich mag den alten guten Vater, der sich30 in seiner Kammer mit den Kantianern herumbeisset, nicht gern in seinen Bissen stören. --
Sie alle wissen mehr von Einem als der Eine von allen: kein Mensch schreibt mir Neuigkeiten, da mich doch alle höfer Neuigkeiten, aber nicht sie alle leipziger interessieren. Auch bin ich unter allen der35 prompteste Briefschreiber mitten unter meinen Arbeiten: Christian ist nicht sonderlich ordentlich, und seine Schwester gar nicht, an die ich
den Entſchlus einer fortherſchenden Stimmung zu faſſen. Mir that jede Ihrer glüklichen Hofnungen darin wegen der Furcht der nächſten Widerlegung weh.
Grandiſon war nicht zu Hauſe. — Ihre Briefe bleiben nie liegen: nur die Boten. —5
Was ich Ihnen Ernſtes d. h. ſehr Langes zu ſagen habe, gehöret eben dem längern Wort- nicht Briefwechſel, wenn ich einmal wieder in Hof bin.
Die gute Caroline wolte von Platners Tochter (Friederike) ein[32] Bild: ich geb’ es Ihnen hier zum Weitergeben. Täglich oder wöchent-10 lich find’ ich ſie reicher, wärmer und geiſtiger und ihren Vater holer, ärmer und kleiner. Im 16 Jahre (ſie iſt 19) verlor ſie ihre Mutter, die ſie wie mir Oertel erzählte und ich aus ihren Äuſſerungen höre, mit tiefer Liebe und mit tiefen Wunden pflegte und begrub. Sie hat einen edeln Geiſt, der nie weder an Koketterie noch Eitelkeit gränzen kan,15 eher an Selbſtbewuſtſein. Sie philoſophiert gern und gut und diſputiert ſcharfſinnig, weil ihr Vater ſie immer mit Männern in Krieg ver- wickelte. Sie iſt eben ſo weich und theilnehmend — z. B. an dem Krankenlager eines alten mooſigen Famulus — als feſt und thätig, da ſie das Haushalten beherſcht. Ein junger Profeſſor Herman — ich20 ſorge, der Schalksknecht haſſet ſie nicht tödtlich — verbot ihr vor 1 Jahre den 3ten Theil des Hesperus, weil er ſie zu ſchwärmeriſch mache ... ſie folgte ſanft. Aber der Verfaſſer des Theils erlaubte und ertheilte ihr ihn und zankte den Profeſſor aus. Augen, Farbe, Lippe — dieſe gar — und das Lockenhaar und die Stirne und die Naſe iſt ſchön:25 nur iſt ſie, zumal da ſie kurz iſt, zu fet. Ich gehe hier mit mehrerern weiblichen ſchönen Augen, Farben, Naſen und Stirnen um; aber Fried[erikens] ihre legen ſich wie Frühlingsſtralen an die Seele und machen ſie unmerklich warm. Ich gehe zuweilen blos zu ihr in ihr Zimmer und ſo wieder fort: ich mag den alten guten Vater, der ſich30 in ſeiner Kammer mit den Kantianern herumbeiſſet, nicht gern in ſeinen Biſſen ſtören. —
Sie alle wiſſen mehr von Einem als der Eine von allen: kein Menſch ſchreibt mir Neuigkeiten, da mich doch alle höfer Neuigkeiten, aber nicht ſie alle leipziger intereſſieren. Auch bin ich unter allen der35 prompteſte Briefſchreiber mitten unter meinen Arbeiten: Chriſtian iſt nicht ſonderlich ordentlich, und ſeine Schweſter gar nicht, an die ich
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0035"n="29"/>
den Entſchlus einer fortherſchenden Stimmung zu faſſen. Mir that<lb/>
jede Ihrer glüklichen Hofnungen darin wegen der Furcht der nächſten<lb/>
Widerlegung weh.</p><lb/><p>Grandiſon war nicht zu Hauſe. — Ihre Briefe bleiben nie liegen:<lb/>
nur die Boten. —<lbn="5"/></p><lb/><p>Was ich Ihnen Ernſtes d. h. ſehr Langes zu ſagen habe, gehöret<lb/>
eben dem längern Wort- nicht Briefwechſel, wenn ich einmal wieder<lb/>
in Hof bin.</p><lb/><p>Die gute <hirendition="#aq">Caroline</hi> wolte von Platners Tochter (Friederike) ein<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd3_32">[32]</ref></note><lb/>
Bild: ich geb’ es Ihnen hier zum Weitergeben. Täglich oder wöchent-<lbn="10"/>
lich find’ ich ſie reicher, wärmer und geiſtiger und ihren Vater holer,<lb/>
ärmer und kleiner. Im 16 Jahre (ſie iſt 19) verlor ſie ihre Mutter, die<lb/>ſie wie mir Oertel erzählte und ich aus ihren Äuſſerungen höre, mit<lb/>
tiefer Liebe und mit tiefen Wunden pflegte und begrub. Sie hat einen<lb/>
edeln Geiſt, der nie weder an Koketterie noch Eitelkeit gränzen kan,<lbn="15"/>
eher an Selbſtbewuſtſein. Sie philoſophiert gern und gut und diſputiert<lb/>ſcharfſinnig, weil ihr Vater ſie immer mit Männern in Krieg ver-<lb/>
wickelte. Sie iſt eben ſo weich und theilnehmend — z. B. an dem<lb/>
Krankenlager eines alten mooſigen Famulus — als feſt und thätig, da<lb/>ſie das Haushalten beherſcht. Ein junger Profeſſor Herman — ich<lbn="20"/>ſorge, der Schalksknecht haſſet ſie nicht tödtlich — verbot ihr vor<lb/>
1 Jahre den 3<hirendition="#sup">ten</hi> Theil des <hirendition="#aq">Hesperus,</hi> weil er ſie zu ſchwärmeriſch<lb/>
mache ... ſie folgte ſanft. Aber der Verfaſſer des Theils erlaubte und<lb/>
ertheilte ihr ihn und zankte den Profeſſor aus. Augen, Farbe, Lippe —<lb/>
dieſe gar — und das Lockenhaar und die Stirne und die Naſe iſt ſchön:<lbn="25"/>
nur iſt ſie, zumal da ſie kurz iſt, zu fet. Ich gehe hier mit mehrerern<lb/>
weiblichen ſchönen Augen, Farben, Naſen und Stirnen um; aber<lb/>
Fried[erikens] ihre legen ſich wie Frühlingsſtralen an die Seele und<lb/>
machen ſie unmerklich warm. Ich gehe zuweilen blos zu ihr in ihr<lb/>
Zimmer und ſo wieder fort: ich mag den alten guten Vater, der ſich<lbn="30"/>
in ſeiner Kammer mit den Kantianern herumbeiſſet, nicht gern in<lb/>ſeinen Biſſen ſtören. —</p><lb/><p>Sie alle wiſſen mehr von Einem als der Eine von allen: kein<lb/>
Menſch ſchreibt mir Neuigkeiten, da mich doch alle höfer Neuigkeiten,<lb/>
aber nicht ſie alle leipziger intereſſieren. Auch bin ich unter allen der<lbn="35"/>
prompteſte Briefſchreiber mitten unter meinen Arbeiten: Chriſtian iſt<lb/>
nicht ſonderlich ordentlich, und ſeine Schweſter gar nicht, an die ich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[29/0035]
den Entſchlus einer fortherſchenden Stimmung zu faſſen. Mir that
jede Ihrer glüklichen Hofnungen darin wegen der Furcht der nächſten
Widerlegung weh.
Grandiſon war nicht zu Hauſe. — Ihre Briefe bleiben nie liegen:
nur die Boten. — 5
Was ich Ihnen Ernſtes d. h. ſehr Langes zu ſagen habe, gehöret
eben dem längern Wort- nicht Briefwechſel, wenn ich einmal wieder
in Hof bin.
Die gute Caroline wolte von Platners Tochter (Friederike) ein
Bild: ich geb’ es Ihnen hier zum Weitergeben. Täglich oder wöchent- 10
lich find’ ich ſie reicher, wärmer und geiſtiger und ihren Vater holer,
ärmer und kleiner. Im 16 Jahre (ſie iſt 19) verlor ſie ihre Mutter, die
ſie wie mir Oertel erzählte und ich aus ihren Äuſſerungen höre, mit
tiefer Liebe und mit tiefen Wunden pflegte und begrub. Sie hat einen
edeln Geiſt, der nie weder an Koketterie noch Eitelkeit gränzen kan, 15
eher an Selbſtbewuſtſein. Sie philoſophiert gern und gut und diſputiert
ſcharfſinnig, weil ihr Vater ſie immer mit Männern in Krieg ver-
wickelte. Sie iſt eben ſo weich und theilnehmend — z. B. an dem
Krankenlager eines alten mooſigen Famulus — als feſt und thätig, da
ſie das Haushalten beherſcht. Ein junger Profeſſor Herman — ich 20
ſorge, der Schalksknecht haſſet ſie nicht tödtlich — verbot ihr vor
1 Jahre den 3ten Theil des Hesperus, weil er ſie zu ſchwärmeriſch
mache ... ſie folgte ſanft. Aber der Verfaſſer des Theils erlaubte und
ertheilte ihr ihn und zankte den Profeſſor aus. Augen, Farbe, Lippe —
dieſe gar — und das Lockenhaar und die Stirne und die Naſe iſt ſchön: 25
nur iſt ſie, zumal da ſie kurz iſt, zu fet. Ich gehe hier mit mehrerern
weiblichen ſchönen Augen, Farben, Naſen und Stirnen um; aber
Fried[erikens] ihre legen ſich wie Frühlingsſtralen an die Seele und
machen ſie unmerklich warm. Ich gehe zuweilen blos zu ihr in ihr
Zimmer und ſo wieder fort: ich mag den alten guten Vater, der ſich 30
in ſeiner Kammer mit den Kantianern herumbeiſſet, nicht gern in
ſeinen Biſſen ſtören. —
[32]
Sie alle wiſſen mehr von Einem als der Eine von allen: kein
Menſch ſchreibt mir Neuigkeiten, da mich doch alle höfer Neuigkeiten,
aber nicht ſie alle leipziger intereſſieren. Auch bin ich unter allen der 35
prompteſte Briefſchreiber mitten unter meinen Arbeiten: Chriſtian iſt
nicht ſonderlich ordentlich, und ſeine Schweſter gar nicht, an die ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/35>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.