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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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ihr; daher geb ich dir wie Herd. einige Blätter von ihr, die vor
unserm jezigen Verhältnis geschrieben worden*). Wie wil ich mit
luftigen Worten ihre überströmende Liebe, die Kraft, Wünsche unter-
zuordnen und Leiden mit Lächeln zu bedecken, die äussere Heiterkeit
dieses von Jahrelangen Schmerzen erzognen Herzens und die Gleich-5
gültigkeit gegen Tand und ihre Frömmigkeit malen!

Solche französische Abstrakzionen geben nie das vinculum sub-
stantiale
eines Karakters, die Individualität, die drei Reden oder
1 Handlung darstellen. Das dramatische Geheimnis der Karakteristik
beruht auf jenem vinculum.10

Ich werde mich neben C. heiligen; ich finde -- wie in allem womit
ich zögerte -- die Vorsicht in dem gewundnen hart neben Abgründen
vorbeistreichenden Gange zu ihr.


Unsere Meinung über Forberg empfängt von einem Briefe15
desselben an Schaefer hier ein neues Gewicht, weil er ihn darin ver-
sichert, er gehe weit "von Fichte's offenbarem Atheismus" ab.

Die Frau Schlichtegrols, meine Freundin, sah dich als sie noch[344]
eine geborne Rousseau war, in Pempelfort und denkt deiner mit
Entzückung. Beim Himmel! du kontest die Weiber wie eine Zentral-20
sonne die Welten, hinter dir nach ziehen und durch den Himmel
führen.




Diese Korrektur Bogen des Clavis kanst du als Makulatur be-
handeln. Vielleicht komt Reinholdt zu dir; ich möchte mit seiner Ge-25
nehmigung sein Urtheil wissen. -- Möge dieser giftige Winter dir
keinen Nachwinter der Krankheit nachlassen! -- Grüsse deine lieben
Schwestern, die mir allemal so gut mit gemalet werden, wenn ich mir
dich von einem Augenzeugen malen lasse. -- Lebe wohl, guter Hein-
rich!30

Richter

Kanst du mir nicht einmal irgend einen Brief von Baggesen
schicken ohne Verrath an der Freundschaft? Seine Laune ist für mich
Salz, Würze, Zimt und Honig.

*) Deinem treuen Herzen darf ich ja mit meinem noch ein anderes anvertrauen.35

ihr; daher geb ich dir wie Herd. einige Blätter von ihr, die vor
unſerm jezigen Verhältnis geſchrieben worden*). Wie wil ich mit
luftigen Worten ihre überſtrömende Liebe, die Kraft, Wünſche unter-
zuordnen und Leiden mit Lächeln zu bedecken, die äuſſere Heiterkeit
dieſes von Jahrelangen Schmerzen erzognen Herzens und die Gleich-5
gültigkeit gegen Tand und ihre Frömmigkeit malen!

Solche franzöſiſche Abſtrakzionen geben nie das vinculum sub-
stantiale
eines Karakters, die Individualität, die drei Reden oder
1 Handlung darſtellen. Das dramatiſche Geheimnis der Karakteriſtik
beruht auf jenem vinculum.10

Ich werde mich neben C. heiligen; ich finde — wie in allem womit
ich zögerte — die Vorſicht in dem gewundnen hart neben Abgründen
vorbeiſtreichenden Gange zu ihr.


Unſere Meinung über Forberg empfängt von einem Briefe15
deſſelben an Schaefer hier ein neues Gewicht, weil er ihn darin ver-
ſichert, er gehe weit „von Fichte’s offenbarem Atheiſmus“ ab.

Die Frau Schlichtegrols, meine Freundin, ſah dich als ſie noch[344]
eine geborne Rousseau war, in Pempelfort und denkt deiner mit
Entzückung. Beim Himmel! du konteſt die Weiber wie eine Zentral-20
ſonne die Welten, hinter dir nach ziehen und durch den Himmel
führen.




Dieſe Korrektur Bogen des Clavis kanſt du als Makulatur be-
handeln. Vielleicht komt Reinholdt zu dir; ich möchte mit ſeiner Ge-25
nehmigung ſein Urtheil wiſſen. — Möge dieſer giftige Winter dir
keinen Nachwinter der Krankheit nachlaſſen! — Grüſſe deine lieben
Schweſtern, die mir allemal ſo gut mit gemalet werden, wenn ich mir
dich von einem Augenzeugen malen laſſe. — Lebe wohl, guter Hein-
rich!30

Richter

Kanſt du mir nicht einmal irgend einen Brief von Baggesen
ſchicken ohne Verrath an der Freundſchaft? Seine Laune iſt für mich
Salz, Würze, Zimt und Honig.

*) Deinem treuen Herzen darf ich ja mit meinem noch ein anderes anvertrauen.35
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[317/0337] ihr; daher geb ich dir wie Herd. einige Blätter von ihr, die vor unſerm jezigen Verhältnis geſchrieben worden *). Wie wil ich mit luftigen Worten ihre überſtrömende Liebe, die Kraft, Wünſche unter- zuordnen und Leiden mit Lächeln zu bedecken, die äuſſere Heiterkeit dieſes von Jahrelangen Schmerzen erzognen Herzens und die Gleich- 5 gültigkeit gegen Tand und ihre Frömmigkeit malen! Solche franzöſiſche Abſtrakzionen geben nie das vinculum sub- stantiale eines Karakters, die Individualität, die drei Reden oder 1 Handlung darſtellen. Das dramatiſche Geheimnis der Karakteriſtik beruht auf jenem vinculum. 10 Ich werde mich neben C. heiligen; ich finde — wie in allem womit ich zögerte — die Vorſicht in dem gewundnen hart neben Abgründen vorbeiſtreichenden Gange zu ihr. d. 2 Apr. Unſere Meinung über Forberg empfängt von einem Briefe 15 deſſelben an Schaefer hier ein neues Gewicht, weil er ihn darin ver- ſichert, er gehe weit „von Fichte’s offenbarem Atheiſmus“ ab. Die Frau Schlichtegrols, meine Freundin, ſah dich als ſie noch eine geborne Rousseau war, in Pempelfort und denkt deiner mit Entzückung. Beim Himmel! du konteſt die Weiber wie eine Zentral- 20 ſonne die Welten, hinter dir nach ziehen und durch den Himmel führen. [344] Weimar d. 7. Apr. Dieſe Korrektur Bogen des Clavis kanſt du als Makulatur be- handeln. Vielleicht komt Reinholdt zu dir; ich möchte mit ſeiner Ge- 25 nehmigung ſein Urtheil wiſſen. — Möge dieſer giftige Winter dir keinen Nachwinter der Krankheit nachlaſſen! — Grüſſe deine lieben Schweſtern, die mir allemal ſo gut mit gemalet werden, wenn ich mir dich von einem Augenzeugen malen laſſe. — Lebe wohl, guter Hein- rich! 30 Richter Kanſt du mir nicht einmal irgend einen Brief von Baggesen ſchicken ohne Verrath an der Freundſchaft? Seine Laune iſt für mich Salz, Würze, Zimt und Honig. *) Deinem treuen Herzen darf ich ja mit meinem noch ein anderes anvertrauen. 35

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/337>, abgerufen am 22.11.2024.