Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.ob wohl es scheinen solte, als sei es so viel als leide ein fremdes Ich. Fichte ist in dem Grade subjektiv, daß er gar keine Existenz, die Ich weis jezt, wo unser gemeinschaftlicher Fokus im Punkte des5 Fichte und Schlegel wollen selber jezt eine Litteraturzeitung Der Fichtianismus wird glaub' ich sein handelndes Leben nicht hoch- Je älter man wird, desto demüthiger glaubt man an die Almacht Ich ziehe im Sommer aus Weimar, suche aber noch auf der Karte20 ob wohl es ſcheinen ſolte, als ſei es ſo viel als leide ein fremdes Ich. Fichte iſt in dem Grade ſubjektiv, daß er gar keine Exiſtenz, die Ich weis jezt, wo unſer gemeinſchaftlicher Fokus im Punkte des5 Fichte und Schlegel wollen ſelber jezt eine Litteraturzeitung Der Fichtianiſmus wird glaub’ ich ſein handelndes Leben nicht hoch- Je älter man wird, deſto demüthiger glaubt man an die Almacht Ich ziehe im Sommer aus Weimar, ſuche aber noch auf der Karte20 <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0336" n="316"/> ob wohl es ſcheinen ſolte, als ſei es ſo viel als leide ein fremdes Ich.</p><lb/> <p>Fichte iſt in dem Grade ſubjektiv, daß er gar keine Exiſtenz, die<lb/> immer objektiv iſt, zulaſſen, ſondern die eigne immer als ein ſubjektives<lb/> Handeln geben ſolte; kurz er ſolte die Schöpfung läugnen.</p><lb/> <p>Ich weis jezt, wo unſer gemeinſchaftlicher Fokus im Punkte des<lb n="5"/> Träumens iſt. Die Dinge ordnen die Vernunft mit Gewalt, ſagſt du;<lb/> durch einen Ruk 〈Zuk〉 werden wir beim Erwachen auf einmal ver-<lb/> nünftig, ſagt’ ich; aber es iſt dein Saz: denn komt nicht dieſer Ruk von<lb/> äuſſern Dingen, nämlich den Nerven? Nur von Empfindungen<lb/><hi rendition="#g">auſſerhalb</hi> des Körpers wolt’ ichs nicht abgeleitet wiſſen.<lb n="10"/> </p> <p>Fichte und Schlegel wollen ſelber jezt eine <hi rendition="#aq">Litteraturzeitung</hi><lb/> edieren betittelt: „Anti-Litteraturzeitung“.</p><lb/> <p>Der Fichtianiſmus wird glaub’ ich ſein handelndes Leben nicht hoch-<lb/> bringen; aber was hilft der Tod des Teufels, wenn ſeine Grosmutter<lb/> fortlebt, die kritiſche Philoſophie?<lb n="15"/> </p> <p>Je älter man wird, deſto demüthiger glaubt man an die Almacht<lb/> der Objektivität. Gott iſt das wahreſte und einzige Subjekt. Ach wie<lb/> viel iſt nicht an 〈in〉 uns ſelber, Bewuſtſein und Wollen ausgenommen,<lb/> Objekt! —</p><lb/> <p>Ich ziehe im Sommer aus <hi rendition="#aq">Weimar,</hi> ſuche aber noch auf der Karte<lb n="20"/> den Ort, wohin ich mein Ehebette ſtelle. <hi rendition="#aq">Weimar</hi> hab’ ich nicht ſo<lb/> wohl ausgekernt als ausgehülſet. Wie wil ich dir meine <hi rendition="#aq">Caroline</hi><lb/> malen auſſer durch Fakta, die am Ende zur Biographie würden. Sie hat<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd3_343">[343]</ref></note>einen ernſtern ſtrengern Geiſt als meiner iſt der oft das Steckenpferd<lb/> des ſterniſchen — iſt; deſto beſſer wird ſich Strenge und Nachgiebigkeit<lb n="25"/> ausgleichen — Bei der zarteſten Weichheit der Empfindung die<lb/> kühnſte Feſtigkeit des Entſchluſſes und allen Stolz der weiblichen Ehre.<lb/> Gegen die Verwandten, die uns zertheilen wolten, kämpfte ſie, indem<lb/> ſie ſich zum Doppelopfer der Liebe für jene und mich machte, ſchonend,<lb/> feſt und ſiegend an. Ihr ſind alle künftigen Schikſale mit mir gleich-<lb n="30"/> gültig; ſie treibt jezt eben ſo eifrig die Haushaltungskunde als ſonſt<lb/> Botanik und Aſtronomie. Sie war die Lieblingin und Schülerin eines<lb/> vortreflichen Vaters; und doch liebt und ſchont ſie — was ich bei<lb/> ſolchen Mädgen ſelten fand — ihre zarte Mutter unendlich. <hi rendition="#aq">Herder</hi><lb/> dem ſie ihre von ihr ſelber pouſſierte kleine Wachsbüſte geſandt und<lb n="35"/> zu dem ich eine Couſine und einige Briefe von ihr gebracht, ſehnet ſich<lb/> nach ihr wie nach einer Geliebten. — Du haſt doch noch kein Bild von<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [316/0336]
ob wohl es ſcheinen ſolte, als ſei es ſo viel als leide ein fremdes Ich.
Fichte iſt in dem Grade ſubjektiv, daß er gar keine Exiſtenz, die
immer objektiv iſt, zulaſſen, ſondern die eigne immer als ein ſubjektives
Handeln geben ſolte; kurz er ſolte die Schöpfung läugnen.
Ich weis jezt, wo unſer gemeinſchaftlicher Fokus im Punkte des 5
Träumens iſt. Die Dinge ordnen die Vernunft mit Gewalt, ſagſt du;
durch einen Ruk 〈Zuk〉 werden wir beim Erwachen auf einmal ver-
nünftig, ſagt’ ich; aber es iſt dein Saz: denn komt nicht dieſer Ruk von
äuſſern Dingen, nämlich den Nerven? Nur von Empfindungen
auſſerhalb des Körpers wolt’ ichs nicht abgeleitet wiſſen. 10
Fichte und Schlegel wollen ſelber jezt eine Litteraturzeitung
edieren betittelt: „Anti-Litteraturzeitung“.
Der Fichtianiſmus wird glaub’ ich ſein handelndes Leben nicht hoch-
bringen; aber was hilft der Tod des Teufels, wenn ſeine Grosmutter
fortlebt, die kritiſche Philoſophie? 15
Je älter man wird, deſto demüthiger glaubt man an die Almacht
der Objektivität. Gott iſt das wahreſte und einzige Subjekt. Ach wie
viel iſt nicht an 〈in〉 uns ſelber, Bewuſtſein und Wollen ausgenommen,
Objekt! —
Ich ziehe im Sommer aus Weimar, ſuche aber noch auf der Karte 20
den Ort, wohin ich mein Ehebette ſtelle. Weimar hab’ ich nicht ſo
wohl ausgekernt als ausgehülſet. Wie wil ich dir meine Caroline
malen auſſer durch Fakta, die am Ende zur Biographie würden. Sie hat
einen ernſtern ſtrengern Geiſt als meiner iſt der oft das Steckenpferd
des ſterniſchen — iſt; deſto beſſer wird ſich Strenge und Nachgiebigkeit 25
ausgleichen — Bei der zarteſten Weichheit der Empfindung die
kühnſte Feſtigkeit des Entſchluſſes und allen Stolz der weiblichen Ehre.
Gegen die Verwandten, die uns zertheilen wolten, kämpfte ſie, indem
ſie ſich zum Doppelopfer der Liebe für jene und mich machte, ſchonend,
feſt und ſiegend an. Ihr ſind alle künftigen Schikſale mit mir gleich- 30
gültig; ſie treibt jezt eben ſo eifrig die Haushaltungskunde als ſonſt
Botanik und Aſtronomie. Sie war die Lieblingin und Schülerin eines
vortreflichen Vaters; und doch liebt und ſchont ſie — was ich bei
ſolchen Mädgen ſelten fand — ihre zarte Mutter unendlich. Herder
dem ſie ihre von ihr ſelber pouſſierte kleine Wachsbüſte geſandt und 35
zu dem ich eine Couſine und einige Briefe von ihr gebracht, ſehnet ſich
nach ihr wie nach einer Geliebten. — Du haſt doch noch kein Bild von
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(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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