Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

sparen können, da ich das Buch später von Jena bekommen, das blos
aus Leerheit, Widrigkeit und Wiederholung besteht. Lesen Sie doch vor
meinem Clavis Schad. -- Sein System wil kein transß. Egoismus
sein, weil sonst die Moralität zerstiebt; aber konsequent mus man es,
wie ich gethan, hinauffolgern. Das Übrige was Sie nennen, ist er-5
bärmliche verwirrende Ackommodazion, die 2lei Sin hat, den des Verf.,
und den des unfichtischen Lesers. Ich habe dagegen einige nöthige
Worte in der Vorrede gesagt; wie ich denn überhaupt nun alle[329]
befiederten Krallen dieser Schule gegen mich aufgerufen haben
werde und wenig schonte, weil ich wuste, ich werde nicht geschont.10

Ihr Extrakt aus Müller ist sehr gut. -- Ich schrieb Ihnen härter
als mein Herz war; aber Sie werden mir einmal danken. Ehrgeiz sol
der Jüngling haben -- Eitelkeit ist schon zweideutiger --; aber das
Edlere mus nicht das Kind sondern der Vater des Ehrgeizes sein. Kurz
es ist schlim -- wofür oft einer nichts kan --, wenn einer alle herliche15
Zustände der Menschheit und Jugend früher in Büchern findet und
hinterher in sich und dadurch sie schon besonnen ausbälgt.

-- Leben Sie wohl, Guter! Ihr Herz ist schuldlos. -- Schreiben
[Sie] bald und unbeschreiblich viel. -- Im Mai zu Ende bin ich bei
meiner Seele!
in Leipzig.20

R.
415. An Gleim in Halberstadt.

Geliebter, verehrter Vater Gleim! Wie kan ich Sie nach dem
lezten Blatte in den "Blumenstücken" und nach dem lezten Blatte,25
das Sie mir geschikt, anders nennen als Vater? -- Und so nante Sie
mein ganzes Herz, als ich von Ihnen im Wagen mit einem von Dank-
barkeit, Liebe und Hochachtung aufgelösten Herzen von dem Ihrigen
schied! -- Überal nenn' ich Sie den Deutschen, wie man Friedrich, den
Einzigen nent; und in unserer Zeit sind leider Deutsche auch Einzige,30
wie Friedrich.

In einem Monat werden Sie auf einmal 1 Buch und 2 Büchelgen
von mir erhalten.

Ich verändere mit meiner geistigen Lage auch meine geographische;
und gehe aus Weimar weg; aber mit einer wunden Brust vol Blut,35
weil ich meine guten Herders verlasse und nie mehr finde; und weil ich

ſparen können, da ich das Buch ſpäter von Jena bekommen, das blos
aus Leerheit, Widrigkeit und Wiederholung beſteht. Leſen Sie doch vor
meinem Clavis Schad. — Sein Syſtem wil kein transſz. Egoiſmus
ſein, weil ſonſt die Moralität zerſtiebt; aber konſequent mus man es,
wie ich gethan, hinauffolgern. Das Übrige was Sie nennen, iſt er-5
bärmliche verwirrende Ackommodazion, die 2lei Sin hat, den des Verf.,
und den des unfichtiſchen Leſers. Ich habe dagegen einige nöthige
Worte in der Vorrede geſagt; wie ich denn überhaupt nun alle[329]
befiederten Krallen dieſer Schule gegen mich aufgerufen haben
werde und wenig ſchonte, weil ich wuſte, ich werde nicht geſchont.10

Ihr Extrakt aus Müller iſt ſehr gut. — Ich ſchrieb Ihnen härter
als mein Herz war; aber Sie werden mir einmal danken. Ehrgeiz ſol
der Jüngling haben — Eitelkeit iſt ſchon zweideutiger —; aber das
Edlere mus nicht das Kind ſondern der Vater des Ehrgeizes ſein. Kurz
es iſt ſchlim — wofür oft einer nichts kan —, wenn einer alle herliche15
Zuſtände der Menſchheit und Jugend früher in Büchern findet und
hinterher in ſich und dadurch ſie ſchon beſonnen ausbälgt.

— Leben Sie wohl, Guter! Ihr Herz iſt ſchuldlos. — Schreiben
[Sie] bald und unbeſchreiblich viel. — Im Mai zu Ende bin ich bei
meiner Seele!
in Leipzig.20

R.
415. An Gleim in Halberſtadt.

Geliebter, verehrter Vater Gleim! Wie kan ich Sie nach dem
lezten Blatte in den „Blumenſtücken“ und nach dem lezten Blatte,25
das Sie mir geſchikt, anders nennen als Vater? — Und ſo nante Sie
mein ganzes Herz, als ich von Ihnen im Wagen mit einem von Dank-
barkeit, Liebe und Hochachtung aufgelöſten Herzen von dem Ihrigen
ſchied! — Überal nenn’ ich Sie den Deutſchen, wie man Friedrich, den
Einzigen nent; und in unſerer Zeit ſind leider Deutſche auch Einzige,30
wie Friedrich.

In einem Monat werden Sie auf einmal 1 Buch und 2 Büchelgen
von mir erhalten.

Ich verändere mit meiner geiſtigen Lage auch meine geographiſche;
und gehe aus Weimar weg; aber mit einer wunden Bruſt vol Blut,35
weil ich meine guten Herders verlaſſe und nie mehr finde; und weil ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0319" n="303"/>
&#x017F;paren können, da ich das Buch &#x017F;päter von Jena bekommen, das blos<lb/>
aus Leerheit, Widrigkeit und Wiederholung be&#x017F;teht. Le&#x017F;en Sie doch vor<lb/>
meinem <hi rendition="#aq">Clavis</hi> <hi rendition="#g">Schad.</hi> &#x2014; Sein Sy&#x017F;tem <hi rendition="#g">wil</hi> kein trans&#x017F;z. Egoi&#x017F;mus<lb/>
&#x017F;ein, weil &#x017F;on&#x017F;t die Moralität zer&#x017F;tiebt; aber <hi rendition="#g">kon&#x017F;equent</hi> mus man es,<lb/>
wie ich gethan, hinauffolgern. Das Übrige was Sie nennen, i&#x017F;t er-<lb n="5"/>
bärmliche verwirrende Ackommodazion, die 2<hi rendition="#sup">lei</hi> Sin hat, den des Verf.,<lb/>
und den des unfichti&#x017F;chen Le&#x017F;ers. Ich habe dagegen einige nöthige<lb/>
Worte in der Vorrede ge&#x017F;agt; wie ich denn überhaupt nun alle<note place="right"><ref target="1922_Bd3_329">[329]</ref></note><lb/><hi rendition="#g">befiederten</hi> Krallen die&#x017F;er Schule gegen mich aufgerufen haben<lb/>
werde und wenig &#x017F;chonte, weil ich wu&#x017F;te, ich werde nicht ge&#x017F;chont.<lb n="10"/>
</p><lb/>
        <p>Ihr Extrakt aus Müller i&#x017F;t &#x017F;ehr gut. &#x2014; Ich &#x017F;chrieb Ihnen härter<lb/>
als mein Herz war; aber Sie werden mir einmal danken. Ehrgeiz &#x017F;ol<lb/>
der Jüngling haben &#x2014; Eitelkeit i&#x017F;t &#x017F;chon zweideutiger &#x2014;; aber das<lb/>
Edlere mus nicht das Kind &#x017F;ondern der Vater des Ehrgeizes &#x017F;ein. Kurz<lb/>
es i&#x017F;t &#x017F;chlim &#x2014; wofür oft einer nichts kan &#x2014;, wenn einer alle herliche<lb n="15"/>
Zu&#x017F;tände der Men&#x017F;chheit und Jugend früher in Büchern findet und<lb/>
hinterher in &#x017F;ich und dadurch &#x017F;ie &#x017F;chon be&#x017F;onnen ausbälgt.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Leben Sie wohl, Guter! Ihr Herz i&#x017F;t &#x017F;chuldlos. &#x2014; Schreiben<lb/>
[Sie] bald und unbe&#x017F;chreiblich viel. &#x2014; Im Mai zu Ende bin ich <hi rendition="#g">bei<lb/>
meiner Seele!</hi> in Leipzig.<lb n="20"/>
</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">R.</hi> </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>415. An <hi rendition="#g">Gleim in Halber&#x017F;tadt.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Weimar</hi> d. 9. März 1800.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Geliebter, verehrter Vater Gleim! Wie kan ich Sie nach dem<lb/><hi rendition="#g">lezten</hi> Blatte in den &#x201E;<hi rendition="#g">Blumen&#x017F;tücken</hi>&#x201C; und nach dem lezten Blatte,<lb n="25"/>
das Sie mir ge&#x017F;chikt, anders nennen als Vater? &#x2014; Und &#x017F;o nante Sie<lb/>
mein ganzes Herz, als ich von Ihnen im Wagen mit einem von Dank-<lb/>
barkeit, Liebe und Hochachtung aufgelö&#x017F;ten Herzen von dem Ihrigen<lb/>
&#x017F;chied! &#x2014; Überal nenn&#x2019; ich Sie den Deut&#x017F;chen, wie man Friedrich, den<lb/>
Einzigen nent; und in un&#x017F;erer Zeit &#x017F;ind leider Deut&#x017F;che auch Einzige,<lb n="30"/>
wie Friedrich.</p><lb/>
        <p>In einem Monat werden Sie auf einmal 1 Buch und 2 Büchelgen<lb/>
von mir erhalten.</p><lb/>
        <p>Ich verändere mit meiner gei&#x017F;tigen Lage auch meine geographi&#x017F;che;<lb/>
und gehe aus <hi rendition="#aq">Weimar</hi> weg; aber mit einer wunden Bru&#x017F;t vol Blut,<lb n="35"/>
weil ich meine guten <hi rendition="#aq">Herders</hi> verla&#x017F;&#x017F;e und nie mehr finde; und weil ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0319] ſparen können, da ich das Buch ſpäter von Jena bekommen, das blos aus Leerheit, Widrigkeit und Wiederholung beſteht. Leſen Sie doch vor meinem Clavis Schad. — Sein Syſtem wil kein transſz. Egoiſmus ſein, weil ſonſt die Moralität zerſtiebt; aber konſequent mus man es, wie ich gethan, hinauffolgern. Das Übrige was Sie nennen, iſt er- 5 bärmliche verwirrende Ackommodazion, die 2lei Sin hat, den des Verf., und den des unfichtiſchen Leſers. Ich habe dagegen einige nöthige Worte in der Vorrede geſagt; wie ich denn überhaupt nun alle befiederten Krallen dieſer Schule gegen mich aufgerufen haben werde und wenig ſchonte, weil ich wuſte, ich werde nicht geſchont. 10 [329] Ihr Extrakt aus Müller iſt ſehr gut. — Ich ſchrieb Ihnen härter als mein Herz war; aber Sie werden mir einmal danken. Ehrgeiz ſol der Jüngling haben — Eitelkeit iſt ſchon zweideutiger —; aber das Edlere mus nicht das Kind ſondern der Vater des Ehrgeizes ſein. Kurz es iſt ſchlim — wofür oft einer nichts kan —, wenn einer alle herliche 15 Zuſtände der Menſchheit und Jugend früher in Büchern findet und hinterher in ſich und dadurch ſie ſchon beſonnen ausbälgt. — Leben Sie wohl, Guter! Ihr Herz iſt ſchuldlos. — Schreiben [Sie] bald und unbeſchreiblich viel. — Im Mai zu Ende bin ich bei meiner Seele! in Leipzig. 20 R. 415. An Gleim in Halberſtadt. Weimar d. 9. März 1800. Geliebter, verehrter Vater Gleim! Wie kan ich Sie nach dem lezten Blatte in den „Blumenſtücken“ und nach dem lezten Blatte, 25 das Sie mir geſchikt, anders nennen als Vater? — Und ſo nante Sie mein ganzes Herz, als ich von Ihnen im Wagen mit einem von Dank- barkeit, Liebe und Hochachtung aufgelöſten Herzen von dem Ihrigen ſchied! — Überal nenn’ ich Sie den Deutſchen, wie man Friedrich, den Einzigen nent; und in unſerer Zeit ſind leider Deutſche auch Einzige, 30 wie Friedrich. In einem Monat werden Sie auf einmal 1 Buch und 2 Büchelgen von mir erhalten. Ich verändere mit meiner geiſtigen Lage auch meine geographiſche; und gehe aus Weimar weg; aber mit einer wunden Bruſt vol Blut, 35 weil ich meine guten Herders verlaſſe und nie mehr finde; und weil ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/319
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/319>, abgerufen am 22.11.2024.