Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.412. An Jacobi. Weimar d. 21. Febr. 1800.Geliebter Heinrich! Süsseres giebt es nichts im ganzen Schreiben Heute bekam ich deinen Brief und habe also Zeit, da ich auf den Fichte's Bestimmung etc. kont' ich hier noch nicht haben. Hier Ein Wort über Fichte[s] Brief über deinen! Unendlich thut er dir[325] ad x. Der Begrif des absoluten Ichs ist nach seiner Aussage das d. Du hast es nicht gesagt. --35 e. Hier ist er unheilig. -- Eine gewisse Individualität wird bei 412. An Jacobi. Weimar d. 21. Febr. 1800.Geliebter Heinrich! Süſſeres giebt es nichts im ganzen Schreiben Heute bekam ich deinen Brief und habe alſo Zeit, da ich auf den Fichte’s Beſtimmung ꝛc. kont’ ich hier noch nicht haben. Hier Ein Wort über Fichte[s] Brief über deinen! Unendlich thut er dir[325] ad x. Der Begrif des abſoluten Ichs iſt nach ſeiner Ausſage das d. Du haſt es nicht geſagt. —35 e. Hier iſt er unheilig. — Eine gewiſſe Individualität wird bei <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0315" n="299"/> <div type="letter" n="1"> <head>412. An <hi rendition="#g">Jacobi.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Weimar</hi> d. 21. Febr. 1800.</hi> </dateline><lb/> <p>Geliebter Heinrich! Süſſeres giebt es nichts im ganzen Schreiben<lb/> eines Schreibens als zu ſich zu ſagen (— ich wolte ſchreiben, ſagen zu<lb/><hi rendition="#g">können,</hi> haſſe aber dieſe Wielandiſche Tavtologie, da in jedem In-<lb n="5"/> finitiv das Können <hi rendition="#aq">implicite</hi> liegt —): du kanſt das Schreiben fort-<lb/> ſchicken <hi rendition="#g">wenn,</hi> und alſo erweitern, <hi rendition="#g">wie</hi> du nur wilt. —</p><lb/> <p>Heute bekam ich deinen Brief und habe alſo Zeit, da ich auf den<lb/> 2<hi rendition="#sup">ten</hi> lauere; nur da heute der Lenz im Aether blau und an den Bergen<lb/> ſchimmernd hängt, mach ich mir die Luſt, an meinen Heinrich zu ſchrei-<lb n="10"/> ben, der faſt böſe zu ſein ſcheint über das Schweigen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Fichte’s Beſtimmung</hi> ꝛc. kont’ ich hier noch nicht haben. Hier<lb/> hauſet nur Kunſt, keine Philoſophie; ich bin faſt der einzige Koſſäthe<lb/> und Häusler in neuen Lehrgebäuden. Ich mus es aber leſen, um in der<lb/> Vorrede — oder der Dedikazion; denn du beſtimmeſt — ein Wort über<lb n="15"/> die Schleiermacher-Schlegel-Fichtiſche Teufels-Ackommodazion zu<lb/> ſagen, womit ſie wie der Verf. des Buchs <hi rendition="#aq">des erreurs etc.</hi> oder wie die<lb/> japaniſchen Jeſuiten oder am Ende wie die erſten Chriſten ſelber unter<lb/> alten Worten und Ideen neue Ideen einſchwärzen wollen, welches ver-<lb/> wirrender iſt als das Umgekehrte.<lb n="20"/> </p><lb/> <p>Ein Wort über Fichte[s] Brief über deinen! Unendlich thut er dir<note place="right"><ref target="1922_Bd3_325">[325]</ref></note><lb/> Unrecht. <hi rendition="#aq">ad a)</hi> (ſ. in der Kopie nach) Seine praktiſche Philoſophie iſt<lb/> immer nur die Folge und Erläuterung 〈Schminke〉 ſeiner theoretiſchen,<lb/> und nicht ihre Schöpferin, weil doch der Begrif nicht vom Unbegreif-<lb/> lichen, von der Freiheit anfangen konte. Endlich weis ich nicht, wie<lb n="25"/> man ein Syſtem zur Hälfte kennen kan, das entweder nur ganz oder<lb/> gar nicht zu nehmen iſt; es hat keine Theile. — <hi rendition="#aq">ad b)</hi> „Weltordnung <hi rendition="#g">en</hi>“<lb/> mus er ſagen, ſagt’ ich in meinem <hi rendition="#aq">Clavis</hi> beiläufig, wo ich bemerkte,<lb/> daß eine doch nichts ausſage als das <hi rendition="#g">optimiſtiſche</hi> Verhältnis des<lb/> abſoluten Ichs zum Nicht-Ich. Das geht aber andere Ichs nichts an.<lb n="30"/> Meint er indes eine alle Ichs + Nicht-Ichs ordnende Ordnung: ſo<lb/> hat er ja unſern Gott. <hi rendition="#g">Ich frage dich</hi>, ob ich Recht habe. —</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">ad x.</hi> Der Begrif des abſoluten Ichs iſt nach ſeiner Ausſage das<lb/> abſolute Ich ſelber und nichts mehr.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">d.</hi> Du haſt es nicht geſagt. —<lb n="35"/> </p><lb/> <p><hi rendition="#aq">e.</hi> Hier iſt er unheilig. — Eine gewiſſe Individualität wird bei<lb/> allem Beſſern und Heiligen vorausgeſezt; jene hat oder iſt Offenbarung;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [299/0315]
412. An Jacobi.
Weimar d. 21. Febr. 1800.
Geliebter Heinrich! Süſſeres giebt es nichts im ganzen Schreiben
eines Schreibens als zu ſich zu ſagen (— ich wolte ſchreiben, ſagen zu
können, haſſe aber dieſe Wielandiſche Tavtologie, da in jedem In- 5
finitiv das Können implicite liegt —): du kanſt das Schreiben fort-
ſchicken wenn, und alſo erweitern, wie du nur wilt. —
Heute bekam ich deinen Brief und habe alſo Zeit, da ich auf den
2ten lauere; nur da heute der Lenz im Aether blau und an den Bergen
ſchimmernd hängt, mach ich mir die Luſt, an meinen Heinrich zu ſchrei- 10
ben, der faſt böſe zu ſein ſcheint über das Schweigen.
Fichte’s Beſtimmung ꝛc. kont’ ich hier noch nicht haben. Hier
hauſet nur Kunſt, keine Philoſophie; ich bin faſt der einzige Koſſäthe
und Häusler in neuen Lehrgebäuden. Ich mus es aber leſen, um in der
Vorrede — oder der Dedikazion; denn du beſtimmeſt — ein Wort über 15
die Schleiermacher-Schlegel-Fichtiſche Teufels-Ackommodazion zu
ſagen, womit ſie wie der Verf. des Buchs des erreurs etc. oder wie die
japaniſchen Jeſuiten oder am Ende wie die erſten Chriſten ſelber unter
alten Worten und Ideen neue Ideen einſchwärzen wollen, welches ver-
wirrender iſt als das Umgekehrte. 20
Ein Wort über Fichte[s] Brief über deinen! Unendlich thut er dir
Unrecht. ad a) (ſ. in der Kopie nach) Seine praktiſche Philoſophie iſt
immer nur die Folge und Erläuterung 〈Schminke〉 ſeiner theoretiſchen,
und nicht ihre Schöpferin, weil doch der Begrif nicht vom Unbegreif-
lichen, von der Freiheit anfangen konte. Endlich weis ich nicht, wie 25
man ein Syſtem zur Hälfte kennen kan, das entweder nur ganz oder
gar nicht zu nehmen iſt; es hat keine Theile. — ad b) „Weltordnung en“
mus er ſagen, ſagt’ ich in meinem Clavis beiläufig, wo ich bemerkte,
daß eine doch nichts ausſage als das optimiſtiſche Verhältnis des
abſoluten Ichs zum Nicht-Ich. Das geht aber andere Ichs nichts an. 30
Meint er indes eine alle Ichs + Nicht-Ichs ordnende Ordnung: ſo
hat er ja unſern Gott. Ich frage dich, ob ich Recht habe. —
[325]
ad x. Der Begrif des abſoluten Ichs iſt nach ſeiner Ausſage das
abſolute Ich ſelber und nichts mehr.
d. Du haſt es nicht geſagt. — 35
e. Hier iſt er unheilig. — Eine gewiſſe Individualität wird bei
allem Beſſern und Heiligen vorausgeſezt; jene hat oder iſt Offenbarung;
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(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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