zurükzulocken, nach Pyrmont ein brillantiertes Portrait von 20,000 rtl. geschikt -- Weisse, der 2mal bei mir war, erzählte das von Hamburg etc. Weisse liebt mich und meine Bücher über mein Erwarten: es ist ein himlischer Anblik, in einer 72jährigen Gestalt nur eine Dankadresse für das vorige Leben und ein billetdoux an die ganze Menschheit zu5 sehen. Ich habe einmal bei ihm soupieren müssen, wo der alte und junge D. Rosenmüller aus Erlang -- ein steifer Exeget, der nicht ein Wort mitreden kan -- da waren: ein Leip[ziger] Souper ist stets ein Gastmahl, guter Wein, Dessert, Gebaknes etc. Weissens eine Tochter ist sehr schön -- (seit einigen Jahren bin ich todt für Schönheit und nur10 lebendig für das Lebendige darhinter) und sehr gebildet. Sein Tisch, seine Bibliothek, im Sommer sein Landgut, alles steht mir offen. Die alte Weissin (Platners Schwester) ist eine frohe scherzhafte kultivierte Hausmutter: eine alte weibliche Gestalt dringt mir jezt an die Seele, seit ich die mütterliche unter mir sehe. Ich konte als ich mit Emanuel15 zum D. Voigt fuhr, eine mitfahrende alte Pfarfrau ohne die gröste Bewegung nicht mehr anschauen. Es giebt eine Trauer, für die die kalte Zeit nicht die Wundärztin sondern die weiterschneidende eiserne Jungfrau ist. -- Berlepsch wolte schon vorige Woche kommen, aber die väterliche Ratifikazion der Ehe ihrer Tochter verschob es auf diese.20 Ich wurde noch von keinem Weibe so sehr und so rein geliebt wie von[28] dieser. Göthe ist zurük und in Weimar einsam: sie wil mir ihr langes ihr gefallendes Gespräch mit ihm über mich erzählen und ich dir. Sie spricht von seiner Seelen-Doublette, wovon die bessere immer vor ihr auftrete. Nach meiner Einsicht in ihre und seine Seele gab es für ihn25 keine Frau weiter als diese. Die Kalb schrieb mir über die Wahl Leipzigs einen kalten Brief, dan, als ich schwieg, einen wärmern, worin sie mir die Lüge ihres Mannes an die Berlepsch erzählt, daß ich -- bald heirathete, und die Verlegenheit der B. über meine Zurükhaltung. Die gute B. sezte mich wieder über mein Schweigen zur Rede. Aus30 Breslau zankt die Rabbinin heraus über die B. und ich wil auf sie über ihren Mangel an Achtung für Freundinnen eines Freundes von Leipzig hineinzanken. -- Es ist wieder derselbe wiederkehrende Zufal, daß in mein wirkliches Leben wenigstens etwas von meinem biographischen immer komt, denn in meinen "Palingenesien" hab' ich eine Frau. Ach35 wie lieb' ich, wie kenn' ich diese und ich sah doch nicht ihr Bild, be- sonders ihr körperliches Apropos!
zurükzulocken, nach Pyrmont ein brillantiertes Portrait von 20,000 rtl. geſchikt — Weiſſe, der 2mal bei mir war, erzählte das von Hamburg ꝛc. Weiſſe liebt mich und meine Bücher über mein Erwarten: es iſt ein himliſcher Anblik, in einer 72jährigen Geſtalt nur eine Dankadreſſe für das vorige Leben und ein billetdoux an die ganze Menſchheit zu5 ſehen. Ich habe einmal bei ihm ſoupieren müſſen, wo der alte und junge D. Roſenmüller aus Erlang — ein ſteifer Exeget, der nicht ein Wort mitreden kan — da waren: ein Leip[ziger] Souper iſt ſtets ein Gaſtmahl, guter Wein, Deſſert, Gebaknes ꝛc. Weiſſens eine Tochter iſt ſehr ſchön — (ſeit einigen Jahren bin ich todt für Schönheit und nur10 lebendig für das Lebendige darhinter) und ſehr gebildet. Sein Tiſch, ſeine Bibliothek, im Sommer ſein Landgut, alles ſteht mir offen. Die alte Weiſſin (Platners Schweſter) iſt eine frohe ſcherzhafte kultivierte Hausmutter: eine alte weibliche Geſtalt dringt mir jezt an die Seele, ſeit ich die mütterliche unter mir ſehe. Ich konte als ich mit Emanuel15 zum D. Voigt fuhr, eine mitfahrende alte Pfarfrau ohne die gröſte Bewegung nicht mehr anſchauen. Es giebt eine Trauer, für die die kalte Zeit nicht die Wundärztin ſondern die weiterſchneidende eiſerne Jungfrau iſt. — Berlepsch wolte ſchon vorige Woche kommen, aber die väterliche Ratifikazion der Ehe ihrer Tochter verſchob es auf dieſe.20 Ich wurde noch von keinem Weibe ſo ſehr und ſo rein geliebt wie von[28] dieſer. Göthe iſt zurük und in Weimar einſam: ſie wil mir ihr langes ihr gefallendes Geſpräch mit ihm über mich erzählen und ich dir. Sie ſpricht von ſeiner Seelen-Doublette, wovon die beſſere immer vor ihr auftrete. Nach meiner Einſicht in ihre und ſeine Seele gab es für ihn25 keine Frau weiter als dieſe. Die Kalb ſchrieb mir über die Wahl Leipzigs einen kalten Brief, dan, als ich ſchwieg, einen wärmern, worin ſie mir die Lüge ihres Mannes an die Berlepsch erzählt, daß ich — bald heirathete, und die Verlegenheit der B. über meine Zurükhaltung. Die gute B. ſezte mich wieder über mein Schweigen zur Rede. Aus30 Breslau zankt die Rabbinin heraus über die B. und ich wil auf ſie über ihren Mangel an Achtung für Freundinnen eines Freundes von Leipzig hineinzanken. — Es iſt wieder derſelbe wiederkehrende Zufal, daß in mein wirkliches Leben wenigſtens etwas von meinem biographiſchen immer komt, denn in meinen „Palingeneſien“ hab’ ich eine Frau. Ach35 wie lieb’ ich, wie kenn’ ich dieſe und ich ſah doch nicht ihr Bild, be- ſonders ihr körperliches Apropos!
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0031"n="25"/>
zurükzulocken, nach Pyrmont ein brillantiertes Portrait von 20,000 rtl.<lb/>
geſchikt — Weiſſe, der 2mal bei mir war, erzählte das von Hamburg ꝛc.<lb/>
Weiſſe liebt mich und meine Bücher über mein Erwarten: es iſt ein<lb/>
himliſcher Anblik, in einer 72jährigen Geſtalt nur eine Dankadreſſe<lb/>
für das vorige Leben und ein <hirendition="#aq">billetdoux</hi> an die ganze Menſchheit zu<lbn="5"/>ſehen. Ich habe einmal bei ihm ſoupieren müſſen, wo der alte und<lb/>
junge <hirendition="#aq">D.</hi> Roſenmüller aus Erlang — ein ſteifer Exeget, der nicht ein<lb/>
Wort mitreden kan — da waren: ein Leip[ziger] Souper iſt ſtets ein<lb/>
Gaſtmahl, guter Wein, Deſſert, Gebaknes ꝛc. Weiſſens eine Tochter iſt<lb/>ſehr ſchön — (ſeit einigen Jahren bin ich todt für Schönheit und nur<lbn="10"/>
lebendig für das Lebendige darhinter) und ſehr gebildet. Sein Tiſch,<lb/>ſeine Bibliothek, im Sommer ſein Landgut, alles ſteht mir offen. Die<lb/>
alte Weiſſin (Platners Schweſter) iſt eine frohe ſcherzhafte kultivierte<lb/>
Hausmutter: eine alte weibliche Geſtalt dringt mir jezt an die Seele,<lb/>ſeit ich die mütterliche unter mir ſehe. Ich konte als ich mit <hirendition="#aq">Emanuel</hi><lbn="15"/>
zum <hirendition="#aq">D.</hi> Voigt fuhr, eine mitfahrende alte Pfarfrau ohne die gröſte<lb/>
Bewegung nicht mehr anſchauen. Es giebt eine Trauer, für die die<lb/>
kalte Zeit nicht die Wundärztin ſondern die weiterſchneidende eiſerne<lb/>
Jungfrau iſt. —<hirendition="#aq">Berlepsch</hi> wolte ſchon vorige Woche kommen, aber<lb/>
die väterliche Ratifikazion der Ehe ihrer Tochter verſchob es auf dieſe.<lbn="20"/>
Ich wurde noch von keinem Weibe ſo ſehr und ſo rein geliebt wie von<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd3_28">[28]</ref></note><lb/>
dieſer. Göthe iſt zurük und in <hirendition="#aq">Weimar</hi> einſam: ſie wil mir ihr langes<lb/>
ihr gefallendes Geſpräch mit ihm über mich erzählen und ich dir. Sie<lb/>ſpricht von ſeiner Seelen-Doublette, wovon die beſſere immer vor ihr<lb/>
auftrete. Nach meiner Einſicht in ihre und ſeine Seele gab es für ihn<lbn="25"/>
keine Frau weiter als dieſe. Die <hirendition="#aq">Kalb</hi>ſchrieb mir über die Wahl<lb/>
Leipzigs einen kalten Brief, dan, als ich ſchwieg, einen wärmern, worin<lb/>ſie mir die Lüge ihres Mannes an die <hirendition="#aq">Berlepsch</hi> erzählt, daß ich —<lb/>
bald heirathete, und die Verlegenheit der <hirendition="#aq">B.</hi> über meine Zurükhaltung.<lb/>
Die gute <hirendition="#aq">B.</hi>ſezte mich wieder über mein Schweigen zur Rede. Aus<lbn="30"/>
Breslau zankt die Rabbinin heraus über die <hirendition="#aq">B.</hi> und ich wil auf ſie über<lb/>
ihren Mangel an Achtung für Freundinnen eines Freundes von Leipzig<lb/>
hineinzanken. — Es iſt wieder derſelbe wiederkehrende Zufal, daß in<lb/>
mein wirkliches Leben wenigſtens etwas von meinem biographiſchen<lb/>
immer komt, denn in meinen „Palingeneſien“ hab’ ich eine Frau. Ach<lbn="35"/>
wie lieb’ ich, wie kenn’ ich dieſe und ich ſah doch nicht ihr Bild, be-<lb/>ſonders ihr körperliches Apropos!</p><lb/></div></body></text></TEI>
[25/0031]
zurükzulocken, nach Pyrmont ein brillantiertes Portrait von 20,000 rtl.
geſchikt — Weiſſe, der 2mal bei mir war, erzählte das von Hamburg ꝛc.
Weiſſe liebt mich und meine Bücher über mein Erwarten: es iſt ein
himliſcher Anblik, in einer 72jährigen Geſtalt nur eine Dankadreſſe
für das vorige Leben und ein billetdoux an die ganze Menſchheit zu 5
ſehen. Ich habe einmal bei ihm ſoupieren müſſen, wo der alte und
junge D. Roſenmüller aus Erlang — ein ſteifer Exeget, der nicht ein
Wort mitreden kan — da waren: ein Leip[ziger] Souper iſt ſtets ein
Gaſtmahl, guter Wein, Deſſert, Gebaknes ꝛc. Weiſſens eine Tochter iſt
ſehr ſchön — (ſeit einigen Jahren bin ich todt für Schönheit und nur 10
lebendig für das Lebendige darhinter) und ſehr gebildet. Sein Tiſch,
ſeine Bibliothek, im Sommer ſein Landgut, alles ſteht mir offen. Die
alte Weiſſin (Platners Schweſter) iſt eine frohe ſcherzhafte kultivierte
Hausmutter: eine alte weibliche Geſtalt dringt mir jezt an die Seele,
ſeit ich die mütterliche unter mir ſehe. Ich konte als ich mit Emanuel 15
zum D. Voigt fuhr, eine mitfahrende alte Pfarfrau ohne die gröſte
Bewegung nicht mehr anſchauen. Es giebt eine Trauer, für die die
kalte Zeit nicht die Wundärztin ſondern die weiterſchneidende eiſerne
Jungfrau iſt. — Berlepsch wolte ſchon vorige Woche kommen, aber
die väterliche Ratifikazion der Ehe ihrer Tochter verſchob es auf dieſe. 20
Ich wurde noch von keinem Weibe ſo ſehr und ſo rein geliebt wie von
dieſer. Göthe iſt zurük und in Weimar einſam: ſie wil mir ihr langes
ihr gefallendes Geſpräch mit ihm über mich erzählen und ich dir. Sie
ſpricht von ſeiner Seelen-Doublette, wovon die beſſere immer vor ihr
auftrete. Nach meiner Einſicht in ihre und ſeine Seele gab es für ihn 25
keine Frau weiter als dieſe. Die Kalb ſchrieb mir über die Wahl
Leipzigs einen kalten Brief, dan, als ich ſchwieg, einen wärmern, worin
ſie mir die Lüge ihres Mannes an die Berlepsch erzählt, daß ich —
bald heirathete, und die Verlegenheit der B. über meine Zurükhaltung.
Die gute B. ſezte mich wieder über mein Schweigen zur Rede. Aus 30
Breslau zankt die Rabbinin heraus über die B. und ich wil auf ſie über
ihren Mangel an Achtung für Freundinnen eines Freundes von Leipzig
hineinzanken. — Es iſt wieder derſelbe wiederkehrende Zufal, daß in
mein wirkliches Leben wenigſtens etwas von meinem biographiſchen
immer komt, denn in meinen „Palingeneſien“ hab’ ich eine Frau. Ach 35
wie lieb’ ich, wie kenn’ ich dieſe und ich ſah doch nicht ihr Bild, be-
ſonders ihr körperliches Apropos!
[28]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/31>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.