Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite
341. An Fräulein von Göchhausen in Weimar.
[Kopie]

-- man mus den Parnas ersteigen, um über dem Gewölk des Novem-
bers zu stehen.

342. An Knebel in Ilmenau.5
[Kopie]

So oft ich die vertauschten Beinkleider anzog, fiel mir das Herz in
sie und sie waren so gut wie ein Buskleid, da sie mich an unsern
Traktat und an die erinnerten, die ich Ihnen hier sende. -- H[erder] lebt
ohne Wolken in seinem Aether, das kantianische Pereat geht leichter10
vorbei, denn er hält die Fensterladen zu. Haben Sie so schöne Stunden
als Sie den Lesern des Almanachs gaben.



343. An Jacobi.

Geliebter Heinrich! Wenn man an fremden Orten an Einheimische[272]15
der Seele -- was ich so gern thue -- schreibt: so wird man da ein-
heimisch. Jezt werd' ich an dich nicht blos von mir erinnert sondern
auch von Reinhold, dessen Sendschreiben etc. ich eben weggelegt, d. h.
Fichte's paraphrasierte Appellazion. Seine alte, nie etwas entdeckende
vergleichende Anatomie fängt hier in der langen Antithese zwischen20
Gewissen und Wissen von neuem an, d. i. zwischen Postulieren und
Demonstrieren, (so wie sein Endliches ins Unendliche wieder nur ein
unnöthiges Wort für das unaufhörlich Bedingte ist) Man lernt nichts
von ihm -- als unpartheiische Wärme und helle Darstellung -- und er
vergleicht immer nur Partheien, von denen er eine alte genommen,25
anstat eine neue zu machen und zu sein durch den Standpunkt der
Vergleichung. Aber ich lieb' ihn herzlich; und besonders seine 2te
Beilage.

Fichte les' ich von vornen wieder, unendlich erquikt durch seinen
Scharfsin; wende aber ihn und Bayle wie die Leute ein grosses Messer30
an, nicht um damit zu schneiden sondern um meines daran zu schleifen.
Auf Montaignes Styl wirkte wie er sagt alzeit die lezte Lektüre -- ob
ich gleich nur die senekaische in ihm finde --; aber Dichter und alle
wirken nicht so als die Philosophen, die -- wenigstens bei mir -- den

341. An Fräulein von Göchhauſen in Weimar.
[Kopie]

— man mus den Parnas erſteigen, um über dem Gewölk des Novem-
bers zu ſtehen.

342. An Knebel in Ilmenau.5
[Kopie]

So oft ich die vertauſchten Beinkleider anzog, fiel mir das Herz in
ſie und ſie waren ſo gut wie ein Buskleid, da ſie mich an unſern
Traktat und an die erinnerten, die ich Ihnen hier ſende. — H[erder] lebt
ohne Wolken in ſeinem Aether, das kantianiſche Pereat geht leichter10
vorbei, denn er hält die Fenſterladen zu. Haben Sie ſo ſchöne Stunden
als Sie den Leſern des Almanachs gaben.



343. An Jacobi.

Geliebter Heinrich! Wenn man an fremden Orten an Einheimiſche[272]15
der Seele — was ich ſo gern thue — ſchreibt: ſo wird man da ein-
heimiſch. Jezt werd’ ich an dich nicht blos von mir erinnert ſondern
auch von Reinhold, deſſen Sendſchreiben ꝛc. ich eben weggelegt, d. h.
Fichte’s paraphraſierte Appellazion. Seine alte, nie etwas entdeckende
vergleichende Anatomie fängt hier in der langen Antitheſe zwiſchen20
Gewiſſen und Wiſſen von neuem an, d. i. zwiſchen Poſtulieren und
Demonſtrieren, (ſo wie ſein Endliches ins Unendliche wieder nur ein
unnöthiges Wort für das unaufhörlich Bedingte iſt) Man lernt nichts
von ihm — als unpartheiiſche Wärme und helle Darſtellung — und er
vergleicht immer nur Partheien, von denen er eine alte genommen,25
anſtat eine neue zu machen und zu ſein durch den Standpunkt der
Vergleichung. Aber ich lieb’ ihn herzlich; und beſonders ſeine 2te
Beilage.

Fichte leſ’ ich von vornen wieder, unendlich erquikt durch ſeinen
Scharfſin; wende aber ihn und Bayle wie die Leute ein groſſes Meſſer30
an, nicht um damit zu ſchneiden ſondern um meines daran zu ſchleifen.
Auf Montaignes Styl wirkte wie er ſagt alzeit die lezte Lektüre — ob
ich gleich nur die ſenekaiſche in ihm finde —; aber Dichter und alle
wirken nicht ſo als die Philoſophen, die — wenigſtens bei mir — den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0265" n="249"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>341. An <hi rendition="#g">Fräulein von Göchhau&#x017F;en in Weimar.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Weimar, 8. (?) Nov. 1799]</hi> </dateline><lb/>
        <p>&#x2014; man mus den Parnas er&#x017F;teigen, um über dem Gewölk des Novem-<lb/>
bers zu &#x017F;tehen.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>342. An <hi rendition="#g">Knebel in Ilmenau.</hi><lb n="5"/>
</head>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Weimar, 10. Nov. 1799]</hi> </dateline><lb/>
        <p>So oft ich die vertau&#x017F;chten Beinkleider anzog, fiel mir das Herz in<lb/>
&#x017F;ie und &#x017F;ie waren &#x017F;o gut wie ein Buskleid, da &#x017F;ie mich an un&#x017F;ern<lb/>
Traktat und an die erinnerten, die ich Ihnen hier &#x017F;ende. &#x2014; <hi rendition="#aq">H[erder]</hi> lebt<lb/>
ohne Wolken in &#x017F;einem Aether, das kantiani&#x017F;che Pereat geht leichter<lb n="10"/>
vorbei, denn er hält die Fen&#x017F;terladen zu. Haben Sie &#x017F;o &#x017F;chöne Stunden<lb/>
als Sie den Le&#x017F;ern des Almanachs gaben.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>343. An <hi rendition="#g">Jacobi.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hildburghausen d. 4 Octobr.</hi> 99.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Geliebter Heinrich! Wenn man an fremden Orten an Einheimi&#x017F;che<note place="right"><ref target="1922_Bd3_272">[272]</ref></note><lb n="15"/>
der Seele &#x2014; was ich &#x017F;o gern thue &#x2014; &#x017F;chreibt: &#x017F;o wird man da ein-<lb/>
heimi&#x017F;ch. Jezt werd&#x2019; ich an dich nicht blos von mir erinnert &#x017F;ondern<lb/>
auch von <hi rendition="#aq">Reinhold,</hi> de&#x017F;&#x017F;en Send&#x017F;chreiben &#xA75B;c. ich eben weggelegt, d. h.<lb/>
Fichte&#x2019;s paraphra&#x017F;ierte Appellazion. Seine alte, nie etwas entdeckende<lb/>
vergleichende Anatomie fängt hier in der langen Antithe&#x017F;e zwi&#x017F;chen<lb n="20"/>
Gewi&#x017F;&#x017F;en und Wi&#x017F;&#x017F;en von neuem an, d. i. zwi&#x017F;chen Po&#x017F;tulieren und<lb/>
Demon&#x017F;trieren, (&#x017F;o wie &#x017F;ein Endliches ins Unendliche wieder nur ein<lb/>
unnöthiges Wort für das unaufhörlich Bedingte i&#x017F;t) Man lernt nichts<lb/>
von ihm &#x2014; als unpartheii&#x017F;che Wärme und helle Dar&#x017F;tellung &#x2014; und er<lb/>
vergleicht immer nur Partheien, von denen er eine alte genommen,<lb n="25"/>
an&#x017F;tat eine neue zu machen und zu &#x017F;ein durch den Standpunkt der<lb/>
Vergleichung. Aber ich lieb&#x2019; ihn herzlich; und be&#x017F;onders &#x017F;eine 2<hi rendition="#sup">te</hi><lb/>
Beilage.</p><lb/>
        <p>Fichte le&#x017F;&#x2019; ich von vornen wieder, unendlich erquikt durch &#x017F;einen<lb/>
Scharf&#x017F;in; wende aber ihn und <hi rendition="#aq">Bayle</hi> wie die Leute ein gro&#x017F;&#x017F;es Me&#x017F;&#x017F;er<lb n="30"/>
an, nicht um damit zu &#x017F;chneiden &#x017F;ondern um meines daran zu &#x017F;chleifen.<lb/>
Auf Montaignes Styl wirkte wie er &#x017F;agt alzeit die lezte Lektüre &#x2014; ob<lb/>
ich gleich nur die &#x017F;enekai&#x017F;che in ihm finde &#x2014;; aber Dichter und alle<lb/>
wirken nicht &#x017F;o als die Philo&#x017F;ophen, die &#x2014; wenig&#x017F;tens bei mir &#x2014; den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0265] 341. An Fräulein von Göchhauſen in Weimar. [Weimar, 8. (?) Nov. 1799] — man mus den Parnas erſteigen, um über dem Gewölk des Novem- bers zu ſtehen. 342. An Knebel in Ilmenau. 5 [Weimar, 10. Nov. 1799] So oft ich die vertauſchten Beinkleider anzog, fiel mir das Herz in ſie und ſie waren ſo gut wie ein Buskleid, da ſie mich an unſern Traktat und an die erinnerten, die ich Ihnen hier ſende. — H[erder] lebt ohne Wolken in ſeinem Aether, das kantianiſche Pereat geht leichter 10 vorbei, denn er hält die Fenſterladen zu. Haben Sie ſo ſchöne Stunden als Sie den Leſern des Almanachs gaben. 343. An Jacobi. Hildburghausen d. 4 Octobr. 99. Geliebter Heinrich! Wenn man an fremden Orten an Einheimiſche 15 der Seele — was ich ſo gern thue — ſchreibt: ſo wird man da ein- heimiſch. Jezt werd’ ich an dich nicht blos von mir erinnert ſondern auch von Reinhold, deſſen Sendſchreiben ꝛc. ich eben weggelegt, d. h. Fichte’s paraphraſierte Appellazion. Seine alte, nie etwas entdeckende vergleichende Anatomie fängt hier in der langen Antitheſe zwiſchen 20 Gewiſſen und Wiſſen von neuem an, d. i. zwiſchen Poſtulieren und Demonſtrieren, (ſo wie ſein Endliches ins Unendliche wieder nur ein unnöthiges Wort für das unaufhörlich Bedingte iſt) Man lernt nichts von ihm — als unpartheiiſche Wärme und helle Darſtellung — und er vergleicht immer nur Partheien, von denen er eine alte genommen, 25 anſtat eine neue zu machen und zu ſein durch den Standpunkt der Vergleichung. Aber ich lieb’ ihn herzlich; und beſonders ſeine 2te Beilage. [272] Fichte leſ’ ich von vornen wieder, unendlich erquikt durch ſeinen Scharfſin; wende aber ihn und Bayle wie die Leute ein groſſes Meſſer 30 an, nicht um damit zu ſchneiden ſondern um meines daran zu ſchleifen. Auf Montaignes Styl wirkte wie er ſagt alzeit die lezte Lektüre — ob ich gleich nur die ſenekaiſche in ihm finde —; aber Dichter und alle wirken nicht ſo als die Philoſophen, die — wenigſtens bei mir — den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/265
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/265>, abgerufen am 25.11.2024.