-- Ich habe mich hier wohl mehr in mein Dickicht zurükgeschoben; aber meine alten Freunde sind es noch. Den Herderschen bracht' ich jezt sogar einen Sohn (den Oekonomen) bei Emanuel an, und aus der Herzoglichen Wilkühr weg. -- Die Berlepsch wird von zögernden Winden in Cuxhaven eingespert; sie schikte mir 2 Tagebücher. Ihre5 Seele fühlt weinend das Trennen vom alten Vaterland. --
Jacobi lässet seinen Brief an Fichte drucken. -- Was sind denn alle[257] diese öden Nouvellen? Nicht einmal eine Kapitelüberschrift zu meiner Lebensgeschichte ist damit gegeben; und auf dem innern Wesen liegt Schatten und Hülle. Ach nur tägliches Beisammenleben ist Leben und10 Lieben; und wir brauchen eine andere Welt und Lage, fast schon darum, damit nicht alles einander nur in so abgetrenten Inseln im Strome der Zeit erblicke und entbehre. --
Leb froh, mein Geliebter! Warlich mein herzlichster Wunsch wäre, die Feder nicht wegzulegen -- ich darbe mehr wie du -- aber ich mus.15 Ach die Ewigkeit braucht den Menschen nichts zu geben als Gegen- wart, dan ist alles gut. -- Grüsse, küsse, umarme deine geliebte Sophie für mich. Lebt wohl!
Richter
322. An Karoline von Feuchtersleben.20
[Kopie][Weimar, 30. Sept. 1799]
Da die Tage nur 2 Farben hatten, die rothe und die blaue: so hätt' ich gern Ihre Briefe geholet, um zu Ihnen zu kommen. -- so gebe mir bald ein Blat aus Ihrer Hand die Stunde, die mir fehlt. -- Ihr Bild geht wie ein Regenbogen mit mir und spricht mit mir von der Zu-25 kunft -- Und wie würden Sie meine Seele verwunden, wenn Sie wären wie sonst? Zwar zum leztenmal aber doch am schmerzlichsten -- nein du kanst es nicht. Wie spielet das Schiksal mit den Menschen, die sich angehören, und wirft Wolken, Zufälle, Zeiten und Räume zwischen sie und [giebt] dem Herzen nur dürftige Thränen, damit es30 weder verschmachte noch genese.
323. An Charlotte von Kalb in Waltershausen.
[Kopie][Weimar, 30. Sept. 1799]
Bisher hat nur mein Gedächtnis gesprochen; mein Herz hat noch die alte Muttersprache für Sie -- Solche einz[elne] Fest Zeiten in der35
— Ich habe mich hier wohl mehr in mein Dickicht zurükgeſchoben; aber meine alten Freunde ſind es noch. Den Herderschen bracht’ ich jezt ſogar einen Sohn (den Oekonomen) bei Emanuel an, und aus der Herzoglichen Wilkühr weg. — Die Berlepsch wird von zögernden Winden in Cuxhaven eingeſpert; ſie ſchikte mir 2 Tagebücher. Ihre5 Seele fühlt weinend das Trennen vom alten Vaterland. —
Jacobi läſſet ſeinen Brief an Fichte drucken. — Was ſind denn alle[257] dieſe öden Nouvellen? Nicht einmal eine Kapitelüberſchrift zu meiner Lebensgeſchichte iſt damit gegeben; und auf dem innern Weſen liegt Schatten und Hülle. Ach nur tägliches Beiſammenleben iſt Leben und10 Lieben; und wir brauchen eine andere Welt und Lage, faſt ſchon darum, damit nicht alles einander nur in ſo abgetrenten Inſeln im Strome der Zeit erblicke und entbehre. —
Leb froh, mein Geliebter! Warlich mein herzlichſter Wunſch wäre, die Feder nicht wegzulegen — ich darbe mehr wie du — aber ich mus.15 Ach die Ewigkeit braucht den Menſchen nichts zu geben als Gegen- wart, dan iſt alles gut. — Grüſſe, küſſe, umarme deine geliebte Sophie für mich. Lebt wohl!
Richter
322. An Karoline von Feuchtersleben.20
[Kopie][Weimar, 30. Sept. 1799]
Da die Tage nur 2 Farben hatten, die rothe und die blaue: ſo hätt’ ich gern Ihre Briefe geholet, um zu Ihnen zu kommen. — ſo gebe mir bald ein Blat aus Ihrer Hand die Stunde, die mir fehlt. — Ihr Bild geht wie ein Regenbogen mit mir und ſpricht mit mir von der Zu-25 kunft — Und wie würden Sie meine Seele verwunden, wenn Sie wären wie ſonſt? Zwar zum leztenmal aber doch am ſchmerzlichſten — nein du kanſt es nicht. Wie ſpielet das Schikſal mit den Menſchen, die ſich angehören, und wirft Wolken, Zufälle, Zeiten und Räume zwiſchen ſie und [giebt] dem Herzen nur dürftige Thränen, damit es30 weder verſchmachte noch geneſe.
323. An Charlotte von Kalb in Waltershauſen.
[Kopie][Weimar, 30. Sept. 1799]
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— Ich habe mich hier wohl mehr in mein Dickicht zurükgeſchoben;
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Herzoglichen Wilkühr weg. — Die Berlepsch wird von zögernden
Winden in Cuxhaven eingeſpert; ſie ſchikte mir 2 Tagebücher. Ihre 5
Seele fühlt weinend das Trennen vom alten Vaterland. —
Jacobi läſſet ſeinen Brief an Fichte drucken. — Was ſind denn alle
dieſe öden Nouvellen? Nicht einmal eine Kapitelüberſchrift zu meiner
Lebensgeſchichte iſt damit gegeben; und auf dem innern Weſen liegt
Schatten und Hülle. Ach nur tägliches Beiſammenleben iſt Leben und 10
Lieben; und wir brauchen eine andere Welt und Lage, faſt ſchon darum,
damit nicht alles einander nur in ſo abgetrenten Inſeln im Strome der
Zeit erblicke und entbehre. —
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Leb froh, mein Geliebter! Warlich mein herzlichſter Wunſch wäre,
die Feder nicht wegzulegen — ich darbe mehr wie du — aber ich mus. 15
Ach die Ewigkeit braucht den Menſchen nichts zu geben als Gegen-
wart, dan iſt alles gut. — Grüſſe, küſſe, umarme deine geliebte Sophie
für mich. Lebt wohl!
Richter
322. An Karoline von Feuchtersleben. 20
[Weimar, 30. Sept. 1799]
Da die Tage nur 2 Farben hatten, die rothe und die blaue: ſo hätt’
ich gern Ihre Briefe geholet, um zu Ihnen zu kommen. — ſo gebe mir
bald ein Blat aus Ihrer Hand die Stunde, die mir fehlt. — Ihr Bild
geht wie ein Regenbogen mit mir und ſpricht mit mir von der Zu- 25
kunft — Und wie würden Sie meine Seele verwunden, wenn Sie
wären wie ſonſt? Zwar zum leztenmal aber doch am ſchmerzlichſten
— nein du kanſt es nicht. Wie ſpielet das Schikſal mit den Menſchen,
die ſich angehören, und wirft Wolken, Zufälle, Zeiten und Räume
zwiſchen ſie und [giebt] dem Herzen nur dürftige Thränen, damit es 30
weder verſchmachte noch geneſe.
323. An Charlotte von Kalb in Waltershauſen.
[Weimar, 30. Sept. 1799]
Bisher hat nur mein Gedächtnis geſprochen; mein Herz hat noch
die alte Mutterſprache für Sie — Solche einz[elne] Feſt Zeiten in der 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/250>, abgerufen am 16.02.2025.
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