zurük als ich mitgenommen. Aber was hab ich denn eigentlich bei dir gethan, d. h. gesagt? Welche dumpfe Vergeslichkeit rükte mir alle Objekte unter die 2te Halbkugel, so daß ich jezt erst weis was ich sagen wollen? Und warum warst du kein Katechet? Und warum verjagte nicht der äussere Sonnenschein diesen innern Dunst? So bin ich also5 wieder für mein Einfallen ins Rad der Umstände gezüchtigt, das ent- weder rädert oder zieht; nur 8 Tage später hätt ich kommen sollen.
Künftig lass' ich dich zu mir und -- meiner Frau abholen; dan ist ein Wort zu reden.
Lies von der F[euchtersleben] zuerst das kleine, dan das grosse Blat.10 O die Gute, warum war ich so? -- Hildburghausen ist meine lezte Reise anno 99.
Schiller zieht hieher in Kalbs Logis. -- Ein herlicher rechtlicher gewandter Mensch, Namens Michel, der Feleisenreiter in Neustadt, für den ich stehe, geht am Neujahr, wenn ihn der Postmeister in seine[255]15 Dienste nehmen wil, gern darein: überrede! -- Die Bleibtreu aus Braunschweig hat mir eine kostbare porzellanene Urne mit Blüten geschikt. -- Thiek (dessen Zerbino lies!) und Hardenberg waren bei mir in der Abwesenheit und Schlegel lies mich durch sie zu sich ein- laden. Höre, berechne doch die Grade, wenn die Toleranz in 1000 etc.20 Jahren so zunimt wie es die Algemeinheit und Freiheit des Geistes er- zwingt wer wird noch alsdan intolerant übrig bleiben? -- Gott höchstens gegen den Teufel. -- Ich trage den Gedanken umher, meinen Titan Fürstinnen -- am liebsten jenen 4 auf einmal -- zu dedizieren (denn ich mache keine Vorrede); warum sol ich muthwillig alle Springstäbe25 und Steigeisen des Fortkommens wegwerfen? Aber beleidigt sie der Titan nicht? Und ist nicht schon diese Frage ein Kerker des Schwungs? Rede! --
Grüsse meinen Albrecht und meine geliebte Friedrike, deren Tag- und Seelenbuch du kapern soltest wie ich that. Grüsse meine Sophie --30 in ihre rothe Schreibtafel bin ich wie in eine Aurora verliebt -- und da ein Lob hinter dem Rücken süsser ist, so wird es auch ein Grus hinter dem Rücken sein und ich sez' ihn hieher: "mein ganzes Herz grüsset deines, redliche Sophie, und in meiner Erinnerung blühen unsere Minuten fort und du must immer, immer glüklich sein, du Gute!" --35
Und du! -- Ach wenn wir uns nur recht gehabt hätten! Warum haben wir beide denn so fleissig gelesen, als wär' ich nur zu Büchern
zurük als ich mitgenommen. Aber was hab ich denn eigentlich bei dir gethan, d. h. geſagt? Welche dumpfe Vergeslichkeit rükte mir alle Objekte unter die 2te Halbkugel, ſo daß ich jezt erſt weis was ich ſagen wollen? Und warum warſt du kein Katechet? Und warum verjagte nicht der äuſſere Sonnenſchein dieſen innern Dunſt? So bin ich alſo5 wieder für mein Einfallen ins Rad der Umſtände gezüchtigt, das ent- weder rädert oder zieht; nur 8 Tage ſpäter hätt ich kommen ſollen.
Künftig laſſ’ ich dich zu mir und — meiner Frau abholen; dan iſt ein Wort zu reden.
Lies von der F[euchtersleben] zuerſt das kleine, dan das groſſe Blat.10 O die Gute, warum war ich ſo? — Hildburghausen iſt meine lezte Reiſe anno 99.
Schiller zieht hieher in Kalbs Logis. — Ein herlicher rechtlicher gewandter Menſch, Namens Michel, der Feleiſenreiter in Neustadt, für den ich ſtehe, geht am Neujahr, wenn ihn der Poſtmeiſter in ſeine[255]15 Dienſte nehmen wil, gern darein: überrede! — Die Bleibtreu aus Braunschweig hat mir eine koſtbare porzellanene Urne mit Blüten geſchikt. — Thiek (deſſen Zerbino lies!) und Hardenberg waren bei mir in der Abweſenheit und Schlegel lies mich durch ſie zu ſich ein- laden. Höre, berechne doch die Grade, wenn die Toleranz in 1000 ꝛc.20 Jahren ſo zunimt wie es die Algemeinheit und Freiheit des Geiſtes er- zwingt wer wird noch alsdan intolerant übrig bleiben? — Gott höchſtens gegen den Teufel. — Ich trage den Gedanken umher, meinen Titan Fürſtinnen — am liebſten jenen 4 auf einmal — zu dedizieren (denn ich mache keine Vorrede); warum ſol ich muthwillig alle Springſtäbe25 und Steigeiſen des Fortkommens wegwerfen? Aber beleidigt ſie der Titan nicht? Und iſt nicht ſchon dieſe Frage ein Kerker des Schwungs? Rede! —
Grüſſe meinen Albrecht und meine geliebte Friedrike, deren Tag- und Seelenbuch du kapern ſolteſt wie ich that. Grüſſe meine Sophie —30 in ihre rothe Schreibtafel bin ich wie in eine Aurora verliebt — und da ein Lob hinter dem Rücken ſüſſer iſt, ſo wird es auch ein Grus hinter dem Rücken ſein und ich ſez’ ihn hieher: „mein ganzes Herz grüſſet deines, redliche Sophie, und in meiner Erinnerung blühen unſere Minuten fort und du muſt immer, immer glüklich ſein, du Gute!“ —35
Und du! — Ach wenn wir uns nur recht gehabt hätten! Warum haben wir beide denn ſo fleiſſig geleſen, als wär’ ich nur zu Büchern
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zurük als ich mitgenommen. Aber was hab ich denn eigentlich bei dir
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wollen? Und warum warſt du kein Katechet? Und warum verjagte
nicht der äuſſere Sonnenſchein dieſen innern Dunſt? So bin ich alſo 5
wieder für mein Einfallen ins Rad der Umſtände gezüchtigt, das ent-
weder rädert oder zieht; nur 8 Tage ſpäter hätt ich kommen ſollen.
Künftig laſſ’ ich dich zu mir und — meiner Frau abholen; dan iſt ein
Wort zu reden.
Lies von der F[euchtersleben] zuerſt das kleine, dan das groſſe Blat. 10
O die Gute, warum war ich ſo? — Hildburghausen iſt meine lezte
Reiſe anno 99.
Schiller zieht hieher in Kalbs Logis. — Ein herlicher rechtlicher
gewandter Menſch, Namens Michel, der Feleiſenreiter in Neustadt,
für den ich ſtehe, geht am Neujahr, wenn ihn der Poſtmeiſter in ſeine 15
Dienſte nehmen wil, gern darein: überrede! — Die Bleibtreu aus
Braunschweig hat mir eine koſtbare porzellanene Urne mit Blüten
geſchikt. — Thiek (deſſen Zerbino lies!) und Hardenberg waren bei
mir in der Abweſenheit und Schlegel lies mich durch ſie zu ſich ein-
laden. Höre, berechne doch die Grade, wenn die Toleranz in 1000 ꝛc. 20
Jahren ſo zunimt wie es die Algemeinheit und Freiheit des Geiſtes er-
zwingt wer wird noch alsdan intolerant übrig bleiben? — Gott höchſtens
gegen den Teufel. — Ich trage den Gedanken umher, meinen Titan
Fürſtinnen — am liebſten jenen 4 auf einmal — zu dedizieren (denn
ich mache keine Vorrede); warum ſol ich muthwillig alle Springſtäbe 25
und Steigeiſen des Fortkommens wegwerfen? Aber beleidigt ſie der
Titan nicht? Und iſt nicht ſchon dieſe Frage ein Kerker des Schwungs?
Rede! —
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Grüſſe meinen Albrecht und meine geliebte Friedrike, deren Tag-
und Seelenbuch du kapern ſolteſt wie ich that. Grüſſe meine Sophie — 30
in ihre rothe Schreibtafel bin ich wie in eine Aurora verliebt — und da
ein Lob hinter dem Rücken ſüſſer iſt, ſo wird es auch ein Grus hinter
dem Rücken ſein und ich ſez’ ihn hieher: „mein ganzes Herz grüſſet
deines, redliche Sophie, und in meiner Erinnerung blühen unſere
Minuten fort und du muſt immer, immer glüklich ſein, du Gute!“ — 35
Und du! — Ach wenn wir uns nur recht gehabt hätten! Warum
haben wir beide denn ſo fleiſſig geleſen, als wär’ ich nur zu Büchern
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/248>, abgerufen am 27.07.2024.
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