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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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Dieses Blat geht mit dem Manuscripte des Titans nach Berlin.

Ich kenne keinen grössern Schmerz als den mütterlichen über
rohe Hände, die zerstörend und auslöschend über die zarten
frisch-gemalten Bilder in jungen Kinder-Seelen fahren. Haben Sie
die entschiedenste Standhaftigkeit! Aber verhehlen Sie jede, und5
so jedes Übertreffen vor mänlichen Augen; und zeigen Sie mehr
den tragenden Schmerz als den kämpfenden Unmuth! -- Rechnen
Sie auch noch darauf, daß Kinder mehr die lieben und achten, die
moralisch und also unveränderlich handeln, als die, die ihnen
schmeicheln aber unmoralisch und mithin launisch verfahren; sie10
benüzen diese, aber sie befolgen und verehren jene. Die Kinder
haben den zärtesten moralischen Sin; also sei unbesorgt, gute
Mutter, und wo du die Lehre nicht geben darfst, da gieb das
Muster -- das ist weit almächtiger.
--

Drücken Sie die liebe Briefstellerin an Ihr Herz und sagen Sie15
ihr, wie ich in ihr liebe die Hofnung der geliebten Mutter.

Sein Sie recht heiter sowohl für die geliebte Kleine -- Heiter-
keit ist das Amulet für Kinder -- als für sich; -- um heiter zu sein,
braucht man oft nur den Grundsaz nicht zu haben, daß man das
Gegentheil sein wolle. -- In der Zukunft und in der Vergangenheit20
scheint uns jeder Schmerz zu gros, aber wenn er über uns schwebt,
wird er gemildert und in Minuten aufgelöset, blutroth geht er
wie der Mond auf und unter, aber über uns, sieht er wie dieser nur
blas oder weis. O mög' er nie, der Schmerz, über deinem Haupte
stehen, geliebte Josephine! nie über diesem Herzen, das so warm25
und so rein und so beständig ist! Lebe seelig, Gute!

R.

N. S. Ich bin vom Herzog v. Hildburghausen zum Lega-
tionsrath ernant worden.

309. An Jacobi.
30

Guter Heinrich! -- -- Nach dieser Anrede war Herder auf eine
Minute bei mir. Welcher Zufal! Aber warum bist du nicht bei mir
[248]mit deinen Briefen? Vergieb diesen als ein Billet, das dich furchtsam
fragen sol, warum bist du so stil? Warum, mein Heinrich? -- Es ist
Schwäche, das fremde Schweigen aus eignen Fehlworten und Fehl-35
gedanken zu erklären; aber die Liebe ist immer schwach, wenn sie zu

Dieses Blat geht mit dem Manuscripte des Titans nach Berlin.

Ich kenne keinen grössern Schmerz als den mütterlichen über
rohe Hände, die zerstörend und auslöschend über die zarten
frisch-gemalten Bilder in jungen Kinder-Seelen fahren. Haben Sie
die entschiedenste Standhaftigkeit! Aber verhehlen Sie jede, und5
so jedes Übertreffen vor mänlichen Augen; und zeigen Sie mehr
den tragenden Schmerz als den kämpfenden Unmuth! — Rechnen
Sie auch noch darauf, daß Kinder mehr die lieben und achten, die
moralisch und also unveränderlich handeln, als die, die ihnen
schmeicheln aber unmoralisch und mithin launisch verfahren; sie10
benüzen diese, aber sie befolgen und verehren jene. Die Kinder
haben den zärtesten moralischen Sin; also sei unbesorgt, gute
Mutter, und wo du die Lehre nicht geben darfst, da gieb das
Muster — das ist weit almächtiger.

Drücken Sie die liebe Briefstellerin an Ihr Herz und sagen Sie15
ihr, wie ich in ihr liebe die Hofnung der geliebten Mutter.

Sein Sie recht heiter sowohl für die geliebte Kleine — Heiter-
keit ist das Amulet für Kinder — als für sich; — um heiter zu sein,
braucht man oft nur den Grundsaz nicht zu haben, daß man das
Gegentheil sein wolle. — In der Zukunft und in der Vergangenheit20
scheint uns jeder Schmerz zu gros, aber wenn er über uns schwebt,
wird er gemildert und in Minuten aufgelöset, blutroth geht er
wie der Mond auf und unter, aber über uns, sieht er wie dieser nur
blas oder weis. O mög’ er nie, der Schmerz, über deinem Haupte
stehen, geliebte Josephine! nie über diesem Herzen, das so warm25
und so rein und so beständig ist! Lebe seelig, Gute!

R.

N. S. Ich bin vom Herzog v. Hildburghausen zum Lega-
tionsrath ernant worden.

309. An Jacobi.
30

Guter Heinrich! — — Nach dieſer Anrede war Herder auf eine
Minute bei mir. Welcher Zufal! Aber warum biſt du nicht bei mir
[248]mit deinen Briefen? Vergieb dieſen als ein Billet, das dich furchtſam
fragen ſol, warum biſt du ſo ſtil? Warum, mein Heinrich? — Es iſt
Schwäche, das fremde Schweigen aus eignen Fehlworten und Fehl-35
gedanken zu erklären; aber die Liebe iſt immer ſchwach, wenn ſie zu

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[226/0241] Dieses Blat geht mit dem Manuscripte des Titans nach Berlin. Ich kenne keinen grössern Schmerz als den mütterlichen über rohe Hände, die zerstörend und auslöschend über die zarten frisch-gemalten Bilder in jungen Kinder-Seelen fahren. Haben Sie die entschiedenste Standhaftigkeit! Aber verhehlen Sie jede, und 5 so jedes Übertreffen vor mänlichen Augen; und zeigen Sie mehr den tragenden Schmerz als den kämpfenden Unmuth! — Rechnen Sie auch noch darauf, daß Kinder mehr die lieben und achten, die moralisch und also unveränderlich handeln, als die, die ihnen schmeicheln aber unmoralisch und mithin launisch verfahren; sie 10 benüzen diese, aber sie befolgen und verehren jene. Die Kinder haben den zärtesten moralischen Sin; also sei unbesorgt, gute Mutter, und wo du die Lehre nicht geben darfst, da gieb das Muster — das ist weit almächtiger. — Drücken Sie die liebe Briefstellerin an Ihr Herz und sagen Sie 15 ihr, wie ich in ihr liebe die Hofnung der geliebten Mutter. Sein Sie recht heiter sowohl für die geliebte Kleine — Heiter- keit ist das Amulet für Kinder — als für sich; — um heiter zu sein, braucht man oft nur den Grundsaz nicht zu haben, daß man das Gegentheil sein wolle. — In der Zukunft und in der Vergangenheit 20 scheint uns jeder Schmerz zu gros, aber wenn er über uns schwebt, wird er gemildert und in Minuten aufgelöset, blutroth geht er wie der Mond auf und unter, aber über uns, sieht er wie dieser nur blas oder weis. O mög’ er nie, der Schmerz, über deinem Haupte stehen, geliebte Josephine! nie über diesem Herzen, das so warm 25 und so rein und so beständig ist! Lebe seelig, Gute! R. N. S. Ich bin vom Herzog v. Hildburghausen zum Lega- tionsrath ernant worden. 309. An Jacobi. Weimar d. 18 Aug. 1799. 30 Guter Heinrich! — — Nach dieſer Anrede war Herder auf eine Minute bei mir. Welcher Zufal! Aber warum biſt du nicht bei mir mit deinen Briefen? Vergieb dieſen als ein Billet, das dich furchtſam fragen ſol, warum biſt du ſo ſtil? Warum, mein Heinrich? — Es iſt Schwäche, das fremde Schweigen aus eignen Fehlworten und Fehl- 35 gedanken zu erklären; aber die Liebe iſt immer ſchwach, wenn ſie zu [248]

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/241>, abgerufen am 25.11.2024.