Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

[-- Warum hab ich noch kein eheliches Band zusammen gewoben
als weil ich dato auf 4 Wirkstühlen auf einmal size und heute da eine
oder 11/2 Elle fertig webe, morgen dort. --]

Deine Blätter über den Titan betreffend siehst du mich durch ein
Glas an, das von fremden Vorurtheilen angelaufen ist.5

[Da mich die Frikzionen der Veränderungen erziehen, fodere ich
Veränderungen von denen, die in keinen leben.]


[Lücke]wiewohl er den Reflex seiner Strahlen oft für meine hält.
In der grossen Welt veracht ich die Männer Siehe Beilage NN10
und ihre freudenlosen Freuden; aber ich achte die Weiber. Allein sie
ist mir nöthig, um den Geist der Zeit zu erforschen; auch bin ich in ihr
freier und selber erkanter als in der kleinstädtischen. (Was hab' ich
denn Hof namentlich in den Briefen gethan?) Übrigens sagt ich
gestern zu Herder: hab ich geheirathet, so kriech ich in ein Loch und15
stecke nur den Schreibfinger heraus. -- Ach ihr wisset nicht, wie mir
ist, aber ihr werdet es im Titan unter einem andern Namen einmal
erfahren. -- Von Wernleins ofnen herlichen Himmel hatte mir schon
Amöne erzählt; aber leider sonst nichts aus deinen Briefen. Mit meinen
gedrukten ist das boshafte Weimar doch zufrieden, sogar Goethe:20
sage du auch etwas darüber!

Geld wil ich gegen Michaelis zusammenmachen. -- Herders Meta-
kritik hab ich verliehen, du bekomst sie. -- Du hast etwas Wichtiges
vergessen: ob Roquairol Obrister wird oder nicht. --

Die Wiederholungen kommen vom öftern Umschreiben, wo ich nicht25
mehr behalten konte, ob ich etwas schon einmal geschrieben -- manche
sind scheinbare*) -- die andern sollen weg, wie alles Affektierte und
Geschmaklose. Das närrische coupierte, ankündigende Erzählen hab
ich mir leider von Tristram angewöhnt. Das Schlimste ist, daß ich
unter dem Machen immer selber mir die Vorwürfe machte, die du mir[228]30
machst. Ich werde dir oft folgen, aber nicht immer; du bist wie die
Weiber, zu sehr auf Geschichte aus und gegen das Komische auch von
zu zärtlichem Geschmak. Smollet lässet einen Nachtstuhl umrühren
-- denk' an Shakespear, Swift, Göthes Faust. Deine geistige Idiosyn-

*) z. B. zu sagen: er bricht sich einen Zweig vom Freiheitsbaum -- und ein35
Jahr darauf zu sagen: er legt eine Harzscharre daran an, ist keine Wiederholung.

[— Warum hab ich noch kein eheliches Band zuſammen gewoben
als weil ich dato auf 4 Wirkſtühlen auf einmal ſize und heute da eine
oder 1½ Elle fertig webe, morgen dort. —]

Deine Blätter über den Titan betreffend ſiehſt du mich durch ein
Glas an, das von fremden Vorurtheilen angelaufen iſt.5

[Da mich die Frikzionen der Veränderungen erziehen, fodere ich
Veränderungen von denen, die in keinen leben.]


[Lücke]wiewohl er den Reflex ſeiner Strahlen oft für meine hält.
In der groſſen Welt veracht ich die Männer 〈Siehe Beilage NN〉10
und ihre freudenloſen Freuden; aber ich achte die Weiber. Allein ſie
iſt mir nöthig, um den Geiſt der Zeit zu erforſchen; auch bin ich in ihr
freier und ſelber erkanter als in der kleinſtädtiſchen. (Was hab’ ich
denn Hof namentlich in den Briefen gethan?) Übrigens ſagt ich
geſtern zu Herder: hab ich geheirathet, ſo kriech ich in ein Loch und15
ſtecke nur den Schreibfinger heraus. — Ach ihr wiſſet nicht, wie mir
iſt, aber ihr werdet es im Titan unter einem andern Namen einmal
erfahren. — Von Wernleins ofnen herlichen Himmel hatte mir ſchon
Amöne erzählt; aber leider ſonſt nichts aus deinen Briefen. Mit meinen
gedrukten iſt das boshafte Weimar doch zufrieden, ſogar Goethe:20
ſage du auch etwas darüber!

Geld wil ich gegen Michaelis zuſammenmachen. — Herders Meta-
kritik hab ich verliehen, du bekomſt ſie. — Du haſt etwas Wichtiges
vergeſſen: ob Roquairol Obriſter wird oder nicht. —

Die Wiederholungen kommen vom öftern Umſchreiben, wo ich nicht25
mehr behalten konte, ob ich etwas ſchon einmal geſchrieben — manche
ſind ſcheinbare*) — die andern ſollen weg, wie alles Affektierte und
Geſchmakloſe. Das närriſche coupierte, ankündigende Erzählen hab
ich mir leider von Tristram angewöhnt. Das Schlimſte iſt, daß ich
unter dem Machen immer ſelber mir die Vorwürfe machte, die du mir[228]30
machſt. Ich werde dir oft folgen, aber nicht immer; du biſt wie die
Weiber, zu ſehr auf Geſchichte aus und gegen das Komiſche auch von
zu zärtlichem Geſchmak. Smollet läſſet einen Nachtſtuhl umrühren
— denk’ an Shakeſpear, Swift, Göthes Fauſt. Deine geiſtige Idioſyn-

*) z. B. zu ſagen: er bricht ſich einen Zweig vom Freiheitsbaum — und ein35
Jahr darauf zu ſagen: er legt eine Harzſcharre daran an, iſt keine Wiederholung.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0222" n="207"/>
        <p>[&#x2014; Warum hab ich noch kein eheliches Band zu&#x017F;ammen gewoben<lb/>
als weil ich <hi rendition="#aq">dato</hi> auf 4 Wirk&#x017F;tühlen auf einmal &#x017F;ize und heute da eine<lb/>
oder 1½ Elle fertig webe, morgen dort. &#x2014;]</p><lb/>
        <p>Deine Blätter über den <hi rendition="#aq">Titan</hi> betreffend &#x017F;ieh&#x017F;t du mich durch ein<lb/>
Glas an, das von fremden Vorurtheilen angelaufen i&#x017F;t.<lb n="5"/>
</p><lb/>
        <p>[Da mich die Frikzionen der Veränderungen erziehen, fodere ich<lb/>
Veränderungen von denen, die in keinen leben.]</p><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 28 Jun.</hi> </dateline><lb/>
          <p><note type="editorial">[<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Lücke</hi></hi>]</note>wiewohl er den Reflex &#x017F;einer Strahlen oft für meine hält.<lb/>
In der gro&#x017F;&#x017F;en Welt veracht ich die Männer &#x2329;Siehe Beilage NN&#x232A;<lb n="10"/>
und ihre freudenlo&#x017F;en Freuden; aber ich achte die Weiber. Allein &#x017F;ie<lb/>
i&#x017F;t mir nöthig, um den Gei&#x017F;t der Zeit zu erfor&#x017F;chen; auch bin ich in ihr<lb/>
freier und &#x017F;elber erkanter als in der klein&#x017F;tädti&#x017F;chen. (Was hab&#x2019; ich<lb/>
denn Hof <hi rendition="#g">namentlich</hi> in den Briefen gethan?) Übrigens &#x017F;agt ich<lb/>
ge&#x017F;tern zu <hi rendition="#aq">Herder:</hi> hab ich geheirathet, &#x017F;o kriech ich in ein Loch und<lb n="15"/>
&#x017F;tecke nur den Schreibfinger heraus. &#x2014; Ach ihr wi&#x017F;&#x017F;et nicht, wie mir<lb/>
i&#x017F;t, aber ihr werdet es im Titan unter einem andern Namen einmal<lb/>
erfahren. &#x2014; Von Wernleins ofnen herlichen Himmel hatte mir &#x017F;chon<lb/>
Amöne erzählt; aber leider &#x017F;on&#x017F;t nichts aus deinen Briefen. Mit meinen<lb/>
gedrukten i&#x017F;t das boshafte <hi rendition="#aq">Weimar</hi> doch zufrieden, &#x017F;ogar <hi rendition="#aq">Goethe:</hi><lb n="20"/>
&#x017F;age du auch etwas darüber!</p><lb/>
          <p>Geld wil ich gegen Michaelis zu&#x017F;ammenmachen. &#x2014; <hi rendition="#aq">Herders</hi> Meta-<lb/>
kritik hab ich verliehen, du bekom&#x017F;t &#x017F;ie. &#x2014; Du ha&#x017F;t etwas Wichtiges<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en: ob Roquairol Obri&#x017F;ter wird oder nicht. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die Wiederholungen kommen vom öftern Um&#x017F;chreiben, wo ich nicht<lb n="25"/>
mehr behalten konte, ob ich etwas &#x017F;chon einmal ge&#x017F;chrieben &#x2014; manche<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;cheinbare<note place="foot" n="*)">z. B. zu &#x017F;agen: er bricht &#x017F;ich einen Zweig vom Freiheitsbaum &#x2014; und ein<lb n="35"/>
Jahr darauf zu &#x017F;agen: er legt eine Harz&#x017F;charre daran an, i&#x017F;t keine Wiederholung.</note> &#x2014; die andern &#x017F;ollen weg, wie alles Affektierte und<lb/>
Ge&#x017F;chmaklo&#x017F;e. Das närri&#x017F;che coupierte, ankündigende Erzählen hab<lb/>
ich mir leider von <hi rendition="#aq">Tristram</hi> angewöhnt. Das Schlim&#x017F;te i&#x017F;t, daß ich<lb/>
unter dem Machen immer &#x017F;elber mir die Vorwürfe machte, die du mir<note place="right"><ref target="1922_Bd3_228">[228]</ref></note><lb n="30"/>
mach&#x017F;t. Ich werde dir <hi rendition="#g">oft</hi> folgen, aber nicht immer; du bi&#x017F;t wie die<lb/>
Weiber, zu &#x017F;ehr auf Ge&#x017F;chichte aus und gegen das Komi&#x017F;che auch von<lb/>
zu zärtlichem Ge&#x017F;chmak. Smollet lä&#x017F;&#x017F;et einen Nacht&#x017F;tuhl umrühren<lb/>
&#x2014; denk&#x2019; an Shake&#x017F;pear, Swift, Göthes Fau&#x017F;t. Deine gei&#x017F;tige Idio&#x017F;yn-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0222] [— Warum hab ich noch kein eheliches Band zuſammen gewoben als weil ich dato auf 4 Wirkſtühlen auf einmal ſize und heute da eine oder 1½ Elle fertig webe, morgen dort. —] Deine Blätter über den Titan betreffend ſiehſt du mich durch ein Glas an, das von fremden Vorurtheilen angelaufen iſt. 5 [Da mich die Frikzionen der Veränderungen erziehen, fodere ich Veränderungen von denen, die in keinen leben.] d. 28 Jun. wiewohl er den Reflex ſeiner Strahlen oft für meine hält. In der groſſen Welt veracht ich die Männer 〈Siehe Beilage NN〉 10 und ihre freudenloſen Freuden; aber ich achte die Weiber. Allein ſie iſt mir nöthig, um den Geiſt der Zeit zu erforſchen; auch bin ich in ihr freier und ſelber erkanter als in der kleinſtädtiſchen. (Was hab’ ich denn Hof namentlich in den Briefen gethan?) Übrigens ſagt ich geſtern zu Herder: hab ich geheirathet, ſo kriech ich in ein Loch und 15 ſtecke nur den Schreibfinger heraus. — Ach ihr wiſſet nicht, wie mir iſt, aber ihr werdet es im Titan unter einem andern Namen einmal erfahren. — Von Wernleins ofnen herlichen Himmel hatte mir ſchon Amöne erzählt; aber leider ſonſt nichts aus deinen Briefen. Mit meinen gedrukten iſt das boshafte Weimar doch zufrieden, ſogar Goethe: 20 ſage du auch etwas darüber! Geld wil ich gegen Michaelis zuſammenmachen. — Herders Meta- kritik hab ich verliehen, du bekomſt ſie. — Du haſt etwas Wichtiges vergeſſen: ob Roquairol Obriſter wird oder nicht. — Die Wiederholungen kommen vom öftern Umſchreiben, wo ich nicht 25 mehr behalten konte, ob ich etwas ſchon einmal geſchrieben — manche ſind ſcheinbare *) — die andern ſollen weg, wie alles Affektierte und Geſchmakloſe. Das närriſche coupierte, ankündigende Erzählen hab ich mir leider von Tristram angewöhnt. Das Schlimſte iſt, daß ich unter dem Machen immer ſelber mir die Vorwürfe machte, die du mir 30 machſt. Ich werde dir oft folgen, aber nicht immer; du biſt wie die Weiber, zu ſehr auf Geſchichte aus und gegen das Komiſche auch von zu zärtlichem Geſchmak. Smollet läſſet einen Nachtſtuhl umrühren — denk’ an Shakeſpear, Swift, Göthes Fauſt. Deine geiſtige Idioſyn- [228] *) z. B. zu ſagen: er bricht ſich einen Zweig vom Freiheitsbaum — und ein 35 Jahr darauf zu ſagen: er legt eine Harzſcharre daran an, iſt keine Wiederholung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/222
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/222>, abgerufen am 25.11.2024.