Den 27ten Febr. erhielt ich deinen. Jezt nach der Reihe.
Über Feind irrest du ganz; eben das Gegentheil must du aus seiner Verweigerung schliessen. Wenn der Titan 5 Ld. komt: so kan ein5 kleineres Stiefkind nicht auch soviel fodern. Auch war weiter Druk be- [177]stimt. -- Die Titanide nimt Amöne desto lieber auf, da jezt ihr Man vom Herzog v. Zweibrücken nach München zum Avancement berufen worden. Sie müste aber mit ihr auf ihr Landgut Kalbsrieth (8 Stunden von hier) in eine kleine aber reizende Einsamkeit. Die Fürstin Karolath,10 zu der sie könte, taugt nichts, ist koket etc., der Fürst dum; die ganze Lage gefährlich -- in 8 Tagen käm' er mit seiner ars amandi, nach der jezt algemeinen Frechheit. -- Oertels Frau war über Briefe schon eifersüchtig; also über die Briefstellerin noch leichter: sonst wär' es die weichste Stelle. -- An die arme Karoline denkt kein Mensch. --15 Sag' es einstweilen Amönen, und das noch, ich hätte in meinem Lezten auf diese Einladung der Tit[anide] eben angespielt. -- Den alten Herold, den ich Swift immer ähnlicher finde, hab' ich seit einiger Zeit lieber; nur die Satans-Doublette neben ihm versäuert ihn. -- Apropos ich logiere wieder bei dir, wenn du kanst; sag aber doch der20 einladenden Amöne, daß ichs gethan hätte, wären nichts als Schwestern im Haus. Aber 3 Tage wil ich ernstlich drunten hausen. -- Wie hätt' ich dem dum-listigen Hölzel etwas geben können? Ich bin ohnehin den Schwarzenbachern, Höfern, Erlangern etc. herzlich gram. Du sagst, ich sol mein Leben schonen. Oft wolt' ich, ich hätte es nicht mehr. Es25 wird mir täglich -- eben weil alles ausser mir gelingt -- abgeschabter; eine Frau wäre noch der einzige Firnis. Zuweilen ergrimm ich über meine von allen meinen Verhältnissen ermordete Vergangenheit, über die bewölkte Jugendwelt, die mir die Spizbuben um mich verdorben und die mir kein Gott wiedergeben kan. Ach welchen Samen zu einem30 Paradies trug ich in meinem Herz und wie wenig liessen mir die Raub- vögel. Oft ärger' ich mich komisch, daß mir allein das Schiksal kein Präsent macht; hart und kämpfend erober' ich mir meinen Bissen -- an einen Glükszufal ist nicht zu denken. -- Retifs neue Werke kenst du wahrscheinlich nicht; sonst lobtest du ihn mehr. -- Das Liebste in35 deinem Brief war mir dein Kaufplan eines Mittelspiz. -- Am wenigsten gefält und nüzt mir dein neues Rezensier-Summarissimum.
217. An Chriſtian Otto.
Ziemlich eilig wie du.
W[eimar] d. 1. März 99.
Den 27ten Febr. erhielt ich deinen. Jezt nach der Reihe.
Über Feind irreſt du ganz; eben das Gegentheil muſt du aus ſeiner Verweigerung ſchlieſſen. Wenn der Titan 5 Ld. komt: ſo kan ein5 kleineres Stiefkind nicht auch ſoviel fodern. Auch war weiter Druk be- [177]ſtimt. — Die Titanide nimt Amöne deſto lieber auf, da jezt ihr Man vom Herzog v. Zweibrücken nach München zum Avancement berufen worden. Sie müſte aber mit ihr auf ihr Landgut Kalbsrieth (8 Stunden von hier) in eine kleine aber reizende Einſamkeit. Die Fürſtin Karolath,10 zu der ſie könte, taugt nichts, iſt koket ꝛc., der Fürſt dum; die ganze Lage gefährlich — in 8 Tagen käm’ er mit ſeiner ars amandi, nach der jezt algemeinen Frechheit. — Oertels Frau war über Briefe ſchon eiferſüchtig; alſo über die Briefſtellerin noch leichter: ſonſt wär’ es die weichſte Stelle. — An die arme Karoline denkt kein Menſch. —15 Sag’ es einſtweilen Amönen, und das noch, ich hätte in meinem Lezten auf dieſe Einladung der Tit[anide] eben angeſpielt. — Den alten Herold, den ich Swift immer ähnlicher finde, hab’ ich ſeit einiger Zeit lieber; nur die Satans-Doublette neben ihm verſäuert ihn. — Apropos ich logiere wieder bei dir, wenn du kanſt; ſag aber doch der20 einladenden Amöne, daß ichs gethan hätte, wären nichts als Schweſtern im Haus. Aber 3 Tage wil ich ernſtlich drunten hauſen. — Wie hätt’ ich dem dum-liſtigen Hölzel etwas geben können? Ich bin ohnehin den Schwarzenbachern, Höfern, Erlangern ꝛc. herzlich gram. Du ſagſt, ich ſol mein Leben ſchonen. Oft wolt’ ich, ich hätte es nicht mehr. Es25 wird mir täglich — eben weil alles auſſer mir gelingt — abgeſchabter; eine Frau wäre noch der einzige Firnis. Zuweilen ergrimm ich über meine von allen meinen Verhältniſſen ermordete Vergangenheit, über die bewölkte Jugendwelt, die mir die Spizbuben um mich verdorben und die mir kein Gott wiedergeben kan. Ach welchen Samen zu einem30 Paradies trug ich in meinem Herz und wie wenig lieſſen mir die Raub- vögel. Oft ärger’ ich mich komiſch, daß mir allein das Schikſal kein Präſent macht; hart und kämpfend erober’ ich mir meinen Biſſen — an einen Glükszufal iſt nicht zu denken. — Retifs neue Werke kenſt du wahrſcheinlich nicht; ſonſt lobteſt du ihn mehr. — Das Liebſte in35 deinem Brief war mir dein Kaufplan eines Mittelſpiz. — Am wenigſten gefält und nüzt mir dein neues Rezenſier-Summarissimum.
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Den 27ten Febr. erhielt ich deinen. Jezt nach der Reihe.
Über Feind irreſt du ganz; eben das Gegentheil muſt du aus ſeiner
Verweigerung ſchlieſſen. Wenn der Titan 5 Ld. komt: ſo kan ein 5
kleineres Stiefkind nicht auch ſoviel fodern. Auch war weiter Druk be-
ſtimt. — Die Titanide nimt Amöne deſto lieber auf, da jezt ihr Man
vom Herzog v. Zweibrücken nach München zum Avancement berufen
worden. Sie müſte aber mit ihr auf ihr Landgut Kalbsrieth (8 Stunden
von hier) in eine kleine aber reizende Einſamkeit. Die Fürſtin Karolath, 10
zu der ſie könte, taugt nichts, iſt koket ꝛc., der Fürſt dum; die ganze
Lage gefährlich — in 8 Tagen käm’ er mit ſeiner ars amandi, nach der
jezt algemeinen Frechheit. — Oertels Frau war über Briefe ſchon
eiferſüchtig; alſo über die Briefſtellerin noch leichter: ſonſt wär’ es
die weichſte Stelle. — An die arme Karoline denkt kein Menſch. — 15
Sag’ es einſtweilen Amönen, und das noch, ich hätte in meinem
Lezten auf dieſe Einladung der Tit[anide] eben angeſpielt. — Den
alten Herold, den ich Swift immer ähnlicher finde, hab’ ich ſeit einiger
Zeit lieber; nur die Satans-Doublette neben ihm verſäuert ihn. —
Apropos ich logiere wieder bei dir, wenn du kanſt; ſag aber doch der 20
einladenden Amöne, daß ichs gethan hätte, wären nichts als Schweſtern
im Haus. Aber 3 Tage wil ich ernſtlich drunten hauſen. — Wie hätt’
ich dem dum-liſtigen Hölzel etwas geben können? Ich bin ohnehin den
Schwarzenbachern, Höfern, Erlangern ꝛc. herzlich gram. Du ſagſt, ich
ſol mein Leben ſchonen. Oft wolt’ ich, ich hätte es nicht mehr. Es 25
wird mir täglich — eben weil alles auſſer mir gelingt — abgeſchabter;
eine Frau wäre noch der einzige Firnis. Zuweilen ergrimm ich über
meine von allen meinen Verhältniſſen ermordete Vergangenheit, über
die bewölkte Jugendwelt, die mir die Spizbuben um mich verdorben
und die mir kein Gott wiedergeben kan. Ach welchen Samen zu einem 30
Paradies trug ich in meinem Herz und wie wenig lieſſen mir die Raub-
vögel. Oft ärger’ ich mich komiſch, daß mir allein das Schikſal kein
Präſent macht; hart und kämpfend erober’ ich mir meinen Biſſen —
an einen Glükszufal iſt nicht zu denken. — Retifs neue Werke kenſt du
wahrſcheinlich nicht; ſonſt lobteſt du ihn mehr. — Das Liebſte in 35
deinem Brief war mir dein Kaufplan eines Mittelſpiz. — Am
wenigſten gefält und nüzt mir dein neues Rezenſier-Summarissimum.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/170>, abgerufen am 22.11.2024.
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