[168]Wie sehr meine Weltkentnisse und Einsichten in Weimar zunehmen ist nicht zu sagen, aber zu beweisen durch Thaten (opera).
Schiller -- der ganz den Sprachton Wernleins und in der Ferne sogar dessen Physiognomie hat, die nur in der Nähe wieder sich wie beide unterscheidet -- nähert sich sehr der Titanide und sagte schon5 3 mal zu ihr: wir müssen mit einander nach Paris. (Hier ist alles revoluzionnär-kühn und Gattinnen gelten nichts. Wieland nimt im Frühling, um aufzuleben, seine erste Geliebte, die La Roche ins Haus und die Titanide stelte seiner Frau den Nuzen vor) Schiller achtet unendlich den fürchterlichen Retif de la Bretonne, wovon du etwas10 gelesen und der das höllisch- und himlisch-geschriebne Buch le coeur humain devoile gemacht; und wil ihn zu sehen hin. Humbold aus Paris schrieb ihm, dieser Gott-Teufel sehe wie -- ich; und Sch., der mich ganz gelesen, findet unter uns nur den Unterschied der Erziehung; und darum sucht und liebt er mich jezt. Ich habe alles von der Titanide.15 Indessen merk' ich von jenem Suchen nichts.
Ach du erfährst überal nur weil keine Zeit da ist. Aber im Lenz! -- Frühling sag ich ungern, weil das Wort mehr Zeit wegnimt.
So viel ist gewis, eine geistigere und grössere Revoluzion als die politische, und nur eben so mörderisch wie diese, schlägt im Herz der20 Welt. Daher ist das Amt eines Schriftstellers, der ein anderes Herz hat, jezt so nöthig und braucht so viel Behutsamkeit. Ich nehme in meine Brust keine Veränderungen auf, aber desto mehr in mein Gehirn; nur dieses hat in Weimar Irthümer abzulegen.
d. 2 Febr.25
Ich sende dir das 1/3 meines Buchs *), die Konjektural-Autobio- graphie **). Solte dir etwas dich betreffendes misfallen: so streich' es weg, wiewohl ich hoffe, du bist eben so kühn als ich. Du schikst es samt [169]dem Briefgen nach 10, 12 Tagen a dato des Empfangs an den Buch- händler Heinsius in Gera, ders splendid drucken wil. Mit Feind30 brach ich um den 1/2 Ld'or oder vielme[h]r, er, weil ichs nicht that, den er von 31/2 gefoderten abhandeln wolte. Ich habe alzeit gut gegen
*) Die andern 1/3 sind kräftiger, wechselnder und lustiger: Hof wirst du in Kuhschnappel finden.
**) Hätt' ich irgend etwas schon anderswo gesagt, so streichs weg.35
[168]Wie ſehr meine Weltkentniſſe und Einſichten in Weimar zunehmen iſt nicht zu ſagen, aber zu beweiſen durch Thaten (opera).
Schiller — der ganz den Sprachton Wernleins und in der Ferne ſogar deſſen Phyſiognomie hat, die nur in der Nähe wieder ſich wie beide unterſcheidet — nähert ſich ſehr der Titanide und ſagte ſchon5 3 mal zu ihr: wir müſſen mit einander nach Paris. (Hier iſt alles revoluzionnär-kühn und Gattinnen gelten nichts. Wieland nimt im Frühling, um aufzuleben, ſeine erſte Geliebte, die La Roche ins Haus und die Titanide ſtelte ſeiner Frau den Nuzen vor) Schiller achtet unendlich den fürchterlichen Retif de la Bretonne, wovon du etwas10 geleſen und der das hölliſch- und himliſch-geſchriebne Buch le coeur humain devoilé gemacht; und wil ihn zu ſehen hin. Humbold aus Paris ſchrieb ihm, dieſer Gott-Teufel ſehe wie — ich; und Sch., der mich ganz geleſen, findet unter uns nur den Unterſchied der Erziehung; und darum ſucht und liebt er mich jezt. Ich habe alles von der Titanide.15 Indeſſen merk’ ich von jenem Suchen nichts.
Ach du erfährſt überal nur weil keine Zeit da iſt. Aber im Lenz! — Frühling ſag ich ungern, weil das Wort mehr Zeit wegnimt.
So viel iſt gewis, eine geiſtigere und gröſſere Revoluzion als die politiſche, und nur eben ſo mörderiſch wie dieſe, ſchlägt im Herz der20 Welt. Daher iſt das Amt eines Schriftſtellers, der ein anderes Herz hat, jezt ſo nöthig und braucht ſo viel Behutſamkeit. Ich nehme in meine Bruſt keine Veränderungen auf, aber deſto mehr in mein Gehirn; nur dieſes hat in Weimar Irthümer abzulegen.
d. 2 Febr.25
Ich ſende dir das ⅓ meines Buchs *), die Konjektural-Autobio- graphie **). Solte dir etwas dich betreffendes misfallen: ſo ſtreich’ es weg, wiewohl ich hoffe, du biſt eben ſo kühn als ich. Du ſchikſt es ſamt [169]dem Briefgen nach 10, 12 Tagen a dato des Empfangs an den Buch- händler Heinsius in Gera, ders ſplendid drucken wil. Mit Feind30 brach ich um den ½ Ld’or 〈oder vielme[h]r, er, weil ichs nicht that〉, den er von 3½ gefoderten abhandeln wolte. Ich habe alzeit gut gegen
*) Die andern ⅓ ſind kräftiger, wechſelnder und luſtiger: Hof wirſt du in Kuhschnappel finden.
**) Hätt’ ich irgend etwas ſchon anderswo geſagt, ſo ſtreichs weg.35
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Wie ſehr meine Weltkentniſſe und Einſichten in Weimar zunehmen
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Schiller — der ganz den Sprachton Wernleins und in der Ferne
ſogar deſſen Phyſiognomie hat, die nur in der Nähe wieder ſich wie
beide unterſcheidet — nähert ſich ſehr der Titanide und ſagte ſchon 5
3 mal zu ihr: wir müſſen mit einander nach Paris. (Hier iſt alles
revoluzionnär-kühn und Gattinnen gelten nichts. Wieland nimt im
Frühling, um aufzuleben, ſeine erſte Geliebte, die La Roche ins Haus
und die Titanide ſtelte ſeiner Frau den Nuzen vor) Schiller achtet
unendlich den fürchterlichen Retif de la Bretonne, wovon du etwas 10
geleſen und der das hölliſch- und himliſch-geſchriebne Buch le coeur
humain devoilé gemacht; und wil ihn zu ſehen hin. Humbold aus
Paris ſchrieb ihm, dieſer Gott-Teufel ſehe wie — ich; und Sch., der
mich ganz geleſen, findet unter uns nur den Unterſchied der Erziehung;
und darum ſucht und liebt er mich jezt. Ich habe alles von der Titanide. 15
Indeſſen merk’ ich von jenem Suchen nichts.
Ach du erfährſt überal nur [FORMEL] weil keine Zeit da iſt. Aber im Lenz!
— Frühling ſag ich ungern, weil das Wort mehr Zeit wegnimt.
So viel iſt gewis, eine geiſtigere und gröſſere Revoluzion als die
politiſche, und nur eben ſo mörderiſch wie dieſe, ſchlägt im Herz der 20
Welt. Daher iſt das Amt eines Schriftſtellers, der ein anderes Herz
hat, jezt ſo nöthig und braucht ſo viel Behutſamkeit. Ich nehme in
meine Bruſt keine Veränderungen auf, aber deſto mehr in mein
Gehirn; nur dieſes hat in Weimar Irthümer abzulegen.
d. 2 Febr. 25
Ich ſende dir das ⅓ meines Buchs *), die Konjektural-Autobio-
graphie **). Solte dir etwas dich betreffendes misfallen: ſo ſtreich’ es
weg, wiewohl ich hoffe, du biſt eben ſo kühn als ich. Du ſchikſt es ſamt
dem Briefgen nach 10, 12 Tagen a dato des Empfangs an den Buch-
händler Heinsius in Gera, ders ſplendid drucken wil. Mit Feind 30
brach ich um den ½ Ld’or 〈oder vielme[h]r, er, weil ichs nicht that〉,
den er von 3½ gefoderten abhandeln wolte. Ich habe alzeit gut gegen
[169]
*) Die andern ⅓ ſind kräftiger, wechſelnder und luſtiger: Hof wirſt du in
Kuhschnappel finden.
**) Hätt’ ich irgend etwas ſchon anderswo geſagt, ſo ſtreichs weg. 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/162>, abgerufen am 27.07.2024.
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