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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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Frühling säh ich bei dir dein Werk mit Brillen und Mikroskopen durch
u. s. f. -- Sei vernünftig!

Lies Adele de Senange und den diable amoureux; zumal jene her-
liche.

Ich hatte seit 3 Tagen -- gerade nach dem Ende meines Buchs,5
wo ich meinen Tod *) beschrieb -- troz der Muskulargesundheit starken[167]35
Nervenschwindel; [ich] habe mich geheilt. Es kam vom Wetterglas
-- Arbeiten -- Weintrinken und Disputieren abends. Noch in keinem
Jahr strit und trank ich so viel. Mit Schiller neulich bis um 12 Uhr
Nachts; und mit ihm und Göthe bei der Kalb. Ich bin jezt keker als10
je, blos durch das Errathen des fremden Haltens von mir, nicht durch
mein eignes. Göthen sagt ich etwas über das hiesige Tragische, **)
worüber er empfindlich 1/4 Stunde den Teller drehte (ich hatte Cham-
pagner und einen Vulkan im Kopf) Aber Wieland -- der wieder da
war und dessen Gegenwart mich durch das Simultaneum der Einladung15
alzeit aufzehrt -- sagte, "so wärs recht und ich gew[änne] ihn da-
"durch -- wir w[ürden] noch die besten Freunde -- [er] hat mit
"Respekt von [mir] gesprochen." Als ich [zu] einem Diner bei Göthe
geladen war Schiller zu Ehren, nebst Herder und andern, der ihm aber
nicht ein Ölblat, geschweige einen Oelzweig des Friedens, den Göthe20
gern schlösse, reichte -- wurd' ich und Herder zu Göthes Einfassung
gemacht, ich der linke Rahmen und er der rechte; hier sagte mir Göthe,
der nur almählig warm werden wil -- so ist er gegen Schiller so kalt
wie gegen jeden --: "er habe seinen Werther 10 Jahre nach dessen
"Schöpfung nicht gelesen; und so alles: wer wird sich gern eines25
"vorübergegangnen Affekts, des Zorns, der Liebe etc. erinnern?" Und
so ekelt Herder auch vor seinen Werken. So etwas solte [den] Selbst-
Gözendienern von Litteratoren und Rektoren gesagt werden, damit sie,
wenn solche Männer demüthig sind, wenigstens -- nichts wären. Ich
schämte mich vor ihnen, nicht so zu sein, sagte ihnen aber auch, daß30
mir meine Sachen zwar sogleich nach dem Abdruk ungemein gefielen
-- ich kente keine bessere Lektüre --, aber auch vor demselben desto
schlechter, weil ich da das Ideal noch nicht vergessen hätte.

*) In Karolinens Brief sagt' ich einen andern Tag; aber Chronologen, die
[mic]h hier vereinigen wollen, dürfen [nu]r bedenken, daß ich vieles 2mal mache.
**) Böttiger, alles lobend, lobte mich auch darüber, "wir denken alle dasselbe,
aber es hats ihm noch keiner gesagt".

Frühling ſäh ich bei dir dein Werk mit Brillen und Mikroſkopen durch
u. ſ. f. — Sei vernünftig!

Lies Adele de Senange und den diable amoureux; zumal jene her-
liche.

Ich hatte ſeit 3 Tagen — gerade nach dem Ende meines Buchs,5
wo ich meinen Tod *) beſchrieb — troz der Muſkulargeſundheit ſtarken[167]35
Nervenſchwindel; [ich] habe mich geheilt. Es kam vom Wetterglas
— Arbeiten — Weintrinken und Diſputieren abends. Noch in keinem
Jahr ſtrit und trank ich ſo viel. Mit Schiller neulich bis um 12 Uhr
Nachts; und mit ihm und Göthe bei der Kalb. Ich bin jezt keker als10
je, blos durch das Errathen des fremden Haltens von mir, nicht durch
mein eignes. Göthen ſagt ich etwas über das hieſige Tragiſche, **)
worüber er empfindlich ¼ Stunde den Teller drehte (ich hatte Cham-
pagner und einen Vulkan im Kopf) Aber Wieland — der wieder da
war und deſſen Gegenwart mich durch das Simultaneum der Einladung15
alzeit aufzehrt — ſagte, „ſo wärs recht und ich gew[änne] ihn da-
„durch — wir w[ürden] noch die beſten Freunde — [er] hat mit
„Reſpekt von [mir] geſprochen.“ Als ich [zu] einem Diner bei Göthe
geladen war Schiller zu Ehren, nebſt Herder und andern, der ihm aber
nicht ein Ölblat, geſchweige einen Oelzweig des Friedens, den Göthe20
gern ſchlöſſe, reichte — wurd’ ich und Herder zu Göthes Einfaſſung
gemacht, ich der linke Rahmen und er der rechte; hier ſagte mir Göthe,
der nur almählig warm werden wil — ſo iſt er gegen Schiller ſo kalt
wie gegen jeden —: „er habe ſeinen Werther 10 Jahre nach deſſen
„Schöpfung nicht geleſen; und ſo alles: wer wird ſich gern eines25
„vorübergegangnen Affekts, des Zorns, der Liebe ꝛc. erinnern?“ Und
ſo ekelt Herder auch vor ſeinen Werken. So etwas ſolte [den] Selbſt-
Gözendienern von Litteratoren und Rektoren geſagt werden, damit ſie,
wenn ſolche Männer demüthig ſind, wenigſtens — nichts wären. Ich
ſchämte mich vor ihnen, nicht ſo zu ſein, ſagte ihnen aber auch, daß30
mir meine Sachen zwar ſogleich nach dem Abdruk ungemein gefielen
— ich kente keine beſſere Lektüre —, aber auch vor demſelben deſto
ſchlechter, weil ich da das Ideal noch nicht vergeſſen hätte.

*) In Karolinens Brief ſagt’ ich einen andern Tag; aber Chronologen, die
[mic]h hier vereinigen wollen, dürfen [nu]r bedenken, daß ich vieles 2mal mache.
**) Böttiger, alles lobend, lobte mich auch darüber, „wir denken alle daſſelbe,
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[151/0161] Frühling ſäh ich bei dir dein Werk mit Brillen und Mikroſkopen durch u. ſ. f. — Sei vernünftig! Lies Adele de Senange und den diable amoureux; zumal jene her- liche. Ich hatte ſeit 3 Tagen — gerade nach dem Ende meines Buchs, 5 wo ich meinen Tod *) beſchrieb — troz der Muſkulargeſundheit ſtarken 35 Nervenſchwindel; [ich] habe mich geheilt. Es kam vom Wetterglas — Arbeiten — Weintrinken und Diſputieren abends. Noch in keinem Jahr ſtrit und trank ich ſo viel. Mit Schiller neulich bis um 12 Uhr Nachts; und mit ihm und Göthe bei der Kalb. Ich bin jezt keker als 10 je, blos durch das Errathen des fremden Haltens von mir, nicht durch mein eignes. Göthen ſagt ich etwas über das hieſige Tragiſche, **) worüber er empfindlich ¼ Stunde den Teller drehte (ich hatte Cham- pagner und einen Vulkan im Kopf) Aber Wieland — der wieder da war und deſſen Gegenwart mich durch das Simultaneum der Einladung 15 alzeit aufzehrt — ſagte, „ſo wärs recht und ich gew[änne] ihn da- „durch — wir w[ürden] noch die beſten Freunde — [er] hat mit „Reſpekt von [mir] geſprochen.“ Als ich [zu] einem Diner bei Göthe geladen war Schiller zu Ehren, nebſt Herder und andern, der ihm aber nicht ein Ölblat, geſchweige einen Oelzweig des Friedens, den Göthe 20 gern ſchlöſſe, reichte — wurd’ ich und Herder zu Göthes Einfaſſung gemacht, ich der linke Rahmen und er der rechte; hier ſagte mir Göthe, der nur almählig warm werden wil — ſo iſt er gegen Schiller ſo kalt wie gegen jeden —: „er habe ſeinen Werther 10 Jahre nach deſſen „Schöpfung nicht geleſen; und ſo alles: wer wird ſich gern eines 25 „vorübergegangnen Affekts, des Zorns, der Liebe ꝛc. erinnern?“ Und ſo ekelt Herder auch vor ſeinen Werken. So etwas ſolte [den] Selbſt- Gözendienern von Litteratoren und Rektoren geſagt werden, damit ſie, wenn ſolche Männer demüthig ſind, wenigſtens — nichts wären. Ich ſchämte mich vor ihnen, nicht ſo zu ſein, ſagte ihnen aber auch, daß 30 mir meine Sachen zwar ſogleich nach dem Abdruk ungemein gefielen — ich kente keine beſſere Lektüre —, aber auch vor demſelben deſto ſchlechter, weil ich da das Ideal noch nicht vergeſſen hätte. [167] *) In Karolinens Brief ſagt’ ich einen andern Tag; aber Chronologen, die [mic]h hier vereinigen wollen, dürfen [nu]r bedenken, daß ich vieles 2mal mache. **) Böttiger, alles lobend, lobte mich auch darüber, „wir denken alle daſſelbe, aber es hats ihm noch keiner geſagt“.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/161>, abgerufen am 25.11.2024.