Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

Bl. 10a) "diese gleichsam selbst sind" Diese dunkeln Worte sind
entweder Kants Meinung (wie der Beisaz "in den Regeln des
Verstandes" bestätigt) oder sie können nicht gelten, da die Mathe-
matik eine grössere Nothwendigkeit hat als die Erfahrung ver-
leiht, weil jene ihre Beweise nie aus dieser führt, sondern umgekehrt5
aus ihren Beweisen auf diese schliesset (Bl. 89 sagen Sie dasselbe),
z. B. daß die Hyperbel und Assymptote einander nie berühren,
welches in der Konstrukzion nicht darzustellen ist.

b) Eben daß die Wirkung die Ursache voraussezt, ist die Noth-
wendigkeit der Synthese; denn troz der innigen Verbindung ist10
doch die Ursache etwas anders als die Wirkung, das Wirkende
etwas anders als das Gewirkte, so wie früher.

11a) Gegen diesen Absaz werden viele Neins aufstehen oder gar Er-[133]
weise, daß die kant. Meinung mit andern Worten behauptet werde.

12a) An der Erfahrung werden die Vernunfts-Synthesen angewandt,15
geübt, bewust; aber nicht durch sie gegeben -- wird man sagen.

17a) Im kritischen System, das die ganze Sinnenwelt zum Geschöpf
der Kategorien und der Anschauung a priori macht und das den
Raum in uns sezt, und mithin die ihn bewohnende Sinnenwelt
auch, ist der widerlegte Saz konsequent.20

19a) Der Elephant ist der Stunden- und die Ephemere der Terzien-
weiser; aber wenn in einer Stunde der eine Weiser 1 mal, der
andere 60 mal herumgeht: so ists doch nur Eine Stunde, nur Eine
Zeit, obwohl in feinern oder gröbern Abschnitten; das Grössere
misset hier das Kleinere, das Jahrtausend alle Lebenszeiten.25

b) Fält das Veränderliche ausser uns weg: so müssen wir doch
eine Zeit denken, weil wir eines in uns zu zählen haben. Aber
gegen Kant ist der Saz nicht.

30a) Es scheint doch als wenn das Bewustsein des Ichs unmittelbar
mit dem Bewustsein des Nicht-Ichs sich verbände und beide ein-30
ander wechselseitig voraussezten. Zum Unterschiede des Andern
gehört schon der des Ichs.

37a) Hier fehlt das Wort "fremd". Einigemal fand ich nicht alles
ausgestrichen was es sein solte.

44. 45. Vol der scharfsinnigsten Bemerkungen. Besonders die auf der35
46ten S. über Analogie; so wie alle Ihre positiven Stellen
gleichsam bowling-greens im Sande der Palästra.

Bl. 10̅a) „dieſe gleichſam ſelbſt ſind“ Dieſe dunkeln Worte ſind
entweder Kants Meinung (wie der Beiſaz „in den Regeln des
Verſtandes“ beſtätigt) oder ſie können nicht gelten, da die Mathe-
matik eine gröſſere Nothwendigkeit hat als die Erfahrung ver-
leiht, weil jene ihre Beweiſe nie aus dieſer führt, ſondern umgekehrt5
aus ihren Beweiſen auf dieſe ſchlieſſet (Bl. 89 ſagen Sie daſſelbe),
z. B. daß die Hyperbel und Aſſymptote einander nie berühren,
welches in der Konſtrukzion nicht darzuſtellen iſt.

b) Eben daß die Wirkung die Urſache vorausſezt, iſt die Noth-
wendigkeit der Syntheſe; denn troz der innigen Verbindung iſt10
doch die Urſache etwas anders als die Wirkung, das Wirkende
etwas anders als das Gewirkte, ſo wie früher.

11a) Gegen dieſen Abſaz werden viele Neins aufſtehen oder gar Er-[133]
weiſe, daß die kant. Meinung mit andern Worten behauptet werde.

12a) An der Erfahrung werden die Vernunfts-Syntheſen angewandt,15
geübt, bewuſt; aber nicht durch ſie gegeben — wird man ſagen.

17a) Im kritiſchen Syſtem, das die ganze Sinnenwelt zum Geſchöpf
der Kategorien und der Anſchauung a priori macht und das den
Raum in uns ſezt, und mithin die ihn bewohnende Sinnenwelt
auch, iſt der widerlegte Saz konſequent.20

19̅a) Der Elephant iſt der Stunden- und die Ephemere der Terzien-
weiſer; aber wenn in einer Stunde der eine Weiſer 1 mal, der
andere 60 mal herumgeht: ſo iſts doch nur Eine Stunde, nur Eine
Zeit, obwohl in feinern oder gröbern Abſchnitten; das Gröſſere
miſſet hier das Kleinere, das Jahrtauſend alle Lebenszeiten.25

b) Fält das Veränderliche auſſer uns weg: ſo müſſen wir doch
eine Zeit denken, weil wir eines in uns zu zählen haben. Aber
gegen Kant iſt der Saz nicht.

30̅a) Es ſcheint doch als wenn das Bewuſtſein des Ichs unmittelbar
mit dem Bewuſtſein des Nicht-Ichs ſich verbände und beide ein-30
ander wechſelſeitig vorausſezten. Zum Unterſchiede des Andern
gehört ſchon der des Ichs.

37̅a) Hier fehlt das Wort „fremd“. Einigemal fand ich nicht alles
ausgeſtrichen was es ſein ſolte.

44. 45. Vol der ſcharfſinnigſten Bemerkungen. Beſonders die auf der35
46ten S. über Analogie; ſo wie alle Ihre poſitiven Stellen
gleichſam bowling-greens im Sande der Paläſtra.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0129" n="119"/>
        <p> <hi rendition="#et">Bl. 10&#x0305;<hi rendition="#aq">a</hi>) &#x201E;<hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> <hi rendition="#b">gleich&#x017F;am</hi> <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind</hi>&#x201C; Die&#x017F;e dunkeln Worte &#x017F;ind<lb/>
entweder Kants Meinung (wie der Bei&#x017F;az &#x201E;in den Regeln des<lb/>
Ver&#x017F;tandes&#x201C; be&#x017F;tätigt) oder &#x017F;ie können nicht gelten, da die Mathe-<lb/>
matik eine grö&#x017F;&#x017F;ere Nothwendigkeit hat als die Erfahrung ver-<lb/>
leiht, weil jene ihre Bewei&#x017F;e nie aus die&#x017F;er führt, &#x017F;ondern umgekehrt<lb n="5"/>
aus ihren Bewei&#x017F;en auf die&#x017F;e &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;et (Bl. 89 &#x017F;agen Sie da&#x017F;&#x017F;elbe),<lb/>
z. B. daß die Hyperbel und A&#x017F;&#x017F;ymptote einander nie berühren,<lb/>
welches in der Kon&#x017F;trukzion nicht darzu&#x017F;tellen i&#x017F;t.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">b</hi>) Eben daß die Wirkung die Ur&#x017F;ache voraus&#x017F;ezt, i&#x017F;t die Noth-<lb/>
wendigkeit der Synthe&#x017F;e; denn troz der innigen Verbindung i&#x017F;t<lb n="10"/>
doch die Ur&#x017F;ache etwas anders als die Wirkung, das Wirkende<lb/>
etwas anders als das Gewirkte, &#x017F;o wie <hi rendition="#g">früher.</hi></hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">11<hi rendition="#aq">a</hi>) Gegen die&#x017F;en Ab&#x017F;az werden viele Neins auf&#x017F;tehen oder gar Er-<note place="right"><ref target="1922_Bd3_133">[133]</ref></note><lb/>
wei&#x017F;e, daß die kant. Meinung mit andern Worten behauptet werde.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">12<hi rendition="#aq">a</hi>) <hi rendition="#g">An</hi> der Erfahrung werden die Vernunfts-Synthe&#x017F;en angewandt,<lb n="15"/>
geübt, <hi rendition="#g">bewu&#x017F;t;</hi> aber nicht <hi rendition="#g">durch</hi> &#x017F;ie gegeben &#x2014; wird man &#x017F;agen.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">17<hi rendition="#aq">a</hi>) Im kriti&#x017F;chen Sy&#x017F;tem, das die ganze Sinnenwelt zum Ge&#x017F;chöpf<lb/>
der Kategorien und der An&#x017F;chauung <hi rendition="#aq">a priori</hi> macht und das den<lb/>
Raum <hi rendition="#g">in uns</hi> &#x017F;ezt, und mithin die ihn bewohnende Sinnenwelt<lb/>
auch, i&#x017F;t der widerlegte Saz kon&#x017F;equent.<lb n="20"/>
</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">19&#x0305;<hi rendition="#aq">a</hi>) Der Elephant i&#x017F;t der Stunden- und die Ephemere der Terzien-<lb/>
wei&#x017F;er; aber wenn in einer Stunde der eine Wei&#x017F;er 1 mal, der<lb/>
andere 60 mal herumgeht: &#x017F;o i&#x017F;ts doch nur Eine Stunde, nur Eine<lb/>
Zeit, obwohl in feinern oder gröbern Ab&#x017F;chnitten; das Grö&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;et hier das Kleinere, das Jahrtau&#x017F;end alle Lebenszeiten.<lb n="25"/>
</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">b</hi>) Fält das Veränderliche <hi rendition="#g">au&#x017F;&#x017F;er</hi> uns weg: &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en wir doch<lb/>
eine Zeit denken, weil wir eines <hi rendition="#g">in uns</hi> zu zählen haben. Aber<lb/>
gegen Kant i&#x017F;t der Saz nicht.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">30&#x0305;<hi rendition="#aq">a</hi>) Es &#x017F;cheint doch als wenn das Bewu&#x017F;t&#x017F;ein des Ichs unmittelbar<lb/>
mit dem Bewu&#x017F;t&#x017F;ein des Nicht-Ichs &#x017F;ich verbände und beide ein-<lb n="30"/>
ander wech&#x017F;el&#x017F;eitig voraus&#x017F;ezten. Zum Unter&#x017F;chiede des <hi rendition="#g">Andern</hi><lb/>
gehört &#x017F;chon der des <hi rendition="#g">Ichs.</hi></hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">37&#x0305;<hi rendition="#aq">a</hi>) Hier fehlt das Wort &#x201E;fremd&#x201C;. Einigemal fand ich nicht alles<lb/>
ausge&#x017F;trichen was es &#x017F;ein &#x017F;olte.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">44. 45. Vol der &#x017F;charf&#x017F;innig&#x017F;ten Bemerkungen. Be&#x017F;onders die auf der<lb n="35"/>
46<hi rendition="#sup">ten</hi> S. über Analogie; &#x017F;o wie alle Ihre po&#x017F;itiven Stellen<lb/>
gleich&#x017F;am <hi rendition="#aq">bowling-greens</hi> im Sande der Palä&#x017F;tra.</hi> </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0129] Bl. 10̅a) „dieſe gleichſam ſelbſt ſind“ Dieſe dunkeln Worte ſind entweder Kants Meinung (wie der Beiſaz „in den Regeln des Verſtandes“ beſtätigt) oder ſie können nicht gelten, da die Mathe- matik eine gröſſere Nothwendigkeit hat als die Erfahrung ver- leiht, weil jene ihre Beweiſe nie aus dieſer führt, ſondern umgekehrt 5 aus ihren Beweiſen auf dieſe ſchlieſſet (Bl. 89 ſagen Sie daſſelbe), z. B. daß die Hyperbel und Aſſymptote einander nie berühren, welches in der Konſtrukzion nicht darzuſtellen iſt. b) Eben daß die Wirkung die Urſache vorausſezt, iſt die Noth- wendigkeit der Syntheſe; denn troz der innigen Verbindung iſt 10 doch die Urſache etwas anders als die Wirkung, das Wirkende etwas anders als das Gewirkte, ſo wie früher. 11a) Gegen dieſen Abſaz werden viele Neins aufſtehen oder gar Er- weiſe, daß die kant. Meinung mit andern Worten behauptet werde. 12a) An der Erfahrung werden die Vernunfts-Syntheſen angewandt, 15 geübt, bewuſt; aber nicht durch ſie gegeben — wird man ſagen. 17a) Im kritiſchen Syſtem, das die ganze Sinnenwelt zum Geſchöpf der Kategorien und der Anſchauung a priori macht und das den Raum in uns ſezt, und mithin die ihn bewohnende Sinnenwelt auch, iſt der widerlegte Saz konſequent. 20 19̅a) Der Elephant iſt der Stunden- und die Ephemere der Terzien- weiſer; aber wenn in einer Stunde der eine Weiſer 1 mal, der andere 60 mal herumgeht: ſo iſts doch nur Eine Stunde, nur Eine Zeit, obwohl in feinern oder gröbern Abſchnitten; das Gröſſere miſſet hier das Kleinere, das Jahrtauſend alle Lebenszeiten. 25 b) Fält das Veränderliche auſſer uns weg: ſo müſſen wir doch eine Zeit denken, weil wir eines in uns zu zählen haben. Aber gegen Kant iſt der Saz nicht. 30̅a) Es ſcheint doch als wenn das Bewuſtſein des Ichs unmittelbar mit dem Bewuſtſein des Nicht-Ichs ſich verbände und beide ein- 30 ander wechſelſeitig vorausſezten. Zum Unterſchiede des Andern gehört ſchon der des Ichs. 37̅a) Hier fehlt das Wort „fremd“. Einigemal fand ich nicht alles ausgeſtrichen was es ſein ſolte. 44. 45. Vol der ſcharfſinnigſten Bemerkungen. Beſonders die auf der 35 46ten S. über Analogie; ſo wie alle Ihre poſitiven Stellen gleichſam bowling-greens im Sande der Paläſtra.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/129
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/129>, abgerufen am 24.11.2024.