"und brennend und verstummend reden." -- O jedes Zeichen der An- dacht ist ehrwürdig, unter jedem Volk -- wir haben alle dasselbe Herz und denselben Gott, und unsere kleinen Verschiedenheiten sind gewislich diesem ewigen Geiste nur -- Aehnlichkeiten.
-- -- Ich habe mich in Flammen geschrieben über Dinge, wo ich5 stat Zeilen Bogen brauchte, wie über mehrere Dinge Ihres lieblichen Briefes. Leben Sie wol, liebe tugendhafte Seele! -- Ich werde jezt zu unserer sanften Freundin R[enate] gehen und sie fragen: "sol ich denn "keinen Grus von Ihnen an unsern Liebling mitschreiben" und sie wird mit froh-schimmernden Augen sagen: "Richter, alle meine Grüsse sind10 "schon in Ihrem Herzen und schicken Sie sie nur alle hinaus." -- Und da sind sie! --
Richter
*103. An Matzdorff.
Hof. d. 27 Apr. 95.15
Theuerster Freund!
Sie werden dieses Blätgen später bekommen, aber auch von bessern Händen als den gemietheten Posthänden.
Wenn Sie den kleinen Briefträger hier vor Ihnen kenten, so braucht' ich -- kein Wort mehr. Seinetwegen plag' ich Sie. Sie wissen nämlich20 noch nicht, daß er ein bescheidener, stiller Jüngling vol Blütenknospen ist -- daß er Weimar verlassen hat, um in Berlin einen Fechtboden der[73] geistigen Uebungen, und ein Zuckerfeld der geistigen Kost zu finden -- daß er eben so viel Gefühl und Wiz als Blatternarben hat, und daß ihm weiter nichts fehlt als -- Geld. Er war oft bei mir und an meinem25 Barte (er ist ein chirurgischer Kadet), und ich schnit oft (während er die Fechser meines Kinnes wegnahm) mit meinem Federmesser manche Wasserschöslinge dieses guten Gewächses ab und pelzte bessere darauf.
Das wars, was ich Ihnen zu erzählen hatte; -- was ich Sie zu bitten habe, ist, daß Sie dem guten, den Aesten seines Nestes kaum entflogenen30 Jüngling etwan eine gute d. h. lehrreiche Kondizion anweisen oder vor- schlagen, oder daß Sie gar meine Empfehlung in Ihre verwandeln mögen. Ich bin gewis, Sie werden es meiner Menschenliebe nicht ver- argen, daß sie die Ihrige ins Spiel gezogen. -- --
Ich mus aufhören; eine Turteltaube, die auf meinem Tische herum-35 laufen darf, schreitet auf diesem Briefe auf und ab und pikt nach dem
„und brennend und verſtummend reden.“ — O jedes Zeichen der An- dacht iſt ehrwürdig, unter jedem Volk — wir haben alle daſſelbe Herz und denſelben Gott, und unſere kleinen Verſchiedenheiten ſind gewislich dieſem ewigen Geiſte nur — Aehnlichkeiten.
— — Ich habe mich in Flammen geſchrieben über Dinge, wo ich5 ſtat Zeilen Bogen brauchte, wie über mehrere Dinge Ihres lieblichen Briefes. Leben Sie wol, liebe tugendhafte Seele! — Ich werde jezt zu unſerer ſanften Freundin R[enate] gehen und ſie fragen: „ſol ich denn „keinen Grus von Ihnen an unſern Liebling mitſchreiben“ und ſie wird mit froh-ſchimmernden Augen ſagen: „Richter, alle meine Grüſſe ſind10 „ſchon in Ihrem Herzen und ſchicken Sie ſie nur alle hinaus.“ — Und da ſind ſie! —
Richter
*103. An Matzdorff.
Hof. d. 27 Apr. 95.15
Theuerſter Freund!
Sie werden dieſes Blätgen ſpäter bekommen, aber auch von beſſern Händen als den gemietheten Poſthänden.
Wenn Sie den kleinen Briefträger hier vor Ihnen kenten, ſo braucht’ ich — kein Wort mehr. Seinetwegen plag’ ich Sie. Sie wiſſen nämlich20 noch nicht, daß er ein beſcheidener, ſtiller Jüngling vol Blütenknoſpen iſt — daß er Weimar verlaſſen hat, um in Berlin einen Fechtboden der[73] geiſtigen Uebungen, und ein Zuckerfeld der geiſtigen Koſt zu finden — daß er eben ſo viel Gefühl und Wiz als Blatternarben hat, und daß ihm weiter nichts fehlt als — Geld. Er war oft bei mir und an meinem25 Barte (er iſt ein chirurgiſcher Kadet), und ich ſchnit oft (während er die Fechſer meines Kinnes wegnahm) mit meinem Federmeſſer manche Waſſerſchöslinge dieſes guten Gewächſes ab und pelzte beſſere darauf.
Das wars, was ich Ihnen zu erzählen hatte; — was ich Sie zu bitten habe, iſt, daß Sie dem guten, den Aeſten ſeines Neſtes kaum entflogenen30 Jüngling etwan eine gute d. h. lehrreiche Kondizion anweiſen oder vor- ſchlagen, oder daß Sie gar meine Empfehlung in Ihre verwandeln mögen. Ich bin gewis, Sie werden es meiner Menſchenliebe nicht ver- argen, daß ſie die Ihrige ins Spiel gezogen. — —
Ich mus aufhören; eine Turteltaube, die auf meinem Tiſche herum-35 laufen darf, ſchreitet auf dieſem Briefe auf und ab und pikt nach dem
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0088"n="79"/>„und brennend und verſtummend reden.“— O jedes Zeichen der An-<lb/>
dacht iſt ehrwürdig, unter jedem Volk — wir haben alle daſſelbe Herz<lb/>
und denſelben Gott, und unſere kleinen Verſchiedenheiten ſind gewislich<lb/>
dieſem ewigen Geiſte nur — Aehnlichkeiten.</p><lb/><p>—— Ich habe mich in Flammen geſchrieben über Dinge, wo ich<lbn="5"/>ſtat Zeilen Bogen brauchte, wie über mehrere Dinge Ihres lieblichen<lb/>
Briefes. Leben Sie wol, liebe tugendhafte Seele! — Ich werde jezt zu<lb/>
unſerer ſanften Freundin R[enate] gehen und ſie fragen: „ſol ich denn<lb/>„keinen Grus von Ihnen an unſern Liebling mitſchreiben“ und ſie wird<lb/>
mit froh-ſchimmernden Augen ſagen: „Richter, alle meine Grüſſe ſind<lbn="10"/>„ſchon in Ihrem Herzen und ſchicken Sie ſie nur alle hinaus.“— Und<lb/>
da ſind ſie! —</p><lb/><closer><salute><hirendition="#right">Richter</hi></salute></closer></div></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>*103. An <hirendition="#g">Matzdorff.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">Hof. d. 27 Apr.</hi> 95.</hi></dateline><lbn="15"/><opener><salute><hirendition="#et">Theuerſter Freund!</hi></salute></opener><lb/><p>Sie werden dieſes Blätgen ſpäter bekommen, aber auch von beſſern<lb/>
Händen als den gemietheten Poſthänden.</p><lb/><p>Wenn Sie den kleinen Briefträger hier vor Ihnen kenten, ſo braucht’<lb/>
ich — kein Wort mehr. Seinetwegen plag’ ich Sie. Sie wiſſen nämlich<lbn="20"/>
noch nicht, daß er ein beſcheidener, ſtiller Jüngling vol Blütenknoſpen<lb/>
iſt — daß er Weimar verlaſſen hat, um in Berlin einen Fechtboden der<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_73">[73]</ref></note><lb/>
geiſtigen Uebungen, und ein Zuckerfeld der geiſtigen Koſt zu finden —<lb/>
daß er eben ſo viel Gefühl und Wiz als Blatternarben hat, und daß ihm<lb/>
weiter nichts fehlt als — Geld. Er war oft bei mir und an meinem<lbn="25"/>
Barte (er iſt ein chirurgiſcher Kadet), und ich ſchnit oft (während er die<lb/>
Fechſer meines Kinnes wegnahm) mit meinem Federmeſſer manche<lb/>
Waſſerſchöslinge dieſes guten Gewächſes ab und pelzte beſſere darauf.</p><lb/><p>Das wars, was ich Ihnen zu erzählen hatte; — was ich Sie zu bitten<lb/>
habe, iſt, daß Sie dem guten, den Aeſten ſeines Neſtes kaum entflogenen<lbn="30"/>
Jüngling etwan eine gute d. h. lehrreiche Kondizion anweiſen oder vor-<lb/>ſchlagen, oder daß Sie gar meine Empfehlung in Ihre verwandeln<lb/>
mögen. Ich bin gewis, Sie werden es meiner Menſchenliebe nicht ver-<lb/>
argen, daß ſie die Ihrige ins Spiel gezogen. ——</p><lb/><p>Ich mus aufhören; eine Turteltaube, die auf meinem Tiſche herum-<lbn="35"/>
laufen darf, ſchreitet auf dieſem Briefe auf und ab und pikt nach dem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[79/0088]
„und brennend und verſtummend reden.“ — O jedes Zeichen der An-
dacht iſt ehrwürdig, unter jedem Volk — wir haben alle daſſelbe Herz
und denſelben Gott, und unſere kleinen Verſchiedenheiten ſind gewislich
dieſem ewigen Geiſte nur — Aehnlichkeiten.
— — Ich habe mich in Flammen geſchrieben über Dinge, wo ich 5
ſtat Zeilen Bogen brauchte, wie über mehrere Dinge Ihres lieblichen
Briefes. Leben Sie wol, liebe tugendhafte Seele! — Ich werde jezt zu
unſerer ſanften Freundin R[enate] gehen und ſie fragen: „ſol ich denn
„keinen Grus von Ihnen an unſern Liebling mitſchreiben“ und ſie wird
mit froh-ſchimmernden Augen ſagen: „Richter, alle meine Grüſſe ſind 10
„ſchon in Ihrem Herzen und ſchicken Sie ſie nur alle hinaus.“ — Und
da ſind ſie! —
Richter
*103. An Matzdorff.
Hof. d. 27 Apr. 95. 15
Theuerſter Freund!
Sie werden dieſes Blätgen ſpäter bekommen, aber auch von beſſern
Händen als den gemietheten Poſthänden.
Wenn Sie den kleinen Briefträger hier vor Ihnen kenten, ſo braucht’
ich — kein Wort mehr. Seinetwegen plag’ ich Sie. Sie wiſſen nämlich 20
noch nicht, daß er ein beſcheidener, ſtiller Jüngling vol Blütenknoſpen
iſt — daß er Weimar verlaſſen hat, um in Berlin einen Fechtboden der
geiſtigen Uebungen, und ein Zuckerfeld der geiſtigen Koſt zu finden —
daß er eben ſo viel Gefühl und Wiz als Blatternarben hat, und daß ihm
weiter nichts fehlt als — Geld. Er war oft bei mir und an meinem 25
Barte (er iſt ein chirurgiſcher Kadet), und ich ſchnit oft (während er die
Fechſer meines Kinnes wegnahm) mit meinem Federmeſſer manche
Waſſerſchöslinge dieſes guten Gewächſes ab und pelzte beſſere darauf.
[73]
Das wars, was ich Ihnen zu erzählen hatte; — was ich Sie zu bitten
habe, iſt, daß Sie dem guten, den Aeſten ſeines Neſtes kaum entflogenen 30
Jüngling etwan eine gute d. h. lehrreiche Kondizion anweiſen oder vor-
ſchlagen, oder daß Sie gar meine Empfehlung in Ihre verwandeln
mögen. Ich bin gewis, Sie werden es meiner Menſchenliebe nicht ver-
argen, daß ſie die Ihrige ins Spiel gezogen. — —
Ich mus aufhören; eine Turteltaube, die auf meinem Tiſche herum- 35
laufen darf, ſchreitet auf dieſem Briefe auf und ab und pikt nach dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/88>, abgerufen am 07.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.