macht; aber sie zögern so lange, daß ich sie mit unter die Gegenstände der Neujahrswünsche bringen kan. --
Ich wolte, wir könten über irgend eine philosophische Materie uneins werden, um wieder eins zu werden durch ein langes Disputieren darüber.5
Vielleicht finden Sie in meinem Buche etwas, gegen das ein Brief-Manifest zu erlassen ist. --
Leben Sie noch einmal wol und alle Ihre Freunde, die ich kenne und die ich nicht kenne.
49. An Christian Otto.10
[Hof, 1794? 1795?]
Lieber Christian,
Ich hätte meinen Morgen nicht satirischer verbringen können als daß ich um mich den Luzian, den Thümmel und die Peri- und Para- phrase des Hogarths zu legen hatte, die burleske Todtengräberßene15 auf der Gasse nicht einmal mitgerechnet, wo die Zuschauer fast alle zum zweiten und die Akteurs zu meinem Geschlechte gehörten. Du hattest mir das Meiste schon gesagt, aber so kont' ichs erst besser [37]überdenken zumal neben den gestochnen gerade ein solches chn machst du Blättern.20
Dazuzusezen zu deiner Oktapla (wenn Lichtenbergs Uebersezung die Septante ist) hab' und weis ich nichts, weil ich überhaupt unter allen Menschen am wenigsten einen Kupferstich, ein geselschaftliches Räthsel oder dergl. zu entziffern verstehe, obwol leichter zu verziffern. Ich wil lieber 20 Räthsel machen als 1 lösen. -- Desto lieber musten25 mir deine, besonders um das Nachtstük, sinreich zusammengestelten Randglossen sein. Ich hab es probiert und wolte noch einen oder ein Paar glükliche Züge selber erfinden und habe die Nacht lange an- gesehen -- aber bis jezt hab' ich noch keinen. Wenn du deine Aus- legung eben so leserlich machst als sie lesbar ist: so kanst du sie --30 welches ich thäte -- dem Lichtenberg selber schicken, zumal da er sich zum Auffinden der hogartischen Schäze auch fremde Wünschelruthen in der Vorrede ausbittet. Leb wol, Lieber, und schicke mir bald wieder etwas.
R.35
macht; aber ſie zögern ſo lange, daß ich ſie mit unter die Gegenſtände der Neujahrswünſche bringen kan. —
Ich wolte, wir könten über irgend eine philoſophiſche Materie uneins werden, um wieder eins zu werden durch ein langes Diſputieren darüber.5
Vielleicht finden Sie in meinem Buche etwas, gegen das ein Brief-Manifeſt zu erlaſſen iſt. —
Leben Sie noch einmal wol und alle Ihre Freunde, die ich kenne und die ich nicht kenne.
49. An Chriſtian Otto.10
[Hof, 1794? 1795?]
Lieber Chriſtian,
Ich hätte meinen Morgen nicht ſatiriſcher verbringen können als daß ich um mich den Luzian, den Thümmel und die Peri- und Para- phraſe des Hogarths zu legen hatte, die burleſke Todtengräberſzene15 auf der Gaſſe nicht einmal mitgerechnet, wo die Zuſchauer faſt alle zum zweiten und die Akteurs zu meinem Geſchlechte gehörten. Du hatteſt mir das Meiſte ſchon geſagt, aber ſo kont’ ichs erſt beſſer [37]überdenken zumal neben den geſtochnen 〈gerade ein ſolches chn machſt du〉 Blättern.20
Dazuzuſezen zu deiner Oktapla (wenn Lichtenbergs Ueberſezung die Septante iſt) hab’ und weis ich nichts, weil ich überhaupt unter allen Menſchen am wenigſten einen Kupferſtich, ein geſelſchaftliches Räthſel oder dergl. zu entziffern verſtehe, obwol leichter zu verziffern. Ich wil lieber 20 Räthſel machen als 1 löſen. — Deſto lieber muſten25 mir deine, beſonders um das Nachtſtük, ſinreich zuſammengeſtelten Randgloſſen ſein. Ich hab es probiert und wolte noch einen oder ein Paar glükliche Züge ſelber erfinden und habe die Nacht lange an- geſehen — aber bis jezt hab’ ich noch keinen. Wenn du deine Aus- legung eben ſo leſerlich machſt als ſie lesbar iſt: ſo kanſt du ſie —30 welches ich thäte — dem Lichtenberg ſelber ſchicken, zumal da er ſich zum Auffinden der hogartiſchen Schäze auch fremde Wünſchelruthen in der Vorrede ausbittet. Leb wol, Lieber, und ſchicke mir bald wieder etwas.
R.35
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[44/0053]
macht; aber ſie zögern ſo lange, daß ich ſie mit unter die Gegenſtände
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Ich wolte, wir könten über irgend eine philoſophiſche Materie
uneins werden, um wieder eins zu werden durch ein langes Diſputieren
darüber. 5
Vielleicht finden Sie in meinem Buche etwas, gegen das ein
Brief-Manifeſt zu erlaſſen iſt. —
Leben Sie noch einmal wol und alle Ihre Freunde, die ich kenne
und die ich nicht kenne.
49. An Chriſtian Otto. 10
[Hof, 1794? 1795?]
Lieber Chriſtian,
Ich hätte meinen Morgen nicht ſatiriſcher verbringen können als
daß ich um mich den Luzian, den Thümmel und die Peri- und Para-
phraſe des Hogarths zu legen hatte, die burleſke Todtengräberſzene 15
auf der Gaſſe nicht einmal mitgerechnet, wo die Zuſchauer faſt alle
zum zweiten und die Akteurs zu meinem Geſchlechte gehörten. Du
hatteſt mir das Meiſte ſchon geſagt, aber ſo kont’ ichs erſt beſſer
überdenken zumal neben den geſtochnen 〈gerade ein ſolches chn machſt
du〉 Blättern. 20
[37]Dazuzuſezen zu deiner Oktapla (wenn Lichtenbergs Ueberſezung die
Septante iſt) hab’ und weis ich nichts, weil ich überhaupt unter allen
Menſchen am wenigſten einen Kupferſtich, ein geſelſchaftliches
Räthſel oder dergl. zu entziffern verſtehe, obwol leichter zu verziffern.
Ich wil lieber 20 Räthſel machen als 1 löſen. — Deſto lieber muſten 25
mir deine, beſonders um das Nachtſtük, ſinreich zuſammengeſtelten
Randgloſſen ſein. Ich hab es probiert und wolte noch einen oder ein
Paar glükliche Züge ſelber erfinden und habe die Nacht lange an-
geſehen — aber bis jezt hab’ ich noch keinen. Wenn du deine Aus-
legung eben ſo leſerlich machſt als ſie lesbar iſt: ſo kanſt du ſie — 30
welches ich thäte — dem Lichtenberg ſelber ſchicken, zumal da er ſich
zum Auffinden der hogartiſchen Schäze auch fremde Wünſchelruthen
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R. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/53>, abgerufen am 07.07.2024.
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