Gestern sagt' ich mir es noch nicht, daß ich dich heute nicht mehr sehen wil, weil ich deinen Anblik mit einem solchen Gedanken nicht er- tragen könte. Vergebt mir alle meine schweigende Flucht, die ich mir5 und vielleicht nicht mir allein schuldig war. Ach der Körper erträgt weniger als die Seele. -- Hier versüsse dir mit der Dichtkunst -- ich wolte dir das Buch erst an deinem Geburtstag geben -- den Ge- danken des Sontags und das regenbogenfarbige Band sei das Zeichen des ewigen Bundes wie das Zeichen der schönern Zukunft.10
Hier ist das Geld für die Leinwand. Briefe an mich werden an dich kommen, brich sie vorher auf wie einem, der im Gefängnis ist. Sorge daß mein Nachlas Sontags oder Montags fortkömt. Es klingt mir alles wie ein Testament. Mein Abschied war wie meine Trauer über meine Mutter, ein Vierteljahr vor ihrer und meiner Abreise. In Gera15 bleib ich einige Tage. Morgen abends geh ich nach Zedwiz und bleibe beim Kammerdiener über Nacht und sehe ganz allein die stummen Stoppelfelder der eingeernteten und vergangnen Freuden an.
Eben verlangtest du mich auf Abend. Gott gebe, daß ich mein Inneres mit Spas ersticke und die Qualen der Phantasie bezähme. --20 An Emanuel schreib den Ort meines Aufenthaltes. Nim der armen Caroline etwas von ihrer dunkeln Einsamkeit.
Mein leztes Wort an dich ist noch: sei muthig, strebe gegen kränk-[388] liche Phantasien mänlich an und trete wie ich immer muthiger und weiter ins thätige Leben hinein, damit deine Kraft noch mehr andern25 und dadurch dir nüze. Und so mit diesem Wunsche, mit diesen Hof- nungen, mein Unvergeslicher, mein ewig Geliebter, schliesse sich für mich meine Jugendzeit und wir wollen von einander gehen und schwei- gen. Edler und würdiger ist unser künftiges Beisammenleben in Briefen und in den Tagen der herlichen Wiedererblickung als das bisherige ge-30 trente und schlaffe. -- Wenn der Mensch eine Ewigkeit in seinem Herzen tragen kan: so sag ich: du bleibst in meinem und ewig. Und das sage auch deiner geliebten Schwester und deinem geliebten Bruder: ich wil euch 3 nicht in der Welt suchen, denn ich find euch nicht.
Und so lasse mich ziehen von deinem Herzen und von meinen Freuden35 und von meiner Jugend.
Richter
25*
735. An Chriſtian Otto.
Hof d. 27 Okt. 97 [Freitag].
Geſtern ſagt’ ich mir es noch nicht, daß ich dich heute nicht mehr ſehen wil, weil ich deinen Anblik mit einem ſolchen Gedanken nicht er- tragen könte. Vergebt mir alle meine ſchweigende Flucht, die ich mir5 und vielleicht nicht mir allein ſchuldig war. Ach der Körper erträgt weniger als die Seele. — Hier verſüſſe dir mit der Dichtkunſt — ich wolte dir das Buch erſt an deinem Geburtstag geben — den Ge- danken des Sontags und das regenbogenfarbige Band ſei das Zeichen des ewigen Bundes wie das Zeichen der ſchönern Zukunft.10
Hier iſt das Geld für die Leinwand. Briefe an mich werden an dich kommen, brich ſie vorher auf wie einem, der im Gefängnis iſt. Sorge daß mein Nachlas Sontags oder Montags fortkömt. Es klingt mir alles wie ein Teſtament. Mein Abſchied war wie meine Trauer über meine Mutter, ein Vierteljahr vor ihrer und meiner Abreiſe. In Gera15 bleib ich einige Tage. Morgen abends geh ich nach Zedwiz und bleibe beim Kammerdiener über Nacht und ſehe ganz allein die ſtummen Stoppelfelder der eingeernteten und vergangnen Freuden an.
Eben verlangteſt du mich auf Abend. Gott gebe, daß ich mein Inneres mit Spas erſticke und die Qualen der Phantaſie bezähme. —20 An Emanuel ſchreib den Ort meines Aufenthaltes. Nim der armen Caroline etwas von ihrer dunkeln Einſamkeit.
Mein leztes Wort an dich iſt noch: ſei muthig, ſtrebe gegen kränk-[388] liche Phantaſien mänlich an und trete wie ich immer muthiger und weiter ins thätige Leben hinein, damit deine Kraft noch mehr andern25 und dadurch dir nüze. Und ſo mit dieſem Wunſche, mit dieſen Hof- nungen, mein Unvergeslicher, mein ewig Geliebter, ſchlieſſe ſich für mich meine Jugendzeit und wir wollen von einander gehen und ſchwei- gen. Edler und würdiger iſt unſer künftiges Beiſammenleben in Briefen und in den Tagen der herlichen Wiedererblickung als das bisherige ge-30 trente und ſchlaffe. — Wenn der Menſch eine Ewigkeit in ſeinem Herzen tragen kan: ſo ſag ich: du bleibſt in meinem und ewig. Und das ſage auch deiner geliebten Schweſter und deinem geliebten Bruder: ich wil euch 3 nicht in der Welt ſuchen, denn ich find euch nicht.
Und ſo laſſe mich ziehen von deinem Herzen und von meinen Freuden35 und von meiner Jugend.
Richter
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735. An Chriſtian Otto.
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ſehen wil, weil ich deinen Anblik mit einem ſolchen Gedanken nicht er-
tragen könte. Vergebt mir alle meine ſchweigende Flucht, die ich mir 5
und vielleicht nicht mir allein ſchuldig war. Ach der Körper erträgt
weniger als die Seele. — Hier verſüſſe dir mit der Dichtkunſt — ich
wolte dir das Buch erſt an deinem Geburtstag geben — den Ge-
danken des Sontags und das regenbogenfarbige Band ſei das Zeichen
des ewigen Bundes wie das Zeichen der ſchönern Zukunft. 10
Hier iſt das Geld für die Leinwand. Briefe an mich werden an dich
kommen, brich ſie vorher auf wie einem, der im Gefängnis iſt. Sorge
daß mein Nachlas Sontags oder Montags fortkömt. Es klingt mir
alles wie ein Teſtament. Mein Abſchied war wie meine Trauer über
meine Mutter, ein Vierteljahr vor ihrer und meiner Abreiſe. In Gera 15
bleib ich einige Tage. Morgen abends geh ich nach Zedwiz und bleibe
beim Kammerdiener über Nacht und ſehe ganz allein die ſtummen
Stoppelfelder der eingeernteten und vergangnen Freuden an.
Eben verlangteſt du mich auf Abend. Gott gebe, daß ich mein
Inneres mit Spas erſticke und die Qualen der Phantaſie bezähme. — 20
An Emanuel ſchreib den Ort meines Aufenthaltes. Nim der armen
Caroline etwas von ihrer dunkeln Einſamkeit.
Mein leztes Wort an dich iſt noch: ſei muthig, ſtrebe gegen kränk-
liche Phantaſien mänlich an und trete wie ich immer muthiger und
weiter ins thätige Leben hinein, damit deine Kraft noch mehr andern 25
und dadurch dir nüze. Und ſo mit dieſem Wunſche, mit dieſen Hof-
nungen, mein Unvergeslicher, mein ewig Geliebter, ſchlieſſe ſich für
mich meine Jugendzeit und wir wollen von einander gehen und ſchwei-
gen. Edler und würdiger iſt unſer künftiges Beiſammenleben in Briefen
und in den Tagen der herlichen Wiedererblickung als das bisherige ge- 30
trente und ſchlaffe. — Wenn der Menſch eine Ewigkeit in ſeinem
Herzen tragen kan: ſo ſag ich: du bleibſt in meinem und ewig. Und das
ſage auch deiner geliebten Schweſter und deinem geliebten Bruder:
ich wil euch 3 nicht in der Welt ſuchen, denn ich find euch nicht.
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Und ſo laſſe mich ziehen von deinem Herzen und von meinen Freuden 35
und von meiner Jugend.
Richter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/408>, abgerufen am 16.02.2025.
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