oder hinter uns stehen! -- Von Hof und mir erzähl ich dir nur münd- lich. Aber wegen der trüben Geschäfte, die eine gänzliche ewige Ab- trennung anhäuft, seh ich dich schwerlich in Leipzig -- und ich bekenne dirs, ein oder 2 Tage, die noch dazu meine Ankunft mit ihren Ge- schäften und deine Abreise mit ihren, verfinstert, sind für mich kein5 Ersaz für die frohe reine Zeit unserer ersten Erblickung in Belgershain.
Meinem major domus Beigang kan ich nicht genug danken. Eben darum verbietet mir die Dankbarkeit die Ausmalung meiner Bitten. Denn ich möchte ihn gern fragen (oder bitten) -- jezt kanst du es --, ob das höhere Zimmer, das mir lieber ist als ein in die Erde ver-10 sunknes, Stille hat, Plaz, genug Möbeln, und eine Person, die man zum Aufwarten dingen kan. Unter Möbeln mein ich blos elende: ich verlasse in Leipzig mein ärmliches Leben nicht; wenn ich nur Tische genug zum Schreiben und Lesen für mich und meinen Bruder und alte Repositorien (so um mich gestelt wie hier) bekomme, so frag' ich nach15 nichts. Nichts macht unsere Seelen hölzerner als das meublierende Holz, das uns mit ewigen Sorgen einschränkt. Eben so werd' ich mir meine Zeit (wenns nicht die Menschenliebe dekretiert) niemals nehmen lassen, ausgenommen die von 12--2, und die nach dem Abendessen. Ach ich habe noch so wenig zu leben und noch so viel zu schreiben! --20
Der metereologische [!] November wird schön; und in welchem heitern moralischen werd' ich ihn bei dir und deiner Sophie anfangen. Die Sprache hat noch kein Wort für die eigne Liebe geprägt, die man für die Geliebte seines Freundes fühlt. Lebe wohl unter deinen fallen- den Schmerzen, Guter! Sie thaten mir weh, ob sie gleich vorüber25 waren.
Richter
[385](*) 727. An Charlotte von Kalb in Kalbsrieth.
[Kopie, z. T. Konzept][Hof, 21. Okt. 1797]
Hochstehende Seele. -- [Nie, Freundin, hab' ich Sie soviel sprechen30 hören als seit 8 Tagen. Mad. de Stael ist Ihre Schwester Rednerin, und in dem was ich las, glaubte ich den] Wiederhal unsrer Junius- stunden [zu hören. Noch kein Weib schrieb so über die Liebe, und noch keins so über alles andere. Aber es ist leichter der Bewunderer als der Jünger zu sein, und ich bedauere und bewundere dieses ener-35 gische Herz. -- Diese Verbindung sind Sie besonders von mir gewohnt.
oder hinter uns ſtehen! — Von Hof und mir erzähl ich dir nur münd- lich. Aber wegen der trüben Geſchäfte, die eine gänzliche ewige Ab- trennung anhäuft, ſeh ich dich ſchwerlich in Leipzig — und ich bekenne dirs, ein oder 2 Tage, die noch dazu meine Ankunft mit ihren Ge- ſchäften und deine Abreiſe mit ihren, verfinſtert, ſind für mich kein5 Erſaz für die frohe reine Zeit unſerer erſten Erblickung in Belgershain.
Meinem major domus Beigang kan ich nicht genug danken. Eben darum verbietet mir die Dankbarkeit die Ausmalung meiner Bitten. Denn ich möchte ihn gern fragen (oder bitten) — jezt kanſt du es —, ob das höhere Zimmer, das mir lieber iſt als ein in die Erde ver-10 ſunknes, Stille hat, Plaz, genug Möbeln, und eine Perſon, die man zum Aufwarten dingen kan. Unter Möbeln mein ich blos elende: ich verlaſſe in Leipzig mein ärmliches Leben nicht; wenn ich nur Tiſche genug zum Schreiben und Leſen für mich und meinen Bruder und alte Repoſitorien (ſo um mich geſtelt wie hier) bekomme, ſo frag’ ich nach15 nichts. Nichts macht unſere Seelen hölzerner als das meublierende Holz, das uns mit ewigen Sorgen einſchränkt. Eben ſo werd’ ich mir meine Zeit (wenns nicht die Menſchenliebe dekretiert) niemals nehmen laſſen, ausgenommen die von 12—2, und die nach dem Abendeſſen. Ach ich habe noch ſo wenig zu leben und noch ſo viel zu ſchreiben! —20
Der metereologiſche [!] November wird ſchön; und in welchem heitern moraliſchen werd’ ich ihn bei dir und deiner Sophie anfangen. Die Sprache hat noch kein Wort für die eigne Liebe geprägt, die man für die Geliebte ſeines Freundes fühlt. Lebe wohl unter deinen fallen- den Schmerzen, Guter! Sie thaten mir weh, ob ſie gleich vorüber25 waren.
Richter
[385](*) 727. An Charlotte von Kalb in Kalbsrieth.
[Kopie, z. T. Konzept][Hof, 21. Okt. 1797]
Hochſtehende Seele. — [Nie, Freundin, hab’ ich Sie ſoviel ſprechen30 hören als ſeit 8 Tagen. Mad. de Stael iſt Ihre Schweſter Rednerin, und in dem was ich las, glaubte ich den] Wiederhal unſrer Junius- ſtunden [zu hören. Noch kein Weib ſchrieb ſo über die Liebe, und noch keins ſo über alles andere. Aber es iſt leichter der Bewunderer als der Jünger zu ſein, und ich bedauere und bewundere dieſes ener-35 giſche Herz. — Dieſe Verbindung ſind Sie beſonders von mir gewohnt.
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lich. Aber wegen der trüben Geſchäfte, die eine gänzliche ewige Ab-
trennung anhäuft, ſeh ich dich ſchwerlich in Leipzig — und ich bekenne
dirs, ein oder 2 Tage, die noch dazu meine Ankunft mit ihren Ge-
ſchäften und deine Abreiſe mit ihren, verfinſtert, ſind für mich kein 5
Erſaz für die frohe reine Zeit unſerer erſten Erblickung in Belgershain.
Meinem major domus Beigang kan ich nicht genug danken. Eben
darum verbietet mir die Dankbarkeit die Ausmalung meiner Bitten.
Denn ich möchte ihn gern fragen (oder bitten) — jezt kanſt du es —,
ob das höhere Zimmer, das mir lieber iſt als ein in die Erde ver- 10
ſunknes, Stille hat, Plaz, genug Möbeln, und eine Perſon, die man
zum Aufwarten dingen kan. Unter Möbeln mein ich blos elende: ich
verlaſſe in Leipzig mein ärmliches Leben nicht; wenn ich nur Tiſche
genug zum Schreiben und Leſen für mich und meinen Bruder und alte
Repoſitorien (ſo um mich geſtelt wie hier) bekomme, ſo frag’ ich nach 15
nichts. Nichts macht unſere Seelen hölzerner als das meublierende
Holz, das uns mit ewigen Sorgen einſchränkt. Eben ſo werd’ ich mir
meine Zeit (wenns nicht die Menſchenliebe dekretiert) niemals nehmen
laſſen, ausgenommen die von 12—2, und die nach dem Abendeſſen.
Ach ich habe noch ſo wenig zu leben und noch ſo viel zu ſchreiben! — 20
Der metereologiſche [!] November wird ſchön; und in welchem
heitern moraliſchen werd’ ich ihn bei dir und deiner Sophie anfangen.
Die Sprache hat noch kein Wort für die eigne Liebe geprägt, die man
für die Geliebte ſeines Freundes fühlt. Lebe wohl unter deinen fallen-
den Schmerzen, Guter! Sie thaten mir weh, ob ſie gleich vorüber 25
waren.
Richter
(*) 727. An Charlotte von Kalb in Kalbsrieth.
[Hof, 21. Okt. 1797]
Hochſtehende Seele. — [Nie, Freundin, hab’ ich Sie ſoviel ſprechen 30
hören als ſeit 8 Tagen. Mad. de Stael iſt Ihre Schweſter Rednerin,
und in dem was ich las, glaubte ich den] Wiederhal unſrer Junius-
ſtunden [zu hören. Noch kein Weib ſchrieb ſo über die Liebe, und
noch keins ſo über alles andere. Aber es iſt leichter der Bewunderer
als der Jünger zu ſein, und ich bedauere und bewundere dieſes ener- 35
giſche Herz. — Dieſe Verbindung ſind Sie beſonders von mir gewohnt.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/405>, abgerufen am 16.02.2025.
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