wenn er fassete, daß auf der Erde entweder gar nichts oder alles Wunder ist und daß beides -- einerlei ist -- -- p. 249 358 378 sind merkwürdig. Am meisten aber gefiel mir das, was Sie von p. 1 bis 416 sagen.
Warum übersezen Sie nicht wenigstens das N. T. Ihre christlichen5 Schriften sind eben so unentbehrlich als unersezlich; nur wünscht' ich für die Menge, daß Ihr Vorhang des Allerheiligsten zuweilen einen weitern Ris erhielte, aber ohne Golgatha. -- Die Briefe über Humanität sind dem inhumanen Jahrzehend Arzenei. --
In allen Ihren Gemälden von der deutschen Litteratur scheint mir10 zwar nicht der ironische Schlagschatten Swifts, aber doch das ironische Streiflicht Horazens vorzuwalten: Ihr griechischer Geist thut scheint es der Stadt Unrecht, wo er wohnt.
In Ihren zerstreueten Blättern verschlang ich die Gedichte und die Abhandlungen über die Unsterblichkeit: Fr. v. Berlepsch (die auf eine15 für mich merkwürdige Weise Klarheit und Kälte und Kraft und Phanta- sie vereint) nahm das Buch mir weg ins Bad. Ich liebe sie sehr ...... das kan eben so gut auf Ihre Abhandlungen als auf die Fr. v. Ber- lepsch gehen, und die 2. ersten Zeilen oben leiden beides.
Mein Urtheil oder vielmehr meine Freude über Ihre Beweise20 unserer Ewigkeit ist in meinem Kampanerthal schon voraus abgedrukt,[359] worin ich zu meinem Entzücken mit Ihnen unwissend zusammentreffe. Fliegen Sie doch durch dieses Thal: es hat nicht die Musaik des Münsters, sondern das weite Grün eines Thales.
Haben Sie Nachsicht, Geliebtester, mit diesem Briefe, den ich25 kallygraphisch und ästhetisch besser hätte schreiben müssen, wenn nicht Zerstreuungen, Geschäfte, Zeitmangel, Reisen und -- Ihre Liebe meine Fürsprecher wären.
Wie glänzend und wie sanft steht jezt Ihr Geist wie eine Abendsonne vor meinem und ich sage: bringe allen Augen deinen Morgen und dein30 Licht und bring' es meinen auch!
Jean Paul Fr. Richter
673. An Karoline Herder.
Hof. d. 31 Jul. 97.
Ich wünschte, ich hätte keine Entschuldigung für mein Schweigen,35 Unvergesliche! -- Meine Mutter gieng, nach den langen Qualen der Wassersucht, bleich von mir und ich sehe sie hienieden nicht mehr. --
wenn er faſſete, daß auf der Erde entweder gar nichts oder alles Wunder iſt und daß beides — einerlei iſt — — p. 249 358 378 ſind merkwürdig. Am meiſten aber gefiel mir das, was Sie von p. 1 bis 416 ſagen.
Warum überſezen Sie nicht wenigſtens das N. T. Ihre chriſtlichen5 Schriften ſind eben ſo unentbehrlich als unerſezlich; nur wünſcht’ ich für die Menge, daß Ihr Vorhang des Allerheiligſten zuweilen einen weitern Ris erhielte, aber ohne Golgatha. — Die Briefe über Humanität ſind dem inhumanen Jahrzehend Arzenei. —
In allen Ihren Gemälden von der deutſchen Litteratur ſcheint mir10 zwar nicht der ironiſche Schlagſchatten Swifts, aber doch das ironiſche Streiflicht Horazens vorzuwalten: Ihr griechiſcher Geiſt thut ſcheint es der Stadt Unrecht, wo er wohnt.
In Ihren zerſtreueten Blättern verſchlang ich die Gedichte und die Abhandlungen über die Unſterblichkeit: Fr. v. Berlepsch (die auf eine15 für mich merkwürdige Weiſe Klarheit und Kälte und Kraft und Phanta- ſie vereint) nahm das Buch mir weg ins Bad. Ich liebe ſie ſehr ...... das kan eben ſo gut auf Ihre Abhandlungen als auf die Fr. v. Ber- lepsch gehen, und die 2. erſten Zeilen oben leiden beides.
Mein Urtheil oder vielmehr meine Freude über Ihre Beweiſe20 unſerer Ewigkeit iſt in meinem Kampanerthal ſchon voraus abgedrukt,[359] worin ich zu meinem Entzücken mit Ihnen unwiſſend zuſammentreffe. Fliegen Sie doch durch dieſes Thal: es hat nicht die Muſaik des Münſters, ſondern das weite Grün eines Thales.
Haben Sie Nachſicht, Geliebteſter, mit dieſem Briefe, den ich25 kallygraphiſch und äſthetiſch beſſer hätte ſchreiben müſſen, wenn nicht Zerſtreuungen, Geſchäfte, Zeitmangel, Reiſen und — Ihre Liebe meine Fürſprecher wären.
Wie glänzend und wie ſanft ſteht jezt Ihr Geiſt wie eine Abendſonne vor meinem und ich ſage: bringe allen Augen deinen Morgen und dein30 Licht und bring’ es meinen auch!
Jean Paul Fr. Richter
673. An Karoline Herder.
Hof. d. 31 Jul. 97.
Ich wünſchte, ich hätte keine Entſchuldigung für mein Schweigen,35 Unvergesliche! — Meine Mutter gieng, nach den langen Qualen der Waſſerſucht, bleich von mir und ich ſehe ſie hienieden nicht mehr. —
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merkwürdig. Am meiſten aber gefiel mir das, was Sie von p. 1 bis
416 ſagen.
Warum überſezen Sie nicht wenigſtens das N. T. Ihre chriſtlichen 5
Schriften ſind eben ſo unentbehrlich als unerſezlich; nur wünſcht’ ich
für die Menge, daß Ihr Vorhang des Allerheiligſten zuweilen einen
weitern Ris erhielte, aber ohne Golgatha. — Die Briefe über
Humanität ſind dem inhumanen Jahrzehend Arzenei. —
In allen Ihren Gemälden von der deutſchen Litteratur ſcheint mir 10
zwar nicht der ironiſche Schlagſchatten Swifts, aber doch das ironiſche
Streiflicht Horazens vorzuwalten: Ihr griechiſcher Geiſt thut ſcheint
es der Stadt Unrecht, wo er wohnt.
In Ihren zerſtreueten Blättern verſchlang ich die Gedichte und die
Abhandlungen über die Unſterblichkeit: Fr. v. Berlepsch (die auf eine 15
für mich merkwürdige Weiſe Klarheit und Kälte und Kraft und Phanta-
ſie vereint) nahm das Buch mir weg ins Bad. Ich liebe ſie ſehr ......
das kan eben ſo gut auf Ihre Abhandlungen als auf die Fr. v. Ber-
lepsch gehen, und die 2. erſten Zeilen oben leiden beides.
Mein Urtheil oder vielmehr meine Freude über Ihre Beweiſe 20
unſerer Ewigkeit iſt in meinem Kampanerthal ſchon voraus abgedrukt,
worin ich zu meinem Entzücken mit Ihnen unwiſſend zuſammentreffe.
Fliegen Sie doch durch dieſes Thal: es hat nicht die Muſaik des
Münſters, ſondern das weite Grün eines Thales.
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Haben Sie Nachſicht, Geliebteſter, mit dieſem Briefe, den ich 25
kallygraphiſch und äſthetiſch beſſer hätte ſchreiben müſſen, wenn nicht
Zerſtreuungen, Geſchäfte, Zeitmangel, Reiſen und — Ihre Liebe meine
Fürſprecher wären.
Wie glänzend und wie ſanft ſteht jezt Ihr Geiſt wie eine Abendſonne
vor meinem und ich ſage: bringe allen Augen deinen Morgen und dein 30
Licht und bring’ es meinen auch!
Jean Paul Fr. Richter
673. An Karoline Herder.
Hof. d. 31 Jul. 97.
Ich wünſchte, ich hätte keine Entſchuldigung für mein Schweigen, 35
Unvergesliche! — Meine Mutter gieng, nach den langen Qualen der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/374>, abgerufen am 30.07.2024.
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