kästgen vor allen neugierigen Augen beschüzen. Meine vierte ist, mir nur eine zehntels Zeile, die zu lesen ich um 2 Uhr nach Hause kommen werde, zu antworten.
Ihr Fr[eund] R.5
36. An Emanuel in Bayreuth.
Hof. d. 30. Octobr. 1794.
Geliebter Emanuel,
Hier send' ich Ihnen meine Mumien, die ihren Namen nicht durch ihre Dauer, sondern durch ihr ägyptisches Predigen der Sterblichkeit10 verdienen. Wenn Sie so viel Toleranz für ästhetische Digressionen haben, als Sie für moralische besizen: so werden Sie den 2ten Theil des Buchs noch leichter ertragen als den ersten. Es ist sonderbar d. h. menschlich, daß wir immer originelle Menschen und originelle Bücher begehren -- und doch wenn sie da sind, sollen sie ganz für unsern15 Gaumen sein, als wenn für diesen eine andere Originalität sein könte als unsere eigne.
[20]Es thut meiner ganzen Seele wol, daß Sie mich lesen, Lieber! Ich und Sie gehören zusammen -- unsere Bekantschaft ist kurz, aber unsere Verwandschaft ist ewig -- meine Seele ist nicht der Wiederhal der20 Ihrigen, sondern Echo und Klang fliessen zusammen wenn sie nahe an einander sind, in der Physik und in der Freundschaft -- -- Ach in diesem zerstäubenden Leben, in dieser finstern Baumanshöle von Welt, wo Blut wie Tropfstein zu unsern Gestalten zusammentropfet, und wo diese Gestalten so kurz blinken und so bald schmelzen, in diesem25 schillernden Dunst um uns giebt es nichts stehendes und fortglühendes und nichts was uns Gefühle der Unvergänglichkeit reicht, als ein Herz das geliebt wird und eines, das liebt -- Und doch brauchen diese zerfliessenden Schatten ein Dezennium, um einen Bund zu schliessen, und nur eine Minute, um ihn zu trennen!30
Ich und Sie haben das Dezennium nicht gebraucht. -- Versichern Sie Ihrem Freunde Schäffer alle die Achtung eines Unbekanten, die einem Lobe wie Ihrem folgen mus, das der Gegenstand auf den Ur- heber reflektiert. Aber entschuldigen Sie mich auch, daß meine Freude seiner Bekantschaft nur eine Hofnung und keine Erinnerung ist: denn35 an jenem Tage, wo ich abends wiederkommen wolte, fuhr auf einmal
käſtgen vor allen neugierigen Augen beſchüzen. Meine vierte iſt, mir nur eine zehntels Zeile, die zu leſen ich um 2 Uhr nach Hauſe kommen werde, zu antworten.
Ihr Fr[eund] R.5
36. An Emanuel in Bayreuth.
Hof. d. 30. Octobr. 1794.
Geliebter Emanuel,
Hier ſend’ ich Ihnen meine Mumien, die ihren Namen nicht durch ihre Dauer, ſondern durch ihr ägyptiſches Predigen der Sterblichkeit10 verdienen. Wenn Sie ſo viel Toleranz für äſthetiſche Digreſſionen haben, als Sie für moraliſche beſizen: ſo werden Sie den 2ten Theil des Buchs noch leichter ertragen als den erſten. Es iſt ſonderbar d. h. menſchlich, daß wir immer originelle Menſchen und originelle Bücher begehren — und doch wenn ſie da ſind, ſollen ſie ganz für unſern15 Gaumen ſein, als wenn für dieſen eine andere Originalität ſein könte als unſere eigne.
[20]Es thut meiner ganzen Seele wol, daß Sie mich leſen, Lieber! Ich und Sie gehören zuſammen — unſere Bekantſchaft iſt kurz, aber unſere Verwandſchaft iſt ewig — meine Seele iſt nicht der Wiederhal der20 Ihrigen, ſondern Echo und Klang flieſſen zuſammen wenn ſie nahe an einander ſind, in der Phyſik und in der Freundſchaft — — Ach in dieſem zerſtäubenden Leben, in dieſer finſtern Baumanshöle von Welt, wo Blut wie Tropfſtein zu unſern Geſtalten zuſammentropfet, und wo dieſe Geſtalten ſo kurz blinken und ſo bald ſchmelzen, in dieſem25 ſchillernden Dunſt um uns giebt es nichts ſtehendes und fortglühendes und nichts was uns Gefühle der Unvergänglichkeit reicht, als ein Herz das geliebt wird und eines, das liebt — Und doch brauchen dieſe zerflieſſenden Schatten ein Dezennium, um einen Bund zu ſchlieſſen, und nur eine Minute, um ihn zu trennen!30
Ich und Sie haben das Dezennium nicht gebraucht. — Verſichern Sie Ihrem Freunde Schäffer alle die Achtung eines Unbekanten, die einem Lobe wie Ihrem folgen mus, das der Gegenſtand auf den Ur- heber reflektiert. Aber entſchuldigen Sie mich auch, daß meine Freude ſeiner Bekantſchaft nur eine Hofnung und keine Erinnerung iſt: denn35 an jenem Tage, wo ich abends wiederkommen wolte, fuhr auf einmal
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käſtgen vor allen neugierigen Augen beſchüzen. Meine vierte iſt, mir
nur eine zehntels Zeile, die zu leſen ich um 2 Uhr nach Hauſe kommen
werde, zu antworten.
Ihr Fr[eund]
R. 5
36. An Emanuel in Bayreuth.
Hof. d. 30. Octobr. 1794.
Geliebter Emanuel,
Hier ſend’ ich Ihnen meine Mumien, die ihren Namen nicht durch
ihre Dauer, ſondern durch ihr ägyptiſches Predigen der Sterblichkeit 10
verdienen. Wenn Sie ſo viel Toleranz für äſthetiſche Digreſſionen
haben, als Sie für moraliſche beſizen: ſo werden Sie den 2ten Theil des
Buchs noch leichter ertragen als den erſten. Es iſt ſonderbar d. h.
menſchlich, daß wir immer originelle Menſchen und originelle Bücher
begehren — und doch wenn ſie da ſind, ſollen ſie ganz für unſern 15
Gaumen ſein, als wenn für dieſen eine andere Originalität ſein könte
als unſere eigne.
Es thut meiner ganzen Seele wol, daß Sie mich leſen, Lieber! Ich
und Sie gehören zuſammen — unſere Bekantſchaft iſt kurz, aber unſere
Verwandſchaft iſt ewig — meine Seele iſt nicht der Wiederhal der 20
Ihrigen, ſondern Echo und Klang flieſſen zuſammen wenn ſie nahe
an einander ſind, in der Phyſik und in der Freundſchaft — — Ach in
dieſem zerſtäubenden Leben, in dieſer finſtern Baumanshöle von Welt,
wo Blut wie Tropfſtein zu unſern Geſtalten zuſammentropfet, und wo
dieſe Geſtalten ſo kurz blinken und ſo bald ſchmelzen, in dieſem 25
ſchillernden Dunſt um uns giebt es nichts ſtehendes und fortglühendes
und nichts was uns Gefühle der Unvergänglichkeit reicht, als ein Herz
das geliebt wird und eines, das liebt — Und doch brauchen dieſe
zerflieſſenden Schatten ein Dezennium, um einen Bund zu ſchlieſſen,
und nur eine Minute, um ihn zu trennen! 30
[20]Ich und Sie haben das Dezennium nicht gebraucht. — Verſichern
Sie Ihrem Freunde Schäffer alle die Achtung eines Unbekanten, die
einem Lobe wie Ihrem folgen mus, das der Gegenſtand auf den Ur-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/37>, abgerufen am 07.07.2024.
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