kent dein Herz oder das menschliche: der volständige Besiz des Gegen- standes nimt unwiderbringlich die Liebe hinweg (und zahlet Freund- schaft dafür), lässet aber den langen tiefen Wunsch nach der Liebe zurük. Kein Sommertag ersezt den ersten Frühlingstag. Aber deine Ehe hat keine "Sommerstunden" sondern wie das schönste Klima einen fort-5 blühenden Lenz: kurz ich weis gewis, daß auf eben deiner Klippe, woran dein Herz nur blutet, nicht scheitert, für dich (vielleicht für den ersten Menschen auf der Erde) das Immergrün einer ewigen Liebe ent- spriesset. Der Schmerz giebt deiner, ich möchte beinahe dazusezen, meiner, Geliebten eine unnenbare nach Opfern dürstende Zartheit.10 Aber verschone die blutende Seele mit dem kleinsten Zeichen deiner Wunden: sag ihr lieber das, was ich dir sagte und beantworte ihre Thränen nicht durch deine sondern durch Freude. Philosophische Gründe helfen ihr nichts, nur deine Aussenseite: auch ist ihr Schmerz nur ein Echo des deinigen und wenn sie wüste, daß du keinen hättest, kente sie15 ihren Verlust nur wenig, da Kinderlosigkeit etwas Gewöhnliches ist und da ihre Sinnen rein sind.
Aber die Moral erlaubt <gebeut> ihr den schmerzlichsten Versuch einer Heilung -- einen gefährlichen giebt es hier nicht -- und must du denn deine Hofnungen auf Leipzig, stat auf Berlin und Jena ein-20 schränken? Ich verbrenne deinen Brief, obwohl ein Belobigungsbrief deines Herzens. Sage mir immer was dich quält: ach wie klein ist das [352]Verdienst, da ich nur die Seufzer, nicht die Bürde theilen kan. Nie ent- wische dir gegen Amöne ein Wink irgend eines Grams: ich kenne die misdeutende -- Eigenliebe. Wenn ich wähle, und das thu' ich bald25 (aber ausser Hof, das ich nun in einem 1/2 Jahre verlasse, daher ich dich um einen Rath zum Aussuchen einer Stadt -- aber auf einem besondern Blätgen -- bitte) so wähl ich wie du. -- Eine gefährliche Krankheit meiner Mutter kettet mich durch Schmerzen von meinen Reise- Freuden eine Zeitlang weg. Die Berlepsch deren Lob ich verspare, wil30 mich im August nach Leipzig mitnehmen: sie ist moralischer und schöner als die Krüdner und Kalb, aber nicht so genialisch.
Hier hast du Briefe: Herder schikte mir seine Bücher. Die Z aus Zerbst schikte mir einen langen seidnen Beutel mit den eingestikten Worten: dem grossen Genius des Hesperus. -- Ich bitte dich, nie über35 mein Schweigen zu zürnen, da ich täglich mehrere Briefe und Arbeiten bekomme und immerfort je mehr ich Bücher schreibe desto mehr Stof
kent dein Herz oder das menſchliche: der volſtändige Beſiz des Gegen- ſtandes nimt unwiderbringlich die Liebe hinweg (und zahlet Freund- ſchaft dafür), läſſet aber den langen tiefen Wunſch nach der Liebe zurük. Kein Sommertag erſezt den erſten Frühlingstag. Aber deine Ehe hat keine „Sommerſtunden“ ſondern wie das ſchönſte Klima einen fort-5 blühenden Lenz: kurz ich weis gewis, daß auf eben deiner Klippe, woran dein Herz nur blutet, nicht ſcheitert, für dich (vielleicht für den erſten Menſchen auf der Erde) das Immergrün einer ewigen Liebe ent- ſprieſſet. Der Schmerz giebt deiner, ich möchte beinahe dazuſezen, meiner, Geliebten eine unnenbare nach Opfern dürſtende Zartheit.10 Aber verſchone die blutende Seele mit dem kleinſten Zeichen deiner Wunden: ſag ihr lieber das, was ich dir ſagte und beantworte ihre Thränen nicht durch deine ſondern durch Freude. Philoſophiſche Gründe helfen ihr nichts, nur deine Auſſenſeite: auch iſt ihr Schmerz nur ein Echo des deinigen und wenn ſie wüſte, daß du keinen hätteſt, kente ſie15 ihren Verluſt nur wenig, da Kinderloſigkeit etwas Gewöhnliches iſt und da ihre Sinnen rein ſind.
Aber die Moral erlaubt <gebeut> ihr den ſchmerzlichſten Verſuch einer Heilung — einen gefährlichen giebt es hier nicht — und muſt du denn deine Hofnungen auf Leipzig, ſtat auf Berlin und Jena ein-20 ſchränken? Ich verbrenne deinen Brief, obwohl ein Belobigungsbrief deines Herzens. Sage mir immer was dich quält: ach wie klein iſt das [352]Verdienſt, da ich nur die Seufzer, nicht die Bürde theilen kan. Nie ent- wiſche dir gegen Amöne ein Wink irgend eines Grams: ich kenne die misdeutende — Eigenliebe. Wenn ich wähle, und das thu’ ich bald25 (aber auſſer Hof, das ich nun in einem ½ Jahre verlaſſe, daher ich dich um einen Rath zum Ausſuchen einer Stadt — aber auf einem beſondern Blätgen — bitte) ſo wähl ich wie du. — Eine gefährliche Krankheit meiner Mutter kettet mich durch Schmerzen von meinen Reiſe- Freuden eine Zeitlang weg. Die Berlepsch deren Lob ich verſpare, wil30 mich im Auguſt nach Leipzig mitnehmen: ſie iſt moraliſcher und ſchöner als die Krüdner und Kalb, aber nicht ſo genialiſch.
Hier haſt du Briefe: Herder ſchikte mir ſeine Bücher. Die Z aus Zerbſt ſchikte mir einen langen ſeidnen Beutel mit den eingeſtikten Worten: dem groſſen Genius des Heſperus. — Ich bitte dich, nie über35 mein Schweigen zu zürnen, da ich täglich mehrere Briefe und Arbeiten bekomme und immerfort je mehr ich Bücher ſchreibe deſto mehr Stof
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kent dein Herz oder das menſchliche: der volſtändige Beſiz des Gegen-
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ſchaft dafür), läſſet aber den langen tiefen Wunſch nach der Liebe zurük.
Kein Sommertag erſezt den erſten Frühlingstag. Aber deine Ehe hat
keine „Sommerſtunden“ ſondern wie das ſchönſte Klima einen fort- 5
blühenden Lenz: kurz ich weis gewis, daß auf eben deiner Klippe, woran
dein Herz nur blutet, nicht ſcheitert, für dich (vielleicht für den erſten
Menſchen auf der Erde) das Immergrün einer ewigen Liebe ent-
ſprieſſet. Der Schmerz giebt deiner, ich möchte beinahe dazuſezen,
meiner, Geliebten eine unnenbare nach Opfern dürſtende Zartheit. 10
Aber verſchone die blutende Seele mit dem kleinſten Zeichen deiner
Wunden: ſag ihr lieber das, was ich dir ſagte und beantworte ihre
Thränen nicht durch deine ſondern durch Freude. Philoſophiſche Gründe
helfen ihr nichts, nur deine Auſſenſeite: auch iſt ihr Schmerz nur ein
Echo des deinigen und wenn ſie wüſte, daß du keinen hätteſt, kente ſie 15
ihren Verluſt nur wenig, da Kinderloſigkeit etwas Gewöhnliches iſt
und da ihre Sinnen rein ſind.
Aber die Moral erlaubt <gebeut> ihr den ſchmerzlichſten Verſuch
einer Heilung — einen gefährlichen giebt es hier nicht — und muſt du
denn deine Hofnungen auf Leipzig, ſtat auf Berlin und Jena ein- 20
ſchränken? Ich verbrenne deinen Brief, obwohl ein Belobigungsbrief
deines Herzens. Sage mir immer was dich quält: ach wie klein iſt das
Verdienſt, da ich nur die Seufzer, nicht die Bürde theilen kan. Nie ent-
wiſche dir gegen Amöne ein Wink irgend eines Grams: ich kenne
die misdeutende — Eigenliebe. Wenn ich wähle, und das thu’ ich bald 25
(aber auſſer Hof, das ich nun in einem ½ Jahre verlaſſe, daher ich dich
um einen Rath zum Ausſuchen einer Stadt — aber auf einem beſondern
Blätgen — bitte) ſo wähl ich wie du. — Eine gefährliche Krankheit
meiner Mutter kettet mich durch Schmerzen von meinen Reiſe-
Freuden eine Zeitlang weg. Die Berlepsch deren Lob ich verſpare, wil 30
mich im Auguſt nach Leipzig mitnehmen: ſie iſt moraliſcher und ſchöner
als die Krüdner und Kalb, aber nicht ſo genialiſch.
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Hier haſt du Briefe: Herder ſchikte mir ſeine Bücher. Die Z aus
Zerbſt ſchikte mir einen langen ſeidnen Beutel mit den eingeſtikten
Worten: dem groſſen Genius des Heſperus. — Ich bitte dich, nie über 35
mein Schweigen zu zürnen, da ich täglich mehrere Briefe und Arbeiten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/366>, abgerufen am 24.11.2024.
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