Ich war bei Oertel und der Walzin. Diese sähe gut aus ohne die unförmliche Insignie der nahen Niederkunft. Zum Glük war der Professor, den ich sprechen wolte, nicht da -- blos ihre schlanke Mutter, die ich für ihre Schwester hielt, und eine Frau von Schöpflin[328] (Jezt hab ich die Feder 40mal geschnitten und abgewischt, an der5 obern Rokklappe, welches man, wie ich erst heute finde, am besten Rokke wegen der Unsichtbarkeit ohne den geringsten Schaden thut) -- als Oertel kam, der jezt dürrer und geistiger aussieht, marschiert ich nach wenigen Minuten ab, die mit Spas gefüllet werden musten.
Girtanner nimt jährlich blos durch schriftliche Konsultazionen die10 venerische Seuche betreffend 3000 rtl. ein -- so sehr verachtet unser kahlköpfiges Jahrhundert alle Unkeuschheit, daß es sogar den Schein derselben, die Krankheit flieht.
Wir haben auf gegenseitige Briefe gepasset -- und ich verliere wahrscheinlich dabei.15
Jezt erst kan ich sehen, daß mich die Bayreuther, wenigstens die von's, gelesen.
Voelderndorf fragte recht angelegen nach dir und Albrecht und eueren Arbeiten: theile mir doch eine geheime Instrukzion mit, wie ich dein Laboratorium andern abzeichnen sol.20
Ich begehre hier nicht mehr schöne Tage als nur 2, um mich ins apokryphische krystallene Meer von Fantaisie einzutauchen und ein- mal durch die bunten Korallenbänke der Eremitage zu streichen -- die andern Tage brächte ich doch unter Deckengemälden und Decken zu.
Der bezweifelte Friede ist ratifiziert: ein Brief eines französischen25 Gesandten an den hiesigen General assekuriert ihn.*)
Ich komme stets einige Stunden später als mein Koffer -- also alzeit nach der fahrenden Post und Landkutsche -- mithin entweder künftigen Montag oder Dienstag. Ich bitte dich, mir in jedem Falle einen Brief zu schicken: gesezt ich begegnete dem Briefe schon unter30 Weges. Es mus sein.
Dienstags [2. Mai].
Heute sol der Brief einmal fort, gesezt auch ich bekäme heute einen von dir.
*) Nach Briefen der Fürstin des Schäfers wird erst noch unterhandelt und Be-35 dingungen sollen schon eingegangen sein, über die österreichisch[e] Antagonisten sich sehr ärgern werden, besonders wir 2.
Ich war bei Oertel und der Walzin. Dieſe ſähe gut aus ohne die unförmliche Inſignie der nahen Niederkunft. Zum Glük war der Profeſſor, den ich ſprechen wolte, nicht da — blos ihre ſchlanke Mutter, die ich für ihre Schweſter hielt, und eine Frau von Schöpflin[328] (Jezt hab ich die Feder 40mal geſchnitten und abgewiſcht, an der5 obern Rokklappe, welches man, wie ich erſt heute finde, am beſten Rokke wegen der Unſichtbarkeit ohne den geringſten Schaden thut) — als Oertel kam, der jezt dürrer und geiſtiger ausſieht, marſchiert ich nach wenigen Minuten ab, die mit Spas gefüllet werden muſten.
Girtanner nimt jährlich blos durch ſchriftliche Konſultazionen die10 veneriſche Seuche betreffend 3000 rtl. ein — ſo ſehr verachtet unſer kahlköpfiges Jahrhundert alle Unkeuſchheit, daß es ſogar den Schein derſelben, die Krankheit flieht.
Wir haben auf gegenſeitige Briefe gepaſſet — und ich verliere wahrſcheinlich dabei.15
Jezt erſt kan ich ſehen, daß mich die Bayreuther, wenigſtens die von’s, geleſen.
Voelderndorf fragte recht angelegen nach dir und Albrecht und eueren Arbeiten: theile mir doch eine geheime Inſtrukzion mit, wie ich dein Laboratorium andern abzeichnen ſol.20
Ich begehre hier nicht mehr ſchöne Tage als nur 2, um mich ins apokryphiſche kryſtallene Meer von Fantaisie einzutauchen und ein- mal durch die bunten Korallenbänke der Eremitage zu ſtreichen — die andern Tage brächte ich doch unter Deckengemälden und Decken zu.
Der bezweifelte Friede iſt ratifiziert: ein Brief eines franzöſiſchen25 Geſandten an den hieſigen General aſſekuriert ihn.*)
Ich komme ſtets einige Stunden ſpäter als mein Koffer — alſo alzeit nach der fahrenden Poſt und Landkutſche — mithin entweder künftigen Montag oder Dienſtag. Ich bitte dich, mir in jedem Falle einen Brief zu ſchicken: geſezt ich begegnete dem Briefe ſchon unter30 Weges. Es mus ſein.
Dienſtags [2. Mai].
Heute ſol der Brief einmal fort, geſezt auch ich bekäme heute einen von dir.
*) Nach Briefen der Fürſtin des Schäfers wird erſt noch unterhandelt und Be-35 dingungen ſollen ſchon eingegangen ſein, über die öſterreichiſch[e] Antagoniſten ſich ſehr ärgern werden, beſonders wir 2.
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Profeſſor, den ich ſprechen wolte, nicht da — blos ihre ſchlanke
Mutter, die ich für ihre Schweſter hielt, und eine Frau von Schöpflin
(Jezt hab ich die Feder 40mal geſchnitten und abgewiſcht, an der 5
obern Rokklappe, welches man, wie ich erſt heute finde, am beſten
Rokke wegen der Unſichtbarkeit ohne den geringſten Schaden thut) —
als Oertel kam, der jezt dürrer und geiſtiger ausſieht, marſchiert ich
nach wenigen Minuten ab, die mit Spas gefüllet werden muſten.
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Girtanner nimt jährlich blos durch ſchriftliche Konſultazionen die 10
veneriſche Seuche betreffend 3000 rtl. ein — ſo ſehr verachtet unſer
kahlköpfiges Jahrhundert alle Unkeuſchheit, daß es ſogar den Schein
derſelben, die Krankheit flieht.
Wir haben auf gegenſeitige Briefe gepaſſet — und ich verliere
wahrſcheinlich dabei. 15
Jezt erſt kan ich ſehen, daß mich die Bayreuther, wenigſtens die
von’s, geleſen.
Voelderndorf fragte recht angelegen nach dir und Albrecht und
eueren Arbeiten: theile mir doch eine geheime Inſtrukzion mit, wie
ich dein Laboratorium andern abzeichnen ſol. 20
Ich begehre hier nicht mehr ſchöne Tage als nur 2, um mich ins
apokryphiſche kryſtallene Meer von Fantaisie einzutauchen und ein-
mal durch die bunten Korallenbänke der Eremitage zu ſtreichen — die
andern Tage brächte ich doch unter Deckengemälden und Decken zu.
Der bezweifelte Friede iſt ratifiziert: ein Brief eines franzöſiſchen 25
Geſandten an den hieſigen General aſſekuriert ihn. *)
Ich komme ſtets einige Stunden ſpäter als mein Koffer — alſo
alzeit nach der fahrenden Poſt und Landkutſche — mithin entweder
künftigen Montag oder Dienſtag. Ich bitte dich, mir in jedem Falle
einen Brief zu ſchicken: geſezt ich begegnete dem Briefe ſchon unter 30
Weges. Es mus ſein.
Dienſtags [2. Mai].
Heute ſol der Brief einmal fort, geſezt auch ich bekäme heute einen
von dir.
*) Nach Briefen der Fürſtin des Schäfers wird erſt noch unterhandelt und Be- 35
dingungen ſollen ſchon eingegangen ſein, über die öſterreichiſch[e] Antagoniſten ſich
ſehr ärgern werden, beſonders wir 2.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/343>, abgerufen am 30.07.2024.
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