bände, eine Gallerie vom "deutschen Museum", deutschen Merkur etc. etc. etc. etc. etc. etc. etc. etc. Daher mag ich aus der Sennen- und Thabors Hütte meines hohen Stübgens Vormittags gar nicht hinaus. Für dich, [327]lieber Otto, wär' es ein Karlsbad und eine geistige Molkenkur -- der Himmel gebe, daß du sie brauchst --, einmal in der fruchtbarsten5 Jahrszeit herauszureisen und
Montags den 2 [vielmehr 1] Mai.
-- hier in dieser niedlichen Einfassung einen schönen Wechsel zwischen Büchern und Menschen zu verleben. -- Dieser Periode dauerte lang in Rüksicht der Zeit. Meine vielen neuen Bekantschaften und Visitten10 schreib ich dir nicht, da Emanuel das Protokol darüber an Renate übermacht. Ich wil blos ein Moser sein und historische Aphorismen versenden.
Völderndorf erzählte mir, daß man die Staatsdiener für die organi- sierten Stellen nicht nach Wilkühr ausgewürfelt habe, sondern blos15 nach dem -- Adreskalender; daraus erklärt sichs auch, warum man gute Stellen oft mit den verdienstvolsten Personen besezte, welche vor der Vokazion -- gestorben waren. Diese Versezung von eingesargten schon versezten Staatsdienern ist kein Spas von mir sondern ein Ernst von andern.20
Garvinus, Girtanner, Ammon waren 1 Tag vor mir fort. Gir- tanner ist ein sanfter ofner und gerade so in die Menschheit verliebter Schweizer als Ammon in den Ammon.
Auf Leipzig geh' ich jezt nicht: ich mus wieder zu mir und zu meinen Arbeiten kommen. Bücher nehmen hier meinen Besuchen viele, und25 meinen Briefen alle Zeit, diesen ausgenommen; und selber der 2ten Auflage des Hesperus. Für die verstorbne Mutter Elrodts hab ich ein kleines prosaisches Epitaphium (d. h. ein Trauergedicht) machen müssen: sie verdiente jedes und war (nach Emanuel und nach ihren 7 lezten Worten) früher unter den Volendeten als jezt. Sie lit ein 1/230 Jahr ohne Speise und ohne Erhohlung von Qual an Windgeschwulst, Miserere, Kolik und einer volständigen pathologischen Hölle.
Mein Brief ist leer und mein Gedächtnis vol. Die Sache ist aber, wenn ein Abreisender an seinen freundlichen Relikten schreiben sol, so macht dieser nicht sowohl aus dem Inhalt als aus der Existenz des35 Briefes etwas.
bände, eine Gallerie vom „deutſchen Muſeum“, deutſchen Merkur ꝛc. ꝛc. ꝛc. ꝛc. ꝛc. ꝛc. ꝛc. ꝛc. Daher mag ich aus der Sennen- und Thabors Hütte meines hohen Stübgens Vormittags gar nicht hinaus. Für dich, [327]lieber Otto, wär’ es ein Karlsbad und eine geiſtige Molkenkur — der Himmel gebe, daß du ſie brauchſt —, einmal in der fruchtbarſten5 Jahrszeit herauszureiſen und
Montags den 2 [vielmehr 1] Mai.
— hier in dieſer niedlichen Einfaſſung einen ſchönen Wechſel zwiſchen Büchern und Menſchen zu verleben. — Dieſer Periode dauerte lang in Rükſicht der Zeit. Meine vielen neuen Bekantſchaften und Viſitten10 ſchreib ich dir nicht, da Emanuel das Protokol darüber an Renate übermacht. Ich wil blos ein Moſer ſein und hiſtoriſche Aphorismen verſenden.
Völderndorf erzählte mir, daß man die Staatsdiener für die organi- ſierten Stellen nicht nach Wilkühr ausgewürfelt habe, ſondern blos15 nach dem — Adreskalender; daraus erklärt ſichs auch, warum man gute Stellen oft mit den verdienſtvolſten Perſonen beſezte, welche vor der Vokazion — geſtorben waren. Dieſe Verſezung von eingeſargten ſchon verſezten Staatsdienern iſt kein Spas von mir ſondern ein Ernſt von andern.20
Garvinus, Girtanner, Ammon waren 1 Tag vor mir fort. Gir- tanner iſt ein ſanfter ofner und gerade ſo in die Menſchheit verliebter Schweizer als Ammon in den Ammon.
Auf Leipzig geh’ ich jezt nicht: ich mus wieder zu mir und zu meinen Arbeiten kommen. Bücher nehmen hier meinen Beſuchen viele, und25 meinen Briefen alle Zeit, dieſen ausgenommen; und ſelber der 2ten Auflage des Hesperus. Für die verſtorbne Mutter Elrodts hab ich ein kleines proſaiſches Epitaphium (d. h. ein Trauergedicht) machen müſſen: ſie verdiente jedes und war (nach Emanuel und nach ihren 7 lezten Worten) früher unter den Volendeten als jezt. Sie lit ein ½30 Jahr ohne Speiſe und ohne Erhohlung von Qual an Windgeſchwulſt, Miſerere, Kolik und einer volſtändigen pathologiſchen Hölle.
Mein Brief iſt leer und mein Gedächtnis vol. Die Sache iſt aber, wenn ein Abreiſender an ſeinen freundlichen Relikten ſchreiben ſol, ſo macht dieſer nicht ſowohl aus dem Inhalt als aus der Exiſtenz des35 Briefes etwas.
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Hütte meines hohen Stübgens Vormittags gar nicht hinaus. Für dich,
lieber Otto, wär’ es ein Karlsbad und eine geiſtige Molkenkur — der
Himmel gebe, daß du ſie brauchſt —, einmal in der fruchtbarſten 5
Jahrszeit herauszureiſen und
[327]
Montags den 2 [vielmehr 1] Mai.
— hier in dieſer niedlichen Einfaſſung einen ſchönen Wechſel zwiſchen
Büchern und Menſchen zu verleben. — Dieſer Periode dauerte lang
in Rükſicht der Zeit. Meine vielen neuen Bekantſchaften und Viſitten 10
ſchreib ich dir nicht, da Emanuel das Protokol darüber an Renate
übermacht. Ich wil blos ein Moſer ſein und hiſtoriſche Aphorismen
verſenden.
Völderndorf erzählte mir, daß man die Staatsdiener für die organi-
ſierten Stellen nicht nach Wilkühr ausgewürfelt habe, ſondern blos 15
nach dem — Adreskalender; daraus erklärt ſichs auch, warum man
gute Stellen oft mit den verdienſtvolſten Perſonen beſezte, welche vor
der Vokazion — geſtorben waren. Dieſe Verſezung von eingeſargten
ſchon verſezten Staatsdienern iſt kein Spas von mir ſondern ein
Ernſt von andern. 20
Garvinus, Girtanner, Ammon waren 1 Tag vor mir fort. Gir-
tanner iſt ein ſanfter ofner und gerade ſo in die Menſchheit verliebter
Schweizer als Ammon in den Ammon.
Auf Leipzig geh’ ich jezt nicht: ich mus wieder zu mir und zu meinen
Arbeiten kommen. Bücher nehmen hier meinen Beſuchen viele, und 25
meinen Briefen alle Zeit, dieſen ausgenommen; und ſelber der 2ten
Auflage des Hesperus. Für die verſtorbne Mutter Elrodts hab ich
ein kleines proſaiſches Epitaphium (d. h. ein Trauergedicht) machen
müſſen: ſie verdiente jedes und war (nach Emanuel und nach ihren
7 lezten Worten) früher unter den Volendeten als jezt. Sie lit ein ½ 30
Jahr ohne Speiſe und ohne Erhohlung von Qual an Windgeſchwulſt,
Miſerere, Kolik und einer volſtändigen pathologiſchen Hölle.
Mein Brief iſt leer und mein Gedächtnis vol. Die Sache iſt aber,
wenn ein Abreiſender an ſeinen freundlichen Relikten ſchreiben ſol, ſo
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/342>, abgerufen am 30.07.2024.
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