Ich bitte dich sehr um deine 2 Abhandlungen über den Roman [?] und Gottlosen. Ich werde dir nur in 2 Worten darüber mein Gefühl entdecken können, weil mir die Zeit zu Abhandlungen fehlt; aber ver- sage sie mir nicht. -- Überhaupt hast du eine zu bescheidne Meinung über deine litterarische Perspektive -- wie eine irrige über dein5 moralisches Rechthaben -- (Andere kehren die Irthümer um) und du köntest bei deinen Anlagen, die in deinen Briefen an Amoene phos- phoreßieren, ganz etwas höheres leisten als du wagen magst. Dafür[318] zeih' ich dich ewig gewisser Fehlschlüsse über jedes Herz, besonders über das von Amoene: Fehlschlüsse, die deine vortrefliche Schilderung der10 egoistisch-sentimental[ischen] Weiber der höhern Welt nie erwarten liesse. --
Hier ist Lavaters Brief, der durch linguistische Arabesken sein Un- vermögen in der linguistischen Zeichnung ersezen sol: am Briefe ist nichts gut als was an L. Schriftstellerei gut ist, das physiognomische15 Einschiebsel.
Schicke Beygang das Nummernblätgen und die Bitte, am Sonabend nach diesem zu wählen.
Was ich an die geliebte Freundin deines und meines Herzens ge- schrieben, möge sie niemand zeigen als dem der gewis in unsern Bund20 hineingehört! --
Schlichtegroll schrieb mir einen so sanften Brief wie die la Roche.
Ach sehen werd' und mus ich dich in diesem Jahr! Und wahr- scheinlich an deinem schönsten Ort. Da die Zukunft stum ist, wil ichs auch bleiben; aber wir sehen uns, mein Oertel. -- Meine Armuth an25 Zeit verödet und leeret meine Briefe aus, weil der Mensch zwischen Genug, Etwas und Nichts gewöhnlich das Dritte nimt, wenn er das erste missen mus.
-- Falk stiehlt sehr (unter dem Kaperbriefe seines Namens); sein Almanach, worin ächte satirische Laune (nur nicht die höhere, brit-30 tische) ist, und noch mehr Wiz, nahm aus Arbunoth [!] und Pope das meiste: sogar das bekante Gleichnis vom Bernstein; aus dem Guardian die Dedikazion an das Ich, aus Arbunoths Werken die Leichenbitter- Bitte. Gleichwohl ist er, obwohl kein Humorist, doch ein ächter Satiri- ker; nur geb' er seinen Satiren den erhabnen Hinblik auf den Ernst der35 ewigen Natur, ohne den die Satiren die Mortalität der Kalender er- leben und verdienen.
Ich bitte dich ſehr um deine 2 Abhandlungen über den Roman [?] und Gottloſen. Ich werde dir nur in 2 Worten darüber mein Gefühl entdecken können, weil mir die Zeit zu Abhandlungen fehlt; aber ver- ſage ſie mir nicht. — Überhaupt haſt du eine zu beſcheidne Meinung über deine litterariſche Perſpektive — wie eine irrige über dein5 moraliſches Rechthaben — (Andere kehren die Irthümer um) und du könteſt bei deinen Anlagen, die in deinen Briefen an Amoene phos- phoreſzieren, ganz etwas höheres leiſten als du wagen magſt. Dafür[318] zeih’ ich dich ewig gewiſſer Fehlſchlüſſe über jedes Herz, beſonders über das von Amoene: Fehlſchlüſſe, die deine vortrefliche Schilderung der10 egoiſtiſch-ſentimental[iſchen] Weiber der höhern Welt nie erwarten lieſſe. —
Hier iſt Lavaters Brief, der durch linguiſtiſche Arabeſken ſein Un- vermögen in der linguiſtiſchen Zeichnung erſezen ſol: am Briefe iſt nichts gut als was an L. Schriftſtellerei gut iſt, das phyſiognomiſche15 Einſchiebſel.
Schicke Beygang das Nummernblätgen und die Bitte, am Sonabend nach dieſem zu wählen.
Was ich an die geliebte Freundin deines und meines Herzens ge- ſchrieben, möge ſie niemand zeigen als dem der gewis in unſern Bund20 hineingehört! —
Schlichtegroll ſchrieb mir einen ſo ſanften Brief wie die la Roche.
Ach ſehen werd’ und mus ich dich in dieſem Jahr! Und wahr- ſcheinlich an deinem ſchönſten Ort. Da die Zukunft ſtum iſt, wil ichs auch bleiben; aber wir ſehen uns, mein Oertel. — Meine Armuth an25 Zeit verödet und leeret meine Briefe aus, weil der Menſch zwiſchen Genug, Etwas und Nichts gewöhnlich das Dritte nimt, wenn er das erſte miſſen mus.
— Falk ſtiehlt ſehr (unter dem Kaperbriefe ſeines Namens); ſein Almanach, worin ächte ſatiriſche Laune (nur nicht die höhere, brit-30 tiſche) iſt, und noch mehr Wiz, nahm aus Arbunoth [!] und Pope das meiſte: ſogar das bekante Gleichnis vom Bernſtein; aus dem Guardian die Dedikazion an das Ich, aus Arbunoths Werken die Leichenbitter- Bitte. Gleichwohl iſt er, obwohl kein Humoriſt, doch ein ächter Satiri- ker; nur geb’ er ſeinen Satiren den erhabnen Hinblik auf den Ernſt der35 ewigen Natur, ohne den die Satiren die Mortalität der Kalender er- leben und verdienen.
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Ich bitte dich ſehr um deine 2 Abhandlungen über den Roman [?]
und Gottloſen. Ich werde dir nur in 2 Worten darüber mein Gefühl
entdecken können, weil mir die Zeit zu Abhandlungen fehlt; aber ver-
ſage ſie mir nicht. — Überhaupt haſt du eine zu beſcheidne Meinung
über deine litterariſche Perſpektive — wie eine irrige über dein 5
moraliſches Rechthaben — (Andere kehren die Irthümer um) und du
könteſt bei deinen Anlagen, die in deinen Briefen an Amoene phos-
phoreſzieren, ganz etwas höheres leiſten als du wagen magſt. Dafür
zeih’ ich dich ewig gewiſſer Fehlſchlüſſe über jedes Herz, beſonders über
das von Amoene: Fehlſchlüſſe, die deine vortrefliche Schilderung der 10
egoiſtiſch-ſentimental[iſchen] Weiber der höhern Welt nie erwarten
lieſſe. —
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Hier iſt Lavaters Brief, der durch linguiſtiſche Arabeſken ſein Un-
vermögen in der linguiſtiſchen Zeichnung erſezen ſol: am Briefe iſt
nichts gut als was an L. Schriftſtellerei gut iſt, das phyſiognomiſche 15
Einſchiebſel.
Schicke Beygang das Nummernblätgen und die Bitte, am Sonabend
nach dieſem zu wählen.
Was ich an die geliebte Freundin deines und meines Herzens ge-
ſchrieben, möge ſie niemand zeigen als dem der gewis in unſern Bund 20
hineingehört! —
Schlichtegroll ſchrieb mir einen ſo ſanften Brief wie die la Roche.
Ach ſehen werd’ und mus ich dich in dieſem Jahr! Und wahr-
ſcheinlich an deinem ſchönſten Ort. Da die Zukunft ſtum iſt, wil ichs
auch bleiben; aber wir ſehen uns, mein Oertel. — Meine Armuth an 25
Zeit verödet und leeret meine Briefe aus, weil der Menſch zwiſchen
Genug, Etwas und Nichts gewöhnlich das Dritte nimt, wenn er
das erſte miſſen mus.
— Falk ſtiehlt ſehr (unter dem Kaperbriefe ſeines Namens); ſein
Almanach, worin ächte ſatiriſche Laune (nur nicht die höhere, brit- 30
tiſche) iſt, und noch mehr Wiz, nahm aus Arbunoth [!] und Pope das
meiſte: ſogar das bekante Gleichnis vom Bernſtein; aus dem Guardian
die Dedikazion an das Ich, aus Arbunoths Werken die Leichenbitter-
Bitte. Gleichwohl iſt er, obwohl kein Humoriſt, doch ein ächter Satiri-
ker; nur geb’ er ſeinen Satiren den erhabnen Hinblik auf den Ernſt der 35
ewigen Natur, ohne den die Satiren die Mortalität der Kalender er-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/332>, abgerufen am 30.07.2024.
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