Hier hast du das sechste, in einer glüklichen Anstrengung von gestern bis heute gefertigte Gebot. Das ganze ex[eg]etische Werklein sol nichts sein als ein edlerer -- Schwank und bedarf Karnevals-Privilegien.5 [gestrichen: Wenn es heute schöner wird, geh ich nach Venzka.] Wart' es mit der Münchberger Fahrt nicht ganz ab, bis es wieder feuchter ist. Von Oertels Brief lies das mit Bleiweis linierte nicht. Wenn du[306] kan[st], sende mir die Gebote etwan Freitags Vormittag.
552. An Renate Otto.10
Hof. d. 9ten März 97.
Liebe Renate,
Mir ist als schrieb' ich aus Bayreuth an Sie: die schöne Feier Ihres schönen Tages wirkt wie eine Entfernung auf mich und ich halte die grössere Sehnsucht für grössere Trennung. Meine Wünsche für Sie,15 Theuerste, sind an diesem Tage keine andern als die ich an jedem Tage Ihres schönen thätigen Lebens thue; und ich -- thue also keine heut.
Ach im vorigen Jahre schlug jedes Herz, das Sie liebt, an diesem Tage schwerer und dachte an den heutigen Geburtstag und an den zu theuern Preis des mütterlichen Lebens, den so oft die Natur für das20 kindliche fodert. -- Daher malt' ich mir heute immer Ihre Paulline vor -- ich sah durch die 10 oder 12 Jahre hindurch, die die grüne Knospe noch von der vollen grossen Rose scheiden -- und sah Ihre Tochter mit 12 Jahren, mit freudigen und unschuldigen Augen, und mit den Reizen der Jugend und Liebe und mit unaussprechlich-süssen25 Thränen wieder an dem 9ten März zur geliebten Mutter treten -- ich sah, wie sie reden wil und vor Wehmuth nur umarmen und weinen kan -- und mir war als hört' ich die Dankbare, die es nie genug gegen die Sorgen der guten Mutter sein kan, endlich an der Brust, die sie mit so vielen Schmerzen genährt, mit so vieler Liebe gepflegt, vol Schmerzen30 und vol Freuden stammeln: "O du gute Mutter, lebe so lange, bis ich "dich belohnen kan! -- Und in dieses Auge, das sooft für mich gewacht, "komme keine bittere Thräne, und diese Brust, der ich so viel Schmerzen "gegeben, werde von keinen neuen gedrükt und immer wil ich zu dir "sagen: o lebe, damit ich dich erfreuen kan!"35
20 Jean Paul Briefe. II.
551. An Chriſtian Otto.
[Hof, 8. März 1797. Mittwoch]
Hier haſt du das ſechſte, in einer glüklichen Anſtrengung von geſtern bis heute gefertigte Gebot. Das ganze ex[eg]etiſche Werklein ſol nichts ſein als ein edlerer — Schwank und bedarf Karnevals-Privilegien.5 [gestrichen: Wenn es heute ſchöner wird, geh ich nach Venzka.] Wart’ es mit der Münchberger Fahrt nicht ganz ab, bis es wieder feuchter iſt. Von Oertels Brief lies das mit Bleiweis linierte nicht. Wenn du[306] kan[ſt], ſende mir die Gebote etwan Freitags Vormittag.
552. An Renate Otto.10
Hof. d. 9ten März 97.
Liebe Renate,
Mir iſt als ſchrieb’ ich aus Bayreuth an Sie: die ſchöne Feier Ihres ſchönen Tages wirkt wie eine Entfernung auf mich und ich halte die gröſſere Sehnſucht für gröſſere Trennung. Meine Wünſche für Sie,15 Theuerſte, ſind an dieſem Tage keine andern als die ich an jedem Tage Ihres ſchönen thätigen Lebens thue; und ich — thue alſo keine heut.
Ach im vorigen Jahre ſchlug jedes Herz, das Sie liebt, an dieſem Tage ſchwerer und dachte an den heutigen Geburtstag und an den zu theuern Preis des mütterlichen Lebens, den ſo oft die Natur für das20 kindliche fodert. — Daher malt’ ich mir heute immer Ihre Paulline vor — ich ſah durch die 10 oder 12 Jahre hindurch, die die grüne Knoſpe noch von der vollen groſſen Roſe ſcheiden — und ſah Ihre Tochter mit 12 Jahren, mit freudigen und unſchuldigen Augen, und mit den Reizen der Jugend und Liebe und mit unausſprechlich-ſüſſen25 Thränen wieder an dem 9ten März zur geliebten Mutter treten — ich ſah, wie ſie reden wil und vor Wehmuth nur umarmen und weinen kan — und mir war als hört’ ich die Dankbare, die es nie genug gegen die Sorgen der guten Mutter ſein kan, endlich an der Bruſt, die ſie mit ſo vielen Schmerzen genährt, mit ſo vieler Liebe gepflegt, vol Schmerzen30 und vol Freuden ſtammeln: „O du gute Mutter, lebe ſo lange, bis ich „dich belohnen kan! — Und in dieſes Auge, das ſooft für mich gewacht, „komme keine bittere Thräne, und dieſe Bruſt, der ich ſo viel Schmerzen „gegeben, werde von keinen neuen gedrükt und immer wil ich zu dir „ſagen: o lebe, damit ich dich erfreuen kan!“35
20 Jean Paul Briefe. II.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0320"n="305"/><divtype="letter"n="1"><head>551. An <hirendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right">[Hof, 8. März 1797. Mittwoch]</hi></dateline><lb/><p>Hier haſt du das ſechſte, in einer glüklichen Anſtrengung von geſtern<lb/>
bis heute gefertigte Gebot. Das ganze ex[eg]etiſche Werklein ſol nichts<lb/>ſein als ein edlerer — Schwank und bedarf Karnevals-Privilegien.<lbn="5"/>
[<hirendition="#aq"><hirendition="#i">gestrichen:</hi></hi> Wenn es heute ſchöner wird, geh ich nach Venzka.] Wart’<lb/>
es mit der Münchberger Fahrt nicht ganz ab, bis es wieder feuchter iſt.<lb/>
Von Oertels Brief lies das mit Bleiweis linierte nicht. Wenn du<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_306">[306]</ref></note><lb/>
kan[ſt], ſende mir die Gebote etwan Freitags Vormittag.</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>552. An <hirendition="#g">Renate Otto.</hi><lbn="10"/></head><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">Hof.</hi> d. 9<hirendition="#sup"><hirendition="#i">t</hi>en</hi> März 97.</hi></dateline><lb/><opener><salute><hirendition="#et">Liebe Renate,</hi></salute></opener><lb/><p>Mir iſt als ſchrieb’ ich aus Bayreuth an Sie: die ſchöne Feier Ihres<lb/>ſchönen Tages wirkt wie eine Entfernung auf mich und ich halte die<lb/>
gröſſere Sehnſucht für gröſſere Trennung. Meine Wünſche für Sie,<lbn="15"/>
Theuerſte, ſind an dieſem Tage keine andern als die ich an jedem Tage<lb/>
Ihres ſchönen thätigen Lebens thue; und ich — thue alſo keine heut.</p><lb/><p>Ach im vorigen Jahre ſchlug jedes Herz, das Sie liebt, an dieſem<lb/>
Tage ſchwerer und dachte an den heutigen Geburtstag und an den zu<lb/>
theuern Preis des mütterlichen Lebens, den ſo oft die Natur für das<lbn="20"/>
kindliche fodert. — Daher malt’ ich mir heute immer Ihre Paulline<lb/>
vor — ich ſah durch die 10 oder 12 Jahre hindurch, die die grüne<lb/>
Knoſpe noch von der vollen groſſen Roſe ſcheiden — und ſah Ihre<lb/>
Tochter mit 12 Jahren, mit freudigen und unſchuldigen Augen, und<lb/>
mit den Reizen der Jugend und Liebe und mit unausſprechlich-ſüſſen<lbn="25"/>
Thränen wieder an dem 9<hirendition="#sup"><hirendition="#i">t</hi>en</hi> März zur geliebten Mutter treten — ich<lb/>ſah, wie ſie reden wil und vor Wehmuth nur umarmen und weinen kan<lb/>— und mir war als hört’ ich die Dankbare, die es nie genug gegen die<lb/>
Sorgen der guten Mutter ſein kan, endlich an der Bruſt, die ſie mit ſo<lb/>
vielen Schmerzen genährt, mit ſo vieler Liebe gepflegt, vol Schmerzen<lbn="30"/>
und vol Freuden ſtammeln: „O du gute Mutter, lebe ſo lange, bis ich<lb/>„dich belohnen kan! — Und in dieſes Auge, das ſooft für mich gewacht,<lb/>„komme keine bittere Thräne, und dieſe Bruſt, der ich ſo viel Schmerzen<lb/>„gegeben, werde von keinen neuen gedrükt und immer wil ich zu dir<lb/>„ſagen: o lebe, damit ich dich erfreuen kan!“<lbn="35"/></p><fwplace="bottom"type="sig">20 Jean Paul Briefe. <hirendition="#aq">II.</hi></fw><lb/></div></body></text></TEI>
[305/0320]
551. An Chriſtian Otto.
[Hof, 8. März 1797. Mittwoch]
Hier haſt du das ſechſte, in einer glüklichen Anſtrengung von geſtern
bis heute gefertigte Gebot. Das ganze ex[eg]etiſche Werklein ſol nichts
ſein als ein edlerer — Schwank und bedarf Karnevals-Privilegien. 5
[gestrichen: Wenn es heute ſchöner wird, geh ich nach Venzka.] Wart’
es mit der Münchberger Fahrt nicht ganz ab, bis es wieder feuchter iſt.
Von Oertels Brief lies das mit Bleiweis linierte nicht. Wenn du
kan[ſt], ſende mir die Gebote etwan Freitags Vormittag.
[306]
552. An Renate Otto. 10
Hof. d. 9ten März 97.
Liebe Renate,
Mir iſt als ſchrieb’ ich aus Bayreuth an Sie: die ſchöne Feier Ihres
ſchönen Tages wirkt wie eine Entfernung auf mich und ich halte die
gröſſere Sehnſucht für gröſſere Trennung. Meine Wünſche für Sie, 15
Theuerſte, ſind an dieſem Tage keine andern als die ich an jedem Tage
Ihres ſchönen thätigen Lebens thue; und ich — thue alſo keine heut.
Ach im vorigen Jahre ſchlug jedes Herz, das Sie liebt, an dieſem
Tage ſchwerer und dachte an den heutigen Geburtstag und an den zu
theuern Preis des mütterlichen Lebens, den ſo oft die Natur für das 20
kindliche fodert. — Daher malt’ ich mir heute immer Ihre Paulline
vor — ich ſah durch die 10 oder 12 Jahre hindurch, die die grüne
Knoſpe noch von der vollen groſſen Roſe ſcheiden — und ſah Ihre
Tochter mit 12 Jahren, mit freudigen und unſchuldigen Augen, und
mit den Reizen der Jugend und Liebe und mit unausſprechlich-ſüſſen 25
Thränen wieder an dem 9ten März zur geliebten Mutter treten — ich
ſah, wie ſie reden wil und vor Wehmuth nur umarmen und weinen kan
— und mir war als hört’ ich die Dankbare, die es nie genug gegen die
Sorgen der guten Mutter ſein kan, endlich an der Bruſt, die ſie mit ſo
vielen Schmerzen genährt, mit ſo vieler Liebe gepflegt, vol Schmerzen 30
und vol Freuden ſtammeln: „O du gute Mutter, lebe ſo lange, bis ich
„dich belohnen kan! — Und in dieſes Auge, das ſooft für mich gewacht,
„komme keine bittere Thräne, und dieſe Bruſt, der ich ſo viel Schmerzen
„gegeben, werde von keinen neuen gedrükt und immer wil ich zu dir
„ſagen: o lebe, damit ich dich erfreuen kan!“ 35
20 Jean Paul Briefe. II.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/320>, abgerufen am 30.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.