Mein erstes Vergnügen in Hof ist, daß ich mich an das lezte in Bayreuth erinnere und an Ihre Erlaubnis, Ihnen mein grosses Buch und meinen kleinen Brief zu schicken. -- Ich wünsche, daß Ihnen die5 Mumien halb so viel Angenehmes vorsagen als mir 3 Singstimmen in Ihrem Zimmer vorsangen. Um es für Sie zu verschönern, hab' ichs für Sie verkürzt -- ich habe die Stellen, die blos etc. Satire enthalten, mit Bleistift verurtheilt, von Ihnen übersprungen zu werden, damit Sie früher zu den sanftern kommen, die wie Adagios blos für das10 weibliche aufgeweichte Herz gehören. Es ist besser harte Hände als ein hartes Herz zu haben und den Manspersonen, bei denen beides nicht sehr weich ist, wäre eine erweichende Pomade für beides zu gönnen. etc. Der erste Theil ist besser als der 2te, so wie der 2te Tag in B[ayreuth] -- der Sontag, wo man zu Me[yer]geht -- besser ist als der Sonabend,15 wo man anlangt. Je länger Sie die Mumien zu Miethe wohnen lassen und in je mehr Häuser Sie sie einführen, desto grösser wird mein Dank für Ihre Nachsicht sein. Vergeben Sie eine Geschwäzigkeit, die nichts ist als ein Vorwand, einige Minuten länger mit der Seele in Ihrem Zimmer zu bleiben. Aber der Faden Ihrer Geduld wird wie die20 2 Saiten zerreissen, die ich im Enthusiasmus über das Singen Ihrem Klavier zum Denkmal meiner Gegenwart so gut wie gestohlen habe.
[14]22. An Karl Chr. Rolsch in Schwarzenbach.
[Kopie][Hof, 24. Sept. 1794]25
Wenn es aussen hagelt und heult: so steigt die Seele verhült und beschüzt in die Blumenwelt hinab, die vom Brustgitter umzogen wird, und ruht sanft da, wenn der Sturm an das Geländer schlägt ... Es ist schön: gerade die grösten Schäze -- der Blik ins dämmernde 2te Leben etc. -- sind nicht in Bergwerke sondern in unsre Brust und30 vor unsre Augen gelegt; hingegen die Lumpereien liegen weit von uns und werden mühsam erfischt. -- Die Natur ist der Fusboden des Unendlichen. -- Es ist leichter, einem Armen als einem Be- mittelten zu helfen, einen Dienst zu thun als einen Tort zu ver- geben --35
21. An Frau von Streit in Bayreuth.
[Kopie][Hof, 24. Sept. 1794. Mittwoch]
Mein erſtes Vergnügen in Hof iſt, daß ich mich an das lezte in Bayreuth erinnere und an Ihre Erlaubnis, Ihnen mein groſſes Buch und meinen kleinen Brief zu ſchicken. — Ich wünſche, daß Ihnen die5 Mumien halb ſo viel Angenehmes vorſagen als mir 3 Singſtimmen in Ihrem Zimmer vorſangen. Um es für Sie zu verſchönern, hab’ ichs für Sie verkürzt — ich habe die Stellen, die blos ꝛc. Satire enthalten, mit Bleiſtift verurtheilt, von Ihnen überſprungen zu werden, damit Sie früher zu den ſanftern kommen, die wie Adagios blos für das10 weibliche aufgeweichte Herz gehören. Es iſt beſſer harte Hände als ein hartes Herz zu haben und den Mansperſonen, bei denen beides nicht ſehr weich iſt, wäre eine erweichende Pomade für beides zu gönnen. ꝛc. Der erſte Theil iſt beſſer als der 2te, ſo wie der 2te Tag in B[ayreuth] — der Sontag, wo man zu Me[yer]geht — beſſer iſt als der Sonabend,15 wo man anlangt. Je länger Sie die Mumien zu Miethe wohnen laſſen und in je mehr Häuſer Sie ſie einführen, deſto gröſſer wird mein Dank für Ihre Nachſicht ſein. Vergeben Sie eine Geſchwäzigkeit, die nichts iſt als ein Vorwand, einige Minuten länger mit der Seele in Ihrem Zimmer zu bleiben. Aber der Faden Ihrer Geduld wird wie die20 2 Saiten zerreiſſen, die ich im Enthuſiaſmus über das Singen Ihrem Klavier zum Denkmal meiner Gegenwart ſo gut wie geſtohlen habe.
[14]22. An Karl Chr. Rolſch in Schwarzenbach.
[Kopie][Hof, 24. Sept. 1794]25
Wenn es auſſen hagelt und heult: ſo ſteigt die Seele verhült und beſchüzt in die Blumenwelt hinab, die vom Bruſtgitter umzogen wird, und ruht ſanft da, wenn der Sturm an das Geländer ſchlägt ... Es iſt ſchön: gerade die gröſten Schäze — der Blik ins dämmernde 2te Leben ꝛc. — ſind nicht in Bergwerke ſondern in unſre Bruſt und30 vor unſre Augen gelegt; hingegen die Lumpereien liegen weit von uns und werden mühſam erfiſcht. — Die Natur iſt der Fusboden des Unendlichen. — Es iſt leichter, einem Armen als einem Be- mittelten zu helfen, einen Dienſt zu thun als einen Tort zu ver- geben —35
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[Hof, 24. Sept. 1794. Mittwoch]
Mein erſtes Vergnügen in Hof iſt, daß ich mich an das lezte in
Bayreuth erinnere und an Ihre Erlaubnis, Ihnen mein groſſes Buch
und meinen kleinen Brief zu ſchicken. — Ich wünſche, daß Ihnen die 5
Mumien halb ſo viel Angenehmes vorſagen als mir 3 Singſtimmen
in Ihrem Zimmer vorſangen. Um es für Sie zu verſchönern, hab’ ichs
für Sie verkürzt — ich habe die Stellen, die blos ꝛc. Satire enthalten,
mit Bleiſtift verurtheilt, von Ihnen überſprungen zu werden, damit
Sie früher zu den ſanftern kommen, die wie Adagios blos für das 10
weibliche aufgeweichte Herz gehören. Es iſt beſſer harte Hände als ein
hartes Herz zu haben und den Mansperſonen, bei denen beides nicht
ſehr weich iſt, wäre eine erweichende Pomade für beides zu gönnen. ꝛc.
Der erſte Theil iſt beſſer als der 2te, ſo wie der 2te Tag in B[ayreuth]
— der Sontag, wo man zu Me[yer]geht — beſſer iſt als der Sonabend, 15
wo man anlangt. Je länger Sie die Mumien zu Miethe wohnen
laſſen und in je mehr Häuſer Sie ſie einführen, deſto gröſſer wird mein
Dank für Ihre Nachſicht ſein. Vergeben Sie eine Geſchwäzigkeit, die
nichts iſt als ein Vorwand, einige Minuten länger mit der Seele in
Ihrem Zimmer zu bleiben. Aber der Faden Ihrer Geduld wird wie die 20
2 Saiten zerreiſſen, die ich im Enthuſiaſmus über das Singen
Ihrem Klavier zum Denkmal meiner Gegenwart ſo gut wie geſtohlen
habe.
22. An Karl Chr. Rolſch in Schwarzenbach.
[Hof, 24. Sept. 1794] 25
Wenn es auſſen hagelt und heult: ſo ſteigt die Seele verhült und
beſchüzt in die Blumenwelt hinab, die vom Bruſtgitter umzogen wird,
und ruht ſanft da, wenn der Sturm an das Geländer ſchlägt ... Es iſt
ſchön: gerade die gröſten Schäze — der Blik ins dämmernde 2te
Leben ꝛc. — ſind nicht in Bergwerke ſondern in unſre Bruſt und 30
vor unſre Augen gelegt; hingegen die Lumpereien liegen weit von
uns und werden mühſam erfiſcht. — Die Natur iſt der Fusboden
des Unendlichen. — Es iſt leichter, einem Armen als einem Be-
mittelten zu helfen, einen Dienſt zu thun als einen Tort zu ver-
geben — 35
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
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Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/31>, abgerufen am 16.02.2025.
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