Leben Sie wohl, Theuerer! Mögen Ihnen die Stunden Blüten und die Jahre Früchte zuwerfen und Ihnen unser fliegendes Sein dadurch verlängern, daß sie es verschönern.
492. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
Hof. 23 Dec. 1796.5
Ich schreibe dir noch vor deiner Antwort auf meinen lezten Brief. Meiers Lorbeerkranz kan mich doch nicht so erquicken als der Vergis- meinnicht- und Myrthenkranz deiner Liebe, die mir mit solcher Freude jeden Ris zu einem Triumphbogen zuschikt. Du liebst mich viel zu sehr und achtest mich viel zu sehr. In Meiers Brief find ich, so sehr mich10 seine Empfänglichkeit und seine Lobrede und seine Erstarkung entzükte, eine sonderbare Mischung von Kultur und schäumender Aufbrausung, eine Mischung, die Jugend und Schmerzen zugleich voraussezt. Meinen selber brausenden Hesperus aber mus er in längern Inter- vallen lesen, weil sonst die zusammengedrängten Stralen zu stechenden15 Brenpunkten werden. --*)
In 14 Tagen wird Beigang den Jubelsenior erhalten, der ihn[284] gleichwohl, ob ich ihm gleich 12 Ld'or schenke, doch 50 kosten wird. Dan fang ich die Revoluzion meines Hesperus an: weist du tadelnde Rezensionen, oder entsinst du dich aus der deinigen etwas, was ihn20 bessern kan, so bitt' ich dich sehr darum. Doch werd' ich ihn mehr ver- grössern als verbessern, mehr Geschichts-Mörtel und Zwiksteine nach- mauern als Altes einreissen.
So oft ich deine Briefe an mich oder Amöne oder Stellen aus den leztern lese: so kömt mein alter Wunsch zurük, daß du ein platonisches25 Gespräch oder etwas ähnliches über die Liebe weniger machen als aus deinen Briefen exzerpieren möchtest. Du hast, ausser der Lokazion und Auffädelung nichts weiter daran zu machen, so schön ist das Kleid, und so schön dessen Inhalt. -- Schreibe mir die nouvelles du jour von Göthe. -- Lebe wohl! Und das neue Jahr gebe deiner Seele, die30 ihren weichen Flügel zu oft an der harten Erde wundschlägt, Ruhe und Hofnung und ein frohes wie im freien Aether schlagendes Herz!
Richter
*) Für jeden seiner Briefe würd' ich dir herzlich danken: du enträthst sie kurz.
Leben Sie wohl, Theuerer! Mögen Ihnen die Stunden Blüten und die Jahre Früchte zuwerfen und Ihnen unſer fliegendes Sein dadurch verlängern, daß ſie es verſchönern.
492. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
Hof. 23 Dec. 1796.5
Ich ſchreibe dir noch vor deiner Antwort auf meinen lezten Brief. Meiers Lorbeerkranz kan mich doch nicht ſo erquicken als der Vergis- meinnicht- und Myrthenkranz deiner Liebe, die mir mit ſolcher Freude jeden Ris zu einem Triumphbogen zuſchikt. Du liebſt mich viel zu ſehr und achteſt mich viel zu ſehr. In Meiers Brief find ich, ſo ſehr mich10 ſeine Empfänglichkeit und ſeine Lobrede und ſeine Erſtarkung entzükte, eine ſonderbare Miſchung von Kultur und ſchäumender Aufbrauſung, eine Miſchung, die Jugend und Schmerzen zugleich vorausſezt. Meinen ſelber brauſenden Hesperus aber mus er in längern Inter- vallen leſen, weil ſonſt die zuſammengedrängten Stralen zu ſtechenden15 Brenpunkten werden. —*)
In 14 Tagen wird Beigang den Jubelſenior erhalten, der ihn[284] gleichwohl, ob ich ihm gleich 12 Ld’or ſchenke, doch 50 koſten wird. Dan fang ich die Revoluzion meines Heſperus an: weiſt du tadelnde Rezenſionen, oder entſinſt du dich aus der deinigen etwas, was ihn20 beſſern kan, ſo bitt’ ich dich ſehr darum. Doch werd’ ich ihn mehr ver- gröſſern als verbeſſern, mehr Geſchichts-Mörtel und Zwikſteine nach- mauern als Altes einreiſſen.
So oft ich deine Briefe an mich oder Amöne oder Stellen aus den leztern leſe: ſo kömt mein alter Wunſch zurük, daß du ein platoniſches25 Geſpräch oder etwas ähnliches über die Liebe weniger machen als aus deinen Briefen exzerpieren möchteſt. Du haſt, auſſer der Lokazion und Auffädelung nichts weiter daran zu machen, ſo ſchön iſt das Kleid, und ſo ſchön deſſen Inhalt. — Schreibe mir die nouvelles du jour von Göthe. — Lebe wohl! Und das neue Jahr gebe deiner Seele, die30 ihren weichen Flügel zu oft an der harten Erde wundſchlägt, Ruhe und Hofnung und ein frohes wie im freien Aether ſchlagendes Herz!
Richter
*) Für jeden ſeiner Briefe würd’ ich dir herzlich danken: du enträthſt ſie kurz.
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Leben Sie wohl, Theuerer! Mögen Ihnen die Stunden Blüten und
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492. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
Hof. 23 Dec. 1796. 5
Ich ſchreibe dir noch vor deiner Antwort auf meinen lezten Brief.
Meiers Lorbeerkranz kan mich doch nicht ſo erquicken als der Vergis-
meinnicht- und Myrthenkranz deiner Liebe, die mir mit ſolcher Freude
jeden Ris zu einem Triumphbogen zuſchikt. Du liebſt mich viel zu ſehr
und achteſt mich viel zu ſehr. In Meiers Brief find ich, ſo ſehr mich 10
ſeine Empfänglichkeit und ſeine Lobrede und ſeine Erſtarkung entzükte,
eine ſonderbare Miſchung von Kultur und ſchäumender Aufbrauſung,
eine Miſchung, die Jugend und Schmerzen zugleich vorausſezt.
Meinen ſelber brauſenden Hesperus aber mus er in längern Inter-
vallen leſen, weil ſonſt die zuſammengedrängten Stralen zu ſtechenden 15
Brenpunkten werden. — *)
In 14 Tagen wird Beigang den Jubelſenior erhalten, der ihn
gleichwohl, ob ich ihm gleich 12 Ld’or ſchenke, doch 50 koſten wird.
Dan fang ich die Revoluzion meines Heſperus an: weiſt du tadelnde
Rezenſionen, oder entſinſt du dich aus der deinigen etwas, was ihn 20
beſſern kan, ſo bitt’ ich dich ſehr darum. Doch werd’ ich ihn mehr ver-
gröſſern als verbeſſern, mehr Geſchichts-Mörtel und Zwikſteine nach-
mauern als Altes einreiſſen.
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So oft ich deine Briefe an mich oder Amöne oder Stellen aus den
leztern leſe: ſo kömt mein alter Wunſch zurük, daß du ein platoniſches 25
Geſpräch oder etwas ähnliches über die Liebe weniger machen als aus
deinen Briefen exzerpieren möchteſt. Du haſt, auſſer der Lokazion und
Auffädelung nichts weiter daran zu machen, ſo ſchön iſt das Kleid, und
ſo ſchön deſſen Inhalt. — Schreibe mir die nouvelles du jour von
Göthe. — Lebe wohl! Und das neue Jahr gebe deiner Seele, die 30
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/298>, abgerufen am 30.07.2024.
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